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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 22.1911

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Venezianische Bilder auf der Ausstellung in Capodistria
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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13
Neue Folge. XXII. Jahrgang 1910/1911 Nr. 3. 21. Oktober 1910

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« monatlich dreimal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 40 Nummern.
Die Abonnenten der -Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt
eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann,
Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen an.

VENEZIANISCHE BILDER
AUF DER AUSSTELLUNG IN CAPODISTRIA

Auf der Landesausstellung, die in diesem Sommer
in Capodistria stattfand, waren einige venezianische
Bilder zu sehen, die einer Besprechung wert sind.
Die Kathedrale von Pirano hatte drei Werke des Tre-
cento geliehen, unter diesen die niedrige, sehr breite,
neungliedrige Tafel mit der Madonna zwischen acht
Heiligen, nach ihren Proportionen eher ein Antipen-
dium als ein Altaraufsatz, die vor mehreren Jahren
bereits O. Caprin (Istria nobilissima, II, p. 58) publi-
ziert und die dann L. Testi näher bestimmt hat. Den
Namen des Meisters kennen wir nicht. Gewiß ist
es aber derjenige Zeitgenosse des Lorenzo Veneziano,
der die schöne Madonna von 1353 (?) gemalt hat,
die mit der Sammlung Campana in den Louvre ge-
kommen ist, deren Flügel man aber unglaublicher-
weise von Paris an die Museen von Toulose und
Aiaccio gesandt hat. Von der gleichen Hand mag
auch, wie von Testi angenommen wird, die Madonna
mit Heiligen in S. Martino zu Chioggia stammen,
die mit Teilen eines zweiten Altarwerkes, Darstellungen
aus der Martinslegende, sinnlos vereinigt ist. Doch
muß bemerkt werden, daß die Beziehung der 134g
datierten Tafeln in Chioggia zu den Bildern in Frankreich
und Pirano weniger evident ist, als der Zusammenhang
dieser. — Vier Heiligenfiguren, ebenfalls aus Pirano,
wahrscheinlich ursprünglich Teile eines Altarwerkes,
dann aber zur Schranktür degradiert, sind so ruiniert,
daß sich kaum noch etwas mit ihnen anfangen läßt.
Das dritte aus Pirano geliehene Stück ist eine kleine
»Kreuzigung«, sicherlich ehemals Giebelstück eines
Polyptychons.

Die Halbfigur (Fragment?) eines hl. Bernardin
vor völlig erneuertem hellblauen Grunde (Franzis-
kanerkloster S. Anna in Capodistria) gleicht derartig
dem Bernardin des Antonio Vivarini zugeschriebenen
Triptychons in S. Francesco della Vigna in Venedig,
daß man die Halbfigur zum mindesten der Werkstatt
Antonios zuweisen muß, vorausgesetzt, daß der Altar
in Venedig wirklich ihm gehört, was nicht ganz
zweifellos ist. — Antonios Bruder Bartolomeo war
auf der Ausstellung mit einem großen bezeichneten
Altarbild vertreten (Pfarrkirche von Lussingrande).
Dargestellt ist die thronende Madonna, die das in
ihrem Schöße ruhende Kind anbetet, links neben ihr
stehen Hieronymus und Agnes, vor denen Lucia kniet,

diesen entsprechen rechts Augusta, Augustin und die
kniende Katharina. — Es sei hier bemerkt, daß kniende
Heilige auf venezianischen Altarbildern des Quattro-
cento merkwürdigerweise sonst nicht vorkommen.
Es mag das mit der in Venedig ungewöhnlich langen
Herrschaft des vielgliedrigen Altarwerks zusammen-
hängen, das an eine reihenmäßige Nebeneinander-
stellung gleichmäßig aufgerichteter Figuren gewöhnt
hatte. Ferner war wohl das Interesse so sehr auf die
farbigen Probleme konzentriert, daß man jenes floren-
tinische Bedürfnis nach Variierung und Kontrastie-
rung der Stellungen kaum empfand. — Über dem
Haupt der Madonna schweben zwei Engel, die eine
Krone halten. Hinter dem Thron ist ein Brokat-
teppich ausgespannt, zu dessen Seiten der landschaft-
liche Hintergrund sichtbar ist. Morelli würde das
Bild gewiß zu den Werkstattarbeiten geworfen haben,
denn es trägt nicht die von ihm als Kennzeichen für
die Originale erklärte Signatur »Opus Bartholomei
Vivarini de Murano«, sondern die angeblich die
Atelierarbeiten kennzeichnende Inschrift: »Opus factum
Venetiis per Bartholomeum Vivarinum de Muriano —•
1475<<- Von vorne herein ist es ja schon recht un-
wahrscheinlich, daß es Bartholomeo den Kennern so
leicht hat machen wollen. Wenn hinter der Ver-
schiedenheit überhaupt eine Absicht steckt, so kann
man wohl nur annehmen, daß die kürzere Signatur
auf Bildern, die für Venedig bestimmt waren, wo
man Bartolomeo genau kannte, angebracht wurde,
die längere aber auf Werken, die für die Ausfuhr
bestimmt waren. Bartolomeo mag ein geschäftliches
Interesse daran gehabt haben, daß man auswärts er-
fuhr, daß er in Venedig wohnte. Die Angabe des
Entstehungsortes resp. der Adresse bedingt weiter die
größere Länge der Inschrift. Ohne unklar zu werden,
hätte er sich kaum anders ausdrücken können. Nun
ist es anderseits auch wahrscheinlich, daß Bartolomeo
die Bilder für Venedig selbst malte, während er Aufträgen
für weniger kunstverständige und wohl auch weniger
zahlungskräftige Besteller in der Provinz mit Hilfe von
Schülern nachkam, so daß aus diesem Grunde, nicht
aber, um sie als solche zu kennzeichnen, die Atelier-
arbeiten meist die ausführlichere Signatur erhielten.
Verfehlt ist es aber, hieraus für die Klassifizierung
ein System zu machen. Denn ein exportiertes Bild
kann ja ausnahmsweise ganz eigenhändig, und ein
für einen stadtvenezianischen Besteller geliefertes kann
 
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