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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 22.1911

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Osborn, Max: Die große Berliner Kunstausstellung
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Die große Berliner Kunstausstellung

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und nun traut der Besucher seinen Augen nicht: der
leibhaftige Sezessionssatanas ist am Lehrter Bahnhof
erschienen! Die ganze ausgezeichnete Gruppe der
von Hodler geführten Eidgenossen, die jetzt auch in
Rom so großes Aufsehen erregt, ist zur Stelle. Da
ist vor allem der interessante Max Bari, der nicht,
wie Hodler, aufs Wandbild, sondern aufs große
Staffeleibild ausgeht, das freilich, wenn nicht von mo-
numentalen, so doch von kräftig betonten dekorativen
Absichten beherrscht ist. Er malt volksmäßige Fi-
guren, ein paar Bauern, ein paar alte Männer, ein
paar Dienstmädchen, die beieinandersitzen, alles in
leuchtenden, festen, derben Farben, die das Öl nicht
verleugnen, aber doch immer in einer so einschnei-
denden Zusammenziehung der Hauptelemente, daß
bei aller frappanten Natürlichkeit von eigentlich rea-
listischen Wirkungen keine Rede ist. Da ist Edmond
Bille mit einem prachtvollen Bilde »Die Meinen«:
eine junge Frau und drei Kinder in sommerlich
blühender Landschaft; auch hier ist nichts ins Monu-
mentale gesteigert, aber die Art, wie die frühling-
haften Menschen in dünnschichtig aufgesetzten Farben
gegen den Hintergrund gestellt und in eine höhere
Existenz der Freudigkeit und Heiterkeit emporgehoben
sind, weist wiederum auf jene Kunst der Steigerung,
der Abstraktion, die Hodler in der Schweiz begründet
hat. Härter, mit bewußterer Stilisierung geht Ernest
Bieler vor, der heimische Charaktertypen, einen Küster,
einen alten Holzfäller, in spröden Temperafarben
fast glasfensterartig malt und sich dazu selbst schrein-
artige schwere Holzrahmen tischlert. Ähnlich Hans
Adler. Der deutsche Einschlag der Schweizer Malerei
wird dann zumal bei Ernst Würtenberger deutlich.
Andere Künstler verwandter Tendenz schließen sich an:
Starzenegger, Hermenjat, Perrelet. Daneben steht eine
Gruppe, bei der man den Einfluß Cezannes und der
Herbstsalonmänner spürt: Georges de Traz, Alexan-
der Blanchet, Traagott Senn u. a. Namentlich die
Stilleben von Senn bezaubern durch ihre lichte Hellig-
keit und ihren Farbengeschmack. Manches ist extra-
vagant und preziös, aber alles gibt von einem male-
rischen Feuereifer Kunde, der imponiert. Wieder
andere machen die modernen Prinzipien sehr liebens-
würdig dem ungeübteren Betrachter mundgerecht, wie
Friedrich Karl Ströhler mit seinen wunderhübschen
Aktbildern zweier lässig auf weißen Kissen hinge-
streckten jungen Mädchen. Mit Vergnügen entdeckt
man unter diesen Schweizern unsern Fritz Burger,
der ja von Geburt ein Baseler ist, früher sehr an-
sprechende Porträts, namentlich muntere Bildnisse
kleiner Kinder gemalt hat, sich dann, seit seiner
Übersiedelung nach Berlin, bedenklich gehen ließ,
sich nun aber wiedergefunden hat und mit zwei Still-
leben und einem Herrenporträt in sehr persönlicher
Manier überrascht. Und noch eine Überraschung
wird geboten: neue Arbeiten von Carlo Böcktin, der
als geborener Schweizer auch zu dieser Gruppe hält.
Carlo hatte sich bis vor kurzem so sehr in seines
Vaters Art befangen gezeigt, daß man ihm wenig zu-
traute. Jetzt hat er sich frei gemacht und den Mut
gefunden, die italienische Landschaft so zu malen,

wie er sie sieht: nicht in heroischer Märchensteigerung,
sondern mit allen Düften, Nebeln und schwankenden
atmosphärischen Erscheinungen des Frühlings und
des Winters, die der Farbenbetrachtung mehr bieten
als die pralle Sonne und Buntheit des Sommers. Er
ist dabei zu ganz selbständigen und originellen Lö-
sungen gelangt.

Auch eine elsässische Gruppe interessiert. Vor
allem der junge Straßburger Beecke, der gleichfalls
jetzt in Rom die Aufmerksamkeit auf sich zieht, mit
einigen schön erfaßten Bildnissen und dem vorzüg-
lichen großen Gemälde einer Balletdiva in der Gar-
derobe: violettes Rüschenkostüm und gelblicher Trikot
gegen dunklen Fond. Düsseldorf und München bieten
nicht viel Neues und Besonderes; der rheinische Saal
übertrifft jedoch den süddeutschen. Eine ganze Kol-
lektion sieht man von Wilhelm Steinhausen, dessen
träumerisch-weiche Landschaften dabei übrigens stärker
packen als die religiösen Kompositionen. Der große
»Blaue Saal« ist ganz den neuesten Versuchen deut-
scher monumentaler Malerei eingeräumt, ohne uns
freilich davon zu überzeugen, daß das Gefühl für
den rechten Stil des Wandbildes bei uns sehr ver-
breitet ist. Wie weit sind wir da von Hodler und
den Schweizern entfernt! In Berlin besonders steht
es um dies Genre schlimm. Aber auch was die
Münchner schickten, wird niemand begeistern. Am
ehesten macht noch der Entwurf eines antiken Opfer-
zuges von Bohle Eindruck, der aber auch nur in der
Zeichnung, nicht in der Farbe befriedigt, oder eine
große Aktskizze des Dresdeners Lührig. Auch Her-
mann Prell, auf den man einst gerade fürs Wandbild
große Hoffnungen setzte, hat uns nicht weiter ge-
bracht. Ein ganzes Kabinett mit Skizzen und Ent-
würfen seiner Hand, vor allem zu den Gemälden im
Palazzo Caffarelli, wirkt recht böse. Da war Christian
Behrens, Prelis bildhauerischer Helfer im römischen
Botschafterpalast, aus anderm Holz geschnitzt. Auch
ihm ist ein eigner Saal eingeräumt, und man freut
sich, das Andenken dieses oft Übersehenen, der so
früh sterben mußte, einmal so geehrt zu finden.
Behrens' Arbeiten, die von Erfindungslust und Form-
freude geradezu strotzen, reden eine völlig eigne
Sprache; gerade wenn man sie in dieser Weise zu-
sammengestellt sieht, kommt das imposant zum Aus-
druck.

Die Plastik bringt sonst nicht viel Rühmliches,
obschon natürlich auch hier manche gute und tüch-
tige Einzelheit auftaucht. Über alles hinaus ragt
Tuaillons großes Gipsmodell des Reiterdenkmals Kaiser
Wilhelms IL, das jetzt schon in Bronze auf der neuen
Kölner Rheinbrücke steht. Dagegen wirkt Adolf von
Hildebrands reitender Bismarck merkwürdig matt und
kühl. Vorzüglich ist diesmal die graphische Provinz
der Ausstellung mit einer ganzen Reihe schöner Kol-
lektionen: von Bruno He'roux (Leipzig), von Zeising
(Dresden) und von dem kürzlich allzu jung verstor-
benen Berliner Heinrich Eickmann. Die übliche Er-
gänzung zu diesen Kabinetten bildet der Saal des
Illustratorenverbandes. Eine sehr willkommene Sonder-
ausstellung führt dann ins Kunstgewerbliche: sie bringt
 
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