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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 22.1911

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Gronau, Georg: Antonio oder Vittore Pisano?
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Wolf, August: Neues aus Venedig, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5953#0044

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Neues aus Venedig

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über die Arbeiten in Verona, von denen er zuvor
nichts gewußt habe. Nun stellt Testi hier die Hypo-
these auf, da Vasari ausdrücklich hervorhebe, daß
unter dem S. Eustachio in Sant' Anastasia der Name
des Malers gemalt stünde, so müsse hier »Vittore
Pisano« gestanden haben; denn Vasari hätte sonst
nicht hinzugefügt, daß er sich bald Pisano, bald Pi-
sanello genannt habe, wie man es in seinen Malereien
und Medaillen sähe. In dieser Argumentation kann
ich dem scharfsinnigen Verfasser nicht folgen: sie ist
mir zu hoch. Nach meiner Auffassung ist die Stelle
so zu verstehen: man liest hier in S. Anastasia den
Namen Pisano, denn bald so, bald Pisanello nannte
er sich. Das heißt: Vasari wollte erklären, warum der
unter dem Namen Pisanello bekannte Meister dort das
»Pisanus pinxit« (oder pictor) hingesetzt hatte. Nicht
eine Signatur — und wir haben deren eine stattliche
Zahl auf den Medaillen — trägt den Vornamen; es
ist völlig müßig, behaupten zu wollen, der Maler
habe es bei diesem Werk ausnahmsweise anders ge-
halten.

So kam es, daß man im sechszehnten Jahrhundert,
wo man gewöhnlich nicht in Archiven nach Künstler-
notizen grub, den Vornamen des Mannes tatsächlich
nicht mehr wußte. Einen sicheren Beweis dafür
bietet uns eine Korrektur in der Handschrift Michiels.
Er beschreibt im Besitz eines Paduaner Kaufmannes
ein Blatt mit Tieren »fu de mano del Pisano«; im
Manuskript steht vor Pisano das durchgestrichene Wort
»zuan«. Das beweist, daß damals in Venedig, wo
doch der Meister ein großes Werk hinterlassen hatte,
sein Vorname nicht mehr bekannt war; sonst hätte
Michiel ihn gewiß gewußt.

Wie aber kommt Vasari auf Vittore? Wie erklärt
es sich, daß ein Jahr nach Erscheinen der ersten Aus-
gabe seines Buches auch Oiovio ihn gebraucht?
Meines Erachtens haben wir es hier nicht mit zwei
selbständigen Zeugen zu tun, sondern Vasari hat, trotz-
dem ihm scheinbar die Priorität zukommt, die Nach-
richt von Giovio übernommen. An einer berühmten
Stelle seiner Autobiographie erzählt der Aretiner, daß
Giovio den Plan gehabt habe, seinen Elogien eine
Abhandlung über die berühmten Künstler anzureihen;
und wie er, Vasari, auf Grund eines Gespräches im
Hause des Kardinals Farnese dazu veranlaßt worden
sei, sein Buch zu schreiben. Nun muß gerade Pisano
ein Künstler gewesen sein, der den Giovio wegen
der zahlreichen Medaillen auf berühmte Fürsten in-
teressierte. Möglich ist, daß Giovio, dem Vasari die
erste rohe Niederschrift vorgelegt hat, ihn gerade auf
Pisano hingewiesen hat, und daß sich so ungezwungen
erklärt, warum sie beide denselben, dokumentarisch
nicht vorkommenden Namen haben.

Woher hatte ihn aber Giovio? Das wird sich
niemals aufklären lassen. Vielleicht liegt ihm ein
ganz einfacher Irrtum zugrunde, der nun in einer
bemerkenswerten Weise mehr als dreiundeinhalbes
Jahrhundert Geltung behalten hat. Aber haben wir
Ursache, seit Biadegos Forschungen vorliegen, ihn
weiter zu sanktionieren? Ich denke, die Antwort
darauf ergibt sich von selbst. So lange bis ein

Künstler Vittore Pisano nicht in irgend einem zeit-
genössischen Dokument nachgewiesen worden ist,
hat die Wissenschaft allein von Antonio Pisano, ge-
nannt Pisanello, zu reden. An diesem Tatbestand
vermag aller von Testi aufgewandter Scharfsinn nichts
zu ändern. GEORG GRONAU.

NEUES AUS VENEDIG

Eines der altehrwürdigsten Bauwerke Venedigs ist
unstreitig der Klosterhof der Abazia di S. Oregorio, dicht
neben der Kirche St. Maria della Salute gelegen. Nichts
ist häufiger gemalt worden als dieser aus dem 14. Jahr-
hundert stammende malerische Kreuzgang, mit den vom
Alter geschwärzten zierlichen Säulen von Blumen und Wein-
laub umrankt. In Privatbesitz, den Eigentümern des an-
stoßenden neuen poesielosen gotischen Palastes bisher ge-
hörend, die sich um Erhaltungdes ehrwürdigen Überbleibsels
nicht kümmerten, schien der halbzerfallene Bau dem völligen
Untergange geweiht zu sein, ungeschützt, für jedermann zu-
gänglich. So ist es denn mit Freuden zu begrüßen, daß ein
HerrSpada unterOberaufsicht der zuständigenÜberwachungs-
kommission die Restauration des Klosters auf eigene Kosten
in Angriff genommen hat. Zugleich ist ein Übereinkommen
mit der Stadtverwaltung getroffen, wonach dem Publikum
der Zugang zu dem Kreuzgange jederzeit gesichert bleibt.
Teilweise Abtragung des durch die Säulen getragenen
Stockwerkes machte sich nötig. Nicht ohne Besorgnis
sieht man dem Resultat der Restauration entgegen. Das
große gotische Portal und die bisher vermauerten Seiten-
fenster werden wieder in ursprünglicher Gestalt herge-
stellt werden. Auf Grund alter Abbildungen soll auch die
einst an der Ecke befindliche Loggia wieder geöffnet
werden. Bruchstücke derselben wurden, teils vermauert,
entdeckt. Bürgermeister, Graf Grimani, hat in einer Kom-
munalsitzung, in welcher die ganze Angelegenheit ein-
gehend behandelt wurde, die besorgten Gemüter beruhigt.

Die schon früher erwähnte rege Bautätigkeit hier hat
sich womöglich noch verschärft. Allüberall entstanden
neue Gebäude. Weiter unten am Canal grande wird sich
ein vom jungen Architekten Berti geleiteter gotischer Bau
an Stelle der Palastruine neben Palazzo Rezonico erheben.
Man ist zurzeit mit Abtragung genannter Ruine be-
schäftigt. Auf Piazza Maniu, Campiello del Teatro, bei
S. Angelo entstand Neues. Bemerkenswert die letztliche Ent-
hüllung eines ebenda entstandenen byzantinischen Baues,
an welchem nichts gespart wurde an Schmuck der origi-
nellen Backsteinfassade. Reich figurierte Säulen, Fenster-
umrahmungen, Madonnentabernakel, Majolikafries mit
figürlichen Darstellungen unter dem Dachgesimse und
sonstiger Schmuck, können jedoch nicht über den Mangel
an Einheitlichkeit und Größe, trotz großer Verhältnisse,
hinwegtäuschen. In der neuen Straße beim Theater
Goldoni sind dagegen einige recht hübsche gotische Ge-
bäude und neuestens an der Ecke ein kleines schönes
Renaissancehaus entstanden.

Neuerdings wurde die Aufmerksamkeit in alarmierender
Weise auf den Zustand der Fresken Tiepolos im Palazzo
Labia gelenkt. Noch ist nichts Bestimmtes beschlossen wor-
den, was zur Erhaltung geschehen soll. Auch die kürzlich
stattgehabte Besprechung der hiesigen Autoritäten mit dem
aus Mailand herbeigerufenen bekannten Freskenrestaurator
Cavenaghi, angesichts der Fresken, und genauer Unter-
suchung derselben konnte zu keinem endgültigen Beschlüsse
führen. Es ergab sich, daß die Wand, auf welcher die Freske
links vom Eintretenden sich befindet (Ankunft des Antonino),
nur bis zu geringer Höhe aus Mauerwerk besteht, und
dann in Holz in die Höhe weitergeführt ist, auf welcher
 
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