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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 22.1911

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Römischer Brief, [1]
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341

Römischer Brief

342

Heersiraßen entlang, auf denen die einwandernden
Völker durch das Land zogen, hat mancher barbarische
Zierat aus den slawischen Ländern, aus dem fernen
Irland, aus Skandinavien sich eingebürgert bei dem
kleinen Landvolk. An der Via Francesca, der Pilger-
straße, die die frommen Züge zogen, um das heilige
Rom zu besuchen, oder noch weiter durch Campanien
und Apulien nach dem heiligen Lande zu wallfahren,
tauchen die zierlichen gotischen Zierrate hie und da
auf. Von den Sarazenen und Arabern in Sizilien und
an den südlichen Gestaden der Halbinsel, den lango-
bardischen Fürstentümern, den Goten, den Normannen,
von allen, die das italienische Volk in sich einge-
sogen hat, wird man Spuren finden in Zier- und
Hausgerät, in Kleid- und Kopfschmuck.

Nun ist das kostbare Material aber nicht in lang-
weiligen, einförmigen Sälen unter Glas in Vitrinen
ausgestellt worden, sondern Professor Loria, der ver-
diente Organisator der ethnographischen Ausstellung,
hat es erreicht, daß für jede Provinz eine besondere
Gruppe von Bauten eingerichtet ist, welche das Cha-
rakteristischste aus der betreffenden Gegend wiedergibt.
Häuser und Meyerhöfe, Hütten, kleine Werkstätten aus
vergessenen Provinzecken, nichts ist vernachlässigt
worden. Die Trachten, die Stoffe, die Vasen, die
Geräte, die Möbel sind organisch aufgestellt und von
zweihundert Personen belebt, welche alle Trachten
tragen und sich mit ihren Handwerken beschäftigen.

Neben dieser Ausstellung von Volkstrachten wird
ein großes Gebiet von den historischen Sonderaus-
stellungen der italienischen Provinzen okkupiert, und
zwar von jeder Provinz ein besonderes für die
eigene Geschichte charakteristisches Gebäude. So
z. B. kann man im Bau Venetiens die vollkommen
getreue Abbildung von Petrarcas Schreibzimmer in
Arquä sehen und die Loggia dei Cavalieri aus
Treviso und andere charakteristische Räume. Aus
Romagna wird eine alte Majolikenfabrik von Faenza
rekonstruiert, von der Provinz Neapel eine Villa des
18. Jahrhunderts, aus Posillipo und so weiter, denn es
hat sich zwischen den Provinzen ein wirklicher Wett-
eifer entsponnen, um möglichst schöne und reiche
Bauten aufzuführen. Jeder Bau enthält dann be-
sonders kunstgewerbliche Gegenstände, so daß diese
Abteilung der Ausstellung die der volkstümlichen
Trachten ergänzt. Rom hat keinen besonders auf-
geführten Bau, da es außerordentlich schwer ge-
wesen wäre, in der Stadt selbst so etwas, was wohl
mehr eine Wiederholung irgend eines Baues auf dem
gleichen Grund und Boden gewesen wäre, zu bauen.
Statt dessen hat man es vorgezogen, in der Engels-
burg, die ja schon auf dem Wege ist, in ein Museum ver-
wandelt zu werden, alles was Rom betrifft, auszustellen.
Ein Versuch ist gemacht, die schönen Säle der päpst-
lichen Wohnräume mit alten Hochrenaissancemöbeln
und Kunstwerken auszuschmücken und alles mög-
liche ist dafür zusammengebracht worden. Marchese
Ridolfo Peruzzi de' Medici aus Florenz hat in einem
der Säle Clemens VII. ein Cinquecentoschlafzimmer
mit alten Originalschmiedeeisenmöbeln eingerichtet. In
die alten Mannschaftskokale am Cortile delle palle

kommt eine Apotheke aus dem 17. Jahrhundert mit
prächtigen alten Vasen und Mörsern. Arazzi und auch
kostbare Skulpturen haben die römischen Krankenhäuser
aus ihrem reichen Bestand geliehen. Es wird so end-
lich möglich sein, verschiedene Renaissanceskulpturen
von Mino da Fiesole, Andrea Bregno, Luigi Capponi,
Paolo Romano, die den meisten Kunstforschern voll-
kommen unbekannt sind, in hellem Licht zu sehen.

Man hatte eine Ausstellung von Werken Giulio
Romanos geplant, aber die Schwierigkeiten, Male-
reien dieses so seltenen Malers zu finden, werden die
Sache wohl scheitern machen. Statt dessen wird es
gelingen, eine ganze Serie von Bildern aus der Schule
Michelangelos zu sammeln, die sich um die Pietä
Rondanini und um den Abguß der Pietä vom Palazzo
Barberini in Palestrina, welche so für die meisten zum
erstenmal zu sehen sein wird, gruppieren werden.
Manche wunderbare Abstammung vom großartigen
Meister wird da zu erblicken sein und man wird daraus
interessante Schlüsse ziehen können. Für die kleinere
Sektion der mittelalterlichen römischen Malerei sind
schon einige der kostbaren kleinen Tafeln aus dem
13. Jahrhundert gesichert und treue Reproduktionen
von Fresken aus den verschiedenen Jahrhunderten
werden dazu beitragen, das historische Bild einheit-
lich zu machen. Die Gipsabgüsse der cosmatesken
Königsgräber aus Westmünster schließen sich an diese
Gruppe. Die alte Rüstkammer Clemens' XI. wird ein
Saal herrschaftlicher alter Trachten aus Mittelitalien ent-
halten und sechs große Reliefs mit Darstellungen von
historischen Begebenheiten aus sechs verschiedenen
Jahrhunderten. Gegenstände der Kleinkunst werden
diese Abteilung vervollständigen.

Kleinere Zimmer werden die Stoffsammlung des
Herrn Giorgio San Giorgi und die alten gewebten
Hand- und Tischtücher aus Perugia von Mariano
Rocchi enthalten. Für die Ausstellung römischer
Topographie und für die des Lebens der Fremden
in Rom sind die alten Kasernen Urbans VIII. benutzt
worden, welche am Fuße der alten Burg zwischen
den späteren Bastionen liegen. Das menschlich reiche
Material der topographischen Ausstellung besteht aus
alten Zeichnungen, Stichen, Bildern und Photogra-
phien nach alten Zeichnungen, so daß dem Besucher
wirklich ein reiches, mannigfaltiges Bild der ganzen
Entwickelung der ewigen Stadt vom Mittelalter bis
zur Neuzeit geboten wird. Zu den reichsten Gruppen
gehören die des Kapitols, des Forums und der Kirchen.
Ein großes, ganz nach alten Plänen und Zeichnungen
modelliertes plastisches Modell der lateranischen Basilika
und der nächststehenden mittelalterlichen Bauten gibt ein
lebendiges Bild von diesem größten kirchlichen Bauten-
komplex Roms, dergleichen hat das Komitee auch
von feinen Künstlern nach alten Zeichnungen, z. B.
denen des Codex Escurialensis und des Marten van
Heemskerk und anderen historisch genaue und künst-
lerisch angenehme farbige Wandbilder mit Ansichten
aus dem Rom des Mittelalters und der Renaissance
malen lassen. Die gleichen Maler: Umberto Prencipe
und Vittorio Grassi haben auch nach den Zeichnungen
des Codex Escurialensis zwei Panoramen des mittel-
 
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