Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 22.1911

DOI Artikel:
Wolf, August: Neues aus Venedig, [1]
DOI Artikel:
Verschiedenes / Inserate
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5953#0045

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
73

Nekrologe

74

die aufgenagelte Rohrverkleidung den Verputz trägt. —
Temperaturschwankungen haben dieses ganze Qefüge ge-
lockert und verschoben. — Hierzu kommen noch Senkun-
gen, welche der ganze Palast im Laufe der Zeiten erfahren
hat. So ist denn nun guter Rat teuer. Ein Sichern durch
Messingnägel, welche bis zur Bretterwand reichen, würde
sich kaum empfehlen. Ein Herabnehmen der Fresken, um
sie auf Leinwand zu übertragen und dann wieder zu be-
festigen, würde nach Cavenaghis Meinnug nicht ohne be-
deutende Einbuße der Farbenwirkung geschehen können.
Man wird wahrscheinlich trotz allem zu erstgenanntem
Verfahren schreiten müssen, was in allen Fällen unter
Oberaufsicht Cavenaghis vorgenommen würde.

Man erinnert sich vielleicht, wie in diesen Blättern
der Hoffnung Raum gegeben wurde, daß der schöne Brun-
nen, welcher einst den Hof der alten Münze, jetzt glas-
überdachten Lesesaal der Markusbibliothek, schmückte, und
bisher durch Jahre hindurch magaziniert war, eine wür-
dige Wiederauferstehung erleben möchte. Man hat sich
nun entschlossen, ihn im Hofe des Palazzo Pesaro aufzu-
stellen, was nur gutgeheißen werden kann. Die etwas
schweren Formen dieses Hochrenaissancewerkes werden
sich leicht in das Barock des Palasthofes einfügen. Bereits
hat man die einzelnen Werkstücke dieses mächtigen Zi-
sternenschmuckes, mit der schönen Apollostatue als Be-
krönung, dahin verbracht.

Gegenüber dem Palazzo Pesaro wurde dieser Tage,
dem Andenken R. Wagners gewidmet, eine Gedenktafel
mit Porträtmedaillon und Inschrift an der dem Canal grande
zugekehrten Gartenmauer des Palazzo Vendramin, in wel-
chem bekanntlich Wagner starb, angebracht. Sie ist eine
Stiftung internationaler Musikfreunde. Die schöne Marmor-
arbeit ist von E. Cadorin jun., dem Sohne unseres tüchtigen
Bildschnitzers. — Gabriele d'Anunzio lieferte die Inschrift
der Gedenktafel.

Noch zu erwähnen ist, daß die Fassade von S. Sal-
vatore nun wieder freigelegt, die Neudeckung der Neben-
kuppel der Salutekirche beendet, und die gotischen, bisher
vermauerten Fenster des Langschiffes von St. Stefano ge-
öffnet wurden, wodurch der häßliche Vorbau über dem
Seitenportal verschwand.

Die Internationale Kunstausstellung wurde bis zum
6. November verlängert. August Wolf.

NEKROLOGE
Charles Vanderstappen f. Belgien hat abermals
einen seiner großen Bildhauer verloren, einen der drei
Bildner, welche der heutigen belgischen Plastik ihren Stem-
pel aufgedrückt haben. Der soeben im 66. Lebensjahre
nach langen Leiden dahingegangene Charles Vanderstappen
lehnt zwar in vielen seiner letzten Schöpfungen an Con-
stantin Meunier an, doch war er ein zu selbständiger Künst-
ler, als daß man ihn nicht mit Meunier und Jef Lambeaux
als den dritten in diesem unvergleichlichen Triumvirat bel-
gischer Plastiker bezeichnen könnte. Vanderstappen hatte
als einfacher Gipsarbeiter angefangen. Sein Talent wurde
aber von Portaeis entdeckt, dessen Schule so mancher gute
belgische Künstler entsprungen ist. Portaeis war allerdings
Maler, und daher mag es kommen, daß Vanderstappen
in seinen Arbeiten stets nach der Farbe in der Plastik ge-
sucht hat, das heißt nach der Wechselwirkung von Licht
und Schatten. Der Verstorbene lehnte sich in seinen ersten
Werken meist an Paul de Vigne und Vincotte an, den
jungen Künstlern also, die über die römische Linie und
Anmut hinweg nach einer naturwahren Kunst suchten und
sich dem akademischen Zwange zu entwinden trachteten.
Im Brüsseler Salon von 186g errang Vanderstappen mit
seiner Gruppe »Die Toilette des Faunen« seinen ersten

bedeutenden Erfolg und seine erste goldene Medaille.
Dann schuf er seinen »David« und den »Jüngling mit dem
Degen«, welch letzterer dank seiner Anmut noch heute eine
der schönsten Skulpturen des hiesigen Museums bildet.
Unwillkürlich, noch ehe er in Italien selbst Aufenthalt nahm,
folgte er, von de Vignes Beispiel angefeuert, den Spuren
der italienischen Renaissance. Die im Besitze der Gräfin
von Flandern befindlichen prächtigen Kandelaber »Morgen-
röte« und »Dämmerung«, das herrliche Tafelsilber des
Brüsseler Magistrats, spätere Werke, wie der Kopf der
»Sphynx« und andere mehr, tragen die Spuren dieser von
Vanderstappen gern gehandhabten Kunstepoche. 1883 er-
setzte er Simonis in der Bildhauerklasse der Brüsseler Akade-
mie, zu deren Direktor er zweimal ernannt worden ist, und
deren ständiger Leiter er sicher geblieben wäre — ent-
gegen den Gepflogenheiten des sonst regelmäßig wechseln-
den Direktorats — hätte nicht der Tod dem ferneren Schaffen
Vanderstappens ein zu frühzeitiges Ziel gesetzt. Der Meister
war in der Tat ein akademischer Lehrer ersten Ranges;
er ließ jedem seiner zahlreichen Schüler seine individuelle
Freiheit und bannte kein Talent unter die akademischen
Formeln und Regeln. Fast alle seine Schüler sind daher
etwas geworden, und wohl selten hat ein Professor unter
seinen Zöglingen so viele Rompreise gehabt, als er. Aus
allen Ländern kamen Schüler zu ihm, und er formte sie
gut. In seiner späteren Epoche verfiel Vanderstappen auch
auf soziale Ideen und arbeitete im Genre Meuniers. Hier-
von zeugt die im Cinquantenärpark befindliche Gruppe der
»Städteerbauer«, zweier die Mittagspause überschlafender
Arbeiter, die sich also nicht wenig unterscheidet von seiner
Kolossalgruppe »Die Lehre der Kunst«, welche als Gegen-
über der Gruppe von de Vigne die Fassade des Alten
Museunis schmückt. Meunier hat das »Denkmal der
Arbeit« geschaffen, Vanderstappen faßte dasselbe Projekt.
An ihm arbeitete er seit Jahren, und seine Fertigstellung
stand nahe bevor. Während er in den vier großen Grup-
pen, die den Sockel schmücken, stellenweise noch an seinen
unsterblichen Kollegen erinnert, ist diesem in riesigen Di-
mensionen aufgefaßten Monument dennoch ein höherer
Sinn unterlegt. So bildet die eine der vier Sockelgruppen
eine Kühnheit hinsichtlich Idee und Ausführung, die sich
nur ganz außerordentlich begabte Bildner erlauben dürfen.
Diese Gruppe stellt den von einem Arbeiter gezügelten
Pegasus dar. Die Krönung des vom Provinzialrat von
Brabant bestellten Denkmals zeigt einen Richter, der mit
kräftiger Gebärde die Hand auf das Rechtsbuch legt und
damit den gerichtlichen Schutz der arbeitenden Elemente
kennzeichnet. Augenblicklich sucht man nach einem Stand-
orte für dieses Monument der Arbeit, das, nach der Auf-
fassung seines Schöpfers, möglichst frei von allen Seiten
gegen den Himmel stehen soll. Ich höre, daß des Mei-
sters berühmteste Schüler, Rousseau und Rombaut, die
Fertigstellung desselben in die Hand nehmen wollen. Sehr
plastisch und vlämisch kräftig, schon mehr nach Lambeaux
schmeckend, ist sein Monument der »Ringer« auf dem Rond
Point der Avenue Louise. Vanderstappen sah seine Werke
von vielen ausländischen Museen begehrt; ebenso seinen
guten Geschmack und sein richtiges Urteil von vielen inter-
nationalen Jurys. Auch stand er, gemeinsam mit seiner
klugen Gattin, im Mittelpunkte des belgischen literarischen
Lebens und aller humanistischen Bewegungen. In ihm
verliert seine Heimat, wie die Kunst überhaupt, einen der
großen Meister unserer Zeit. A. R.

Willem Maris f» Mit Willem Maris, der am 10. Ok-
tober im Haag gestorben ist, ist der jüngste der drei
Gebrüder, die den Ruhm der sogenannten Haager Schule
aus dem Ende des vorigen Jahrhunderts ausmachen, da-
 
Annotationen