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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 22.1911

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Tietze, Hans: Ein Protest deutscher Künstler
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https://doi.org/10.11588/diglit.5953#0213

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ACAD. LESEH.

kO.NUI.1911

KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13
Neue Folge. XXII. Jahrgang 1910/1911 Nr. 26/27. 19. Mai 1911.

: 9

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur Zeitschrift für bildende Künste monatlich dreimal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 40 Nummern.
Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt
eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann,
Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen an.

EIN PROTEST DEUTSCHER KÜNSTLER.
Karl Vinnen, ein Maler der jüngeren Worpsweder
Gruppe, hat einen soeben bei Diederichs in Jena er-
schienen Protest verfaßt, dem sich etwa 120 deutsche
Künstler und Kunstschriftsteller — erfreulicherweise
sind fast keine Kunsthistoriker darunter — mit mehr
oder weniger ausführlichen Zustimmungen ange-
schlossen haben. Der ohnedies mehr temperament-
volle als logische Protest Vinnens wird durch die
Zutaten dieser vielen Köche nicht klarer und der
erste Eindruck der kleinen Schrift ist mehr der eines
lange zurückgehaltenen Stoßseufzers, einer allgemeinen
Verdrossenheit und Unzufriedenheit. Und weil man
sich immer freuen muß, wenn deutsche Künstler in
etwas einig sind und ein Solidaritätsgefühl bekunden,
hat man anfangs nicht übel Lust, mitzuprotestieren,
nur möchte man etwas genauer wissen, worum es
sich handelt. Zergliedert man sich die Jeremiade, so
kann man, glaube ich, drei hauptsächliche Klage-
punkte feststellen: 1. Eine mächtige Organisation Pa-
riser und Berliner Kunsthändler zwingt mit Hilfe der
ihnen verbündeten Kunstschriftsteller dem deutschen
Volk Bilder französischer Meister des 19. Jahrhunderts
zu ungeheuren Preisen auf, so daß diese enormen
Summen der deutschen Kunst verloren gehen. 2. Diese
Bewegung wird dadurch gefördert, daß die Leiter
vieler deutscher Galerien gleichfalls an dieser Über-
schätzung französischer Kunst leiden und daß zahl-
reiche Kunstschriftsteller die jüngsten Franzosen und
die ihnen nacheifernden jungen deutschen Künstler
über Gebühr preisen. Diese aber — damit sind
wir beim dritten Punkt angelangt — begnügen sich
damit, bloße Nachahmer der Franzosen, ja solcher
Franzosen zu sein, die selbst die glorreiche Tradition
ihres Vaterlandes um schnöder Effekthascherei willen
verlassen haben; infolgedessen läßt die deutsche
Künstlerjugend um so Trüberes für die Zukunft er-
warten, ist degeneriert und unfähig.

Das sind harte Vorwürfe, die wohl wert sind, daß
man sich mit ihnen beschäftigt, wenn eine so statt-
liche Gruppe angesehener Künstler sie erhebt; noch
dazu Künstler, die den verschiedenen Sezessionen an-
gehören, die sich über den Vorwurf reaktionärer
Kunstrichtungen erhaben fühlen und die mit ehrlicher
Einmütigkeit bekennen, daß sie alle viel von den
französischen Meistern des 19. Jahrhundert gelernt

haben. Daß die französische Malerei von der Schule von
Barbizon bis etwa Monet von der größten Bedeutung
für ganz Europa war, darüber ist ganz Europa einig. Daß
also öffentliche Galerien, die ein Bild von der gesamten
Kunstentwicklung zu geben trachten, solche Bilder
erwerben wollen, ist selbstverständlich und tatsächlich
wetteifern darin alle Sammlungen nicht nur Deutsch-
lands, sondern auch Englands, Amerikas, Ungarns,
Rumäniens usw. Auch Vinnen hat für den schönen
Monet gestimmt, den die Bremer Kunsthalle erworben
hat und würde es gegebenenfalls wieder tun; woran
er und seine Anhänger eigentlich Anstoß nehmen,
sind einerseits die Qualitäten mancher von deutschen
Sammlungen angekauften Bilder, anderseits die Preise,
die wesentlich höher seien, als die deutschen Bilder
ersten Ranges und daran sei eben jener Trust der
Kunsthändler und Kunstschriftsteller schuld.

Im ersten Punkt handelt es sich um bloße Mei-
nungsverschiedenheiten; Pauli hält den Van Gogh,
den er erworben hat, für erstklassig, Vinnen meint,
man hätte um dasselbe Geld einen besseren bekom-
men. Darüber läßt sich streiten, aber es ist keine
Prinzipienfrage, denn selbst ein Mißgriff in einem
oder dem andern Fall ändert nichts an der Tatsache,
daß eine moderne Galerie auch unter diesen Bildern
das beste Erreichbare zu erwerben trachten muß. Zu
welchen Preisen aber, das bestimmt der Weltmarkt;
wenn man jene Bilder besitzen will, muß man sie
so bezahlen, wie sie gelten. Denn in der Tat wurde
die umgekehrte Methode lange genug befolgt; die
europäischen Sammlungen haben jahrzehntelang die
mäßig hohen Preise für Corot oder Millet nicht be-
zahlen wollen, die Folge davon ist, daß neun Zehntel
ihrer Bilder nach Amerika kamen und die wenigen
noch übrigen jetzt um so höhere Preise erzielen.
Auch der Kunsthandel hat ja moderne Formen an-
genommen; aber daß die Preise durch Börsenmanöver
in die Höhe getrieben werden, beweist doch nichts
gegen die Bilder, beweist doch nur, daß sie in ähn-
licher Weise Werte darstellen wie Weizen oder Börsen-
aktien, mit denen ähnliche Operationen möglich sein
sollen.

Daß auf diese Art der Gewinn dem Kunsthändler
zufällt und er Zehntausende, vielleicht Hunderttausende
für Bilder erhält, deren Schöpfer sich vor Jahrzehnten
mit ein paar hundert Francs begnügen mußte, mag
 
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