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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 22.1911

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Ein wiederaufgetauchtes Werk Tintorettos
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Römischer Brief, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5953#0182

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Römischer Brief

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trag der Tochler Algarottis gedruckt wurde, ist gesagt,
daß das Manuskript noch zu Lebzeiten des Grafen
entstanden war. Die zitierte Provenienzbemerkung
geht also wahrscheinlich auf Algarotti selbst zurück,
der sehr gut die vier Bilder noch in S. Benedetto
gesehen haben kann. Es wäre also nur die Identität
der vier im vorigen Jahre wieder an die Öffentlich-
keit gelangten vier Halbfiguren mit denen der Samm-
lung Algarotti nachzuweisen, um die Herkunft jener
aus S. Benedetto glaubwürdig zu machen. Dank der
Maßangaben ist das möglich. Die beiden Halbfiguren
bei Herrn von Beckerath sind 1,15 m hoch und
0,94 m breit, der Christus in den Offizien ist 1,16 m
hoch, 0,93 m breit, die Samariterin 1,15 m hoch,
0,93 m hoch breit. Den Maßangaben im Katalog
Algarotti liegt, was ausdrücklich bemerkt ist, der Pa-
riser Fuß zugrunde, der in 12 Zoll zu 0,027 m zer_
fällt, also 0,324 m entspricht. Danach hätten die
Bilder der Sammlung Algarotti ein Höhe von 1,215 m,
eine Breite von 0,972 m gehabt, was den Dimen-
sionen unserer Bilder so nahe kommt, daß, da er-
fahrungsgemäß ältere Messungen fast nie ganz exakt
sind, die Identität angenommen werden darf.

Einer Angabe im Katalog Algarotti mißtraue ich
aber etwas, nämlich der, daß die Orgel in S. Bene-
detto klein gewesen ist. Ich argwöhne, daß diese
Angabe in einem Katalog, der doch vielleicht nicht
ausschließlich »ä la memoire d'un pere si respectable
et si eher« gewidmet war, gemacht wurde, um die
Tatsache zu verheimlichen, daß die vier Bilder Frag-
mente sind. S. Benedetto gehört zwar nicht zu den
großen Kirchen Venedigs, ist aber nicht so klein,
daß die alte Orgel nur wenig mehr als 1 m hoch
gewesen sein kann. Und ferner können die drei
Bilder auch so wie sie heute sind, ihren fragmen-
tarischen Charakter nicht ganz verbergen. Die Art,
wie namentlich der schwebende Engel bei Herrn
von Beckerath nach unten hin abgeschnitten ist, läßt
sich selbst mit den Freiheiten Tintorettos nicht gut
vereinbaren. Außerdem geht die Farbe bis an den
Rand der Leinwand. Die Bilder sind ganz gewiß
beschnitten. Ursprünglich waren es ganze Figuren.

Es wurde bereits bemerkt, daß Ridolfi in der Vita
Tintorettos die Orgelflügel von S. Benedetto zu den
»Opere di sua prima gioventü« zählt. Ganz wörtlich
ist das nicht zu nehmen. Arbeiten eines Anfängers
sind unsere Bilder nicht. Aber sie gehören doch zu
seinen früheren Werken, die er etwa dreißigjährig
schuf, sie stehen stilistisch auf der Stufe des »Abend-
mahls« (1547) in S. Marcuola, der »Errettung des
Sklaven durch den hl. Markus« (1548) in der vene-
zianischen Akademie und der »Glorie des hl. Mar-
cilianus« (1548—49) in der Kirche dieses Heiligen
und sind somit doch dazu angetan, unsere Kenntnisse
von dem jungen Meister, der gerade seine Reife er-
langt hatte, etwas zu erweitern. NADELN.

RÖMISCHER BRIEF
Den Lesern der Kunstchronik wird es interessant
sein, heute als ersten Vorbericht etwas über die ver-
schiedenen Ausstellungen des Jubeljahres zu erfahren,

da sie alle ein historisches, kunsthistorisches und ar-
chäologisches Interesse haben werden. Selbst die
internationale Ausstellung moderner Kunst entbehrt
eines gewissen historischen Wertes nicht, da einige
Nationen, wie z. B. England, neben den Bildern und
Statuen zeitgenössischer Künstler ältere Werke gesandt
haben. Neben den modernen englischen Porträtisten und
Landschaftern kann man Werke von Turner, Reynolds,
Gainsborough bewundern und in gleicher Art hat man
die spanischen, russischen und ungarischen Sektionen
geplant. Das Kunstausstellungsgebiet bildet eine Masche
der Kette, die sozusagen die Galerie Borghese mit der
Engelsburg vereinigt. Von der Galerie Borghese aus
führt eine große Allee nach den neuen Anlagen,
welche dieses erste Ausstellungsgebiet umschließen
und die zwischen der Villa Borghese und der Villa
di Papa Guilio liegen, also in einem kleinen Tal,
welches herrlich eingerahmt ist von den grünen
Bäumen der Villa Borghese, der Villa Strohlfern und
der Vigna Berardi. Das Tälchen öffnet sich nach
Westen hin gegen Monte Mario, welcher mit seiner
zypressenbekränzten Höhe herübergrüßt. Die restau-
rierte, mit Gärten umgebene und um acht neue Säle
vergrößerte Villa di Papa Giulio bildet das dritte
Glied der Kette und dann führt eine breite Straße
auf einer neuen einbogigen Brücke über die Tiber
zur ethnographischen Ausstellung.

Die Ethnographie ist nur im natinonalen Rahmen
gemeint, also Trachten und Sitten der Landbewohner
der verschiedenen Provinzen von den leuchtenden
Gestaden Siziliens, wo Palmen und Agaven an Afrika
gemahnen, bis zu den Alpentälern, wo die kleinen
Städte und Dörfer am Fuße der gletschergekrönten Berg-
riesen, zwischen grünen Matten und Tannenwäldern ein-
gebettet liegen. Diese ethnographische Ausstellung muß
natürlich auch einen mehr oder weniger retrospek-
tiven Charakter haben, weil leider in Italien, wie ja
sonst überall die schönen alten Trachten, wenn man
Sardinien, einige Teile der Abruzzen und Campaniens
und einige Alpenländer ausnimmt, im Verschwinden
begriffen sind. Aus der Ausstellung wird ein wirk-
liches Museum der alten italienischen Volkstrachten,
denn dem Komitee ist es gelungen, sechshundert
Volkskostüme zu sammeln und ein fast unüber-
sehbares Material an Gegenständen von Bauernkunst:
Möbel, Hausgeräte, Stickereien, Spitzen, Gefäße
und ganz besonders Schmuck. Diese Abteilung des
Bauernschmuckes, der Spitzen, Stickereien und Gefäße
wird auch für den Kunstgelehrten von ganz beson-
derem Interesse sein, weil man die mannigfaltigen Ein-
flüsse beobachten kann, die diese Erzeugnisse einfältiger
Naturkünstler angenommen haben, ihre Zusammen-
hänge mit den Formen der großen Kunst, ihr Wieder-
spiegeln von allen möglichen Formen eingewan-
derter Völker. Es gibt Wasserkrüge, Lämpchen, Teller,
die mit ihrer Form sich nicht nur dem klassischen
Zeitalter anschließen, sondern noch weiter zurück bis
in die dunkle Vorgeschichte. Dieses wirkliche Mensch-
heitsmuseum, wie man das ganze Italien nennen könnte,
wird dem Besucher in der Ausstellung seine inner-
sten und verborgensten Schätze zeigen. An den großen
 
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