547 Reinhold Begas f 548
und starken Kontrasten — da konnte ihm das Barock
gute Dienste leisten. In Rom, wo er mit dem auf-
strebenden Kreise der Feuerbach, Böcklin, Lenbach,
Allgeyer zusammentraf und durch diese Altersgenossen
Leben und Kunst mit gesteigerter Empfänglichkeit
genießen lernte, ging ihm die Schönheit der spät-
italienischen Bildnerei auf. Er stand darin nicht allein.
Es war eine Bewegung, die durch alle Länder ging.
Was Begas für Deutschland in diesem Einschwenken
zu Bernini und den Seinen tat, vollzog fast zur selben
Zeit für Frankreich Carpeaux, für Österreich Tilgner,
für Italien Pio Fedi, dessen »Raub der Polyxena«
alsbald in der Loggia dei Lanzi als Gegenstück zu
Giovanni Bolognas »Raub der Sabinerin« aufgestellt
werden konnte. Auch zu Begas' bezeichnendsten
Werken gehört ein »Raub der Sabinerin« mit dem
prachtvoll bewältigten Kontrastspiel eines männlichen
und weiblichen Körpers in der Anspannung des
Ringens. Solche ausdrucksvollen Effekte sprechen
überall mit: bei dem Frühwerk der Venus und des
Cupido, bei den böcklinischen Szenen des Pan, der
die verlassene Psyche tröstet, des Kentauren, der einer
schlanken Nymphe die Hand als Steigbügel darbietet,
bei dem Hermes, der die Abgeschiedene emporträgt,
bei dem »Elektrischen Funken«, dessen Aufblitzen
aus sich ergänzenden Strömen der heiße Kuß eines
jungen Paares symbolisiert — immer die Gegenüber-
stellung sehniger und weicher, reifer und kindlicher,
zottiger und zarter Formen und Glieder, immer ein
mannigfaltiges, schwellendes Linienspiel, Blut und
Leben von innen her.
Ein dekoratives Genie von klingendem Reichtum,
wie es in Deutschland seit langem nicht aufgetreten
war, sprach aus diesen Werken. Es fand für seine
Entfaltung den rechten Boden in dem Berlin der
wilhelminischen Epoche, die jetzt anhub und die früher
stille preußische Hauptstadt in unerhört schnellem
Aufsteigen zu einem Weltzentrum machte. Zu dem
kräftig pulsierenden Leben dieses riesenhaft wachsen-
den Berlin, zu seinem erhöhten Selbstbewußtsein,
seinem plötzlich zuströmenden Reichtum, seiner durch
unvergleichliche politische und wirtschaftliche Erfolge
angestachelten Genußsucht paßte die Kunst der Üppig-
keit und der quellenden dekorativen Schmuckfreude,
die Begas trieb. Sie ist denn auch mit ganz wenigen
Ausnahmen — wie den von Formlust strotzenden
Tiergruppen für das Schlachthaus in Budapest —
seiner Vaterstadt zugute gekommen. Ein sehr cha-
rakteristisches Zeugnis dieser dekorativen Tendenzen
war gleich eins von Begas' frühesten Werken: die
ganz barock gehaltene Gruppe auf der Attika von
Hitzigs neuer Berliner Börse (die selbst, als erstes
Gebäude in echtem Material seit langer Zeit, als
Kennzeichen der neuen Periode gelten darf). Ströme
von Tinte wurden damals darüber vergossen, daß das
herabhängende Bein einer Figur dieser Gruppe die
Linie des Hauptgesimses überschnitt, daß die, Handel,
Industrie und Landwirtschaft schützende Borussia ihre
Arme wagerecht ausstreckte!
Weit größer aber war der Lärm, der sich erhob,
als Begas 1863 bei der ersten Konkurrenz um das
Berliner Schillerdenkmal mit dem Preise gekrönt
wurde. Erst acht Jahre später, 1871, nach unsäg-
lichem Zwist und Ärger, wurde das Standbild ent-
hüllt, das den Zeitgenossen als der Gipfel eines
rücksichtslosen, nicht mehr auf »Schönheit« bedachten
Naturalismus erschien. Schon die Tatsache, daß die
vier michelangelesken Frauengestalten des Unterbaues
auf dem Brunnenrand sitzen sollten, rief einen Sturm
der Entrüstung hervor. Die Gestalt des Dichters
selbst mußte Begas, der den mehr »idealistischen«
Entwurf Siemerings in langjährigem Duell glücklich
besiegt hatte, wiederholt verändern. Sie hat dadurch
manches von ihrer ursprünglichen Frische und Lebendig-
keit eingebüßt; aber auch nach den »Milderungen«,
die der Künstler vornehmen mußte, blieb die ein-
dringliche Wirkung ihrer erstaunlichen, künstlerisch
geläuterten Wahrheit erhalten, die wir heute bewun-
dern. Wie sagte doch Begas später in einem der
Aphorismen, die er in der »Zukunft« veröffentlichte?
»Mancher Entwurf sprengt als ein feuriger Hengst
in die Konkurrenz, um als Wallach wieder herauszu-
kommen . . . .«
Neben dem Schillerdenkmal ist von Begas' Ber-
liner Monumentalschöpfungen nur noch eine volks-
tümlichgeworden: der Neptunbrunnen auf dem Schloß-
platz, durch dessen lebensfrohe Munterkeit sich auch
der Kenner gern über die allzu kopiehafte Bernini-
Nachahmung hinwegtäuschen läßt. An den Riesen-
monumenten des ersten Kaisers und des ersten Kanzlers
aber, die er in den neunziger Jahren modellierte,
scheiterte Begas so sehr, daß seine ganze, durch eine
geniale Lebensarbeit von Jahrzehnten erworbene Stel-
lung aufs schwerste erschüttert wurde. Einzelheiten,
wie der Siegesgenius, der Wilhelm I. führt, wie die
gewaltigen Löwen des Postaments (bei denen Gaul
als Schüler Begas' mitarbeitete), wie der Kopf des
Bismarck-Standbildes vor dem Reichstage, erinnern
gewiß daran, welch ein Meister auch hier an der
Arbeit war. Aber die Verlorenheit der Komposition,
die schwülstige Phrasenhaftigkeit des Attributiven, die
leere und pomphafte Rhetorik der Allegorien, die sich"
in beiden Denkmalswerken mit einer befremdenden
Flüchtigkeit in der Behandlung ganzer Partien ver-
binden, sind so groß, daß die spärlichen glücklicheren
Details den Gesamteindruck nicht retten können. Man
braucht nur die kleineren Denkmalsarbeiten von Begas
aus derselben Zeit — vor allem die in ihrer Schlicht-
heit ungemein wohltuende Statue des alten Kaisers
in der Siegesallee — oder die dekorativen Parallel-
schöpfungen, wie die Marmorfiguren für das Zeug-
haus, zu betrachten, um zu erkennen, daß jener
Kolossalmaßstab Begas in die Irre führen mußte. Wo
der große monumentale Ausdruck begann, lag die
Grenze seines Könnens, ja seiner bildnerischen Phan-
tasie.
Dazu stimmt es dann wieder, daß der heimge-
gangene Künstler im Porträt bis in späte Jahre hin
ein Meister blieb. Auch hier war sein Talent durch
die Barockkunst mit ihrem stolzen Gefühl für den
individuellen Ausdruck der menschlichen Persönlich-
keit gefördert worden. Niemand hatte seit Schadow
und starken Kontrasten — da konnte ihm das Barock
gute Dienste leisten. In Rom, wo er mit dem auf-
strebenden Kreise der Feuerbach, Böcklin, Lenbach,
Allgeyer zusammentraf und durch diese Altersgenossen
Leben und Kunst mit gesteigerter Empfänglichkeit
genießen lernte, ging ihm die Schönheit der spät-
italienischen Bildnerei auf. Er stand darin nicht allein.
Es war eine Bewegung, die durch alle Länder ging.
Was Begas für Deutschland in diesem Einschwenken
zu Bernini und den Seinen tat, vollzog fast zur selben
Zeit für Frankreich Carpeaux, für Österreich Tilgner,
für Italien Pio Fedi, dessen »Raub der Polyxena«
alsbald in der Loggia dei Lanzi als Gegenstück zu
Giovanni Bolognas »Raub der Sabinerin« aufgestellt
werden konnte. Auch zu Begas' bezeichnendsten
Werken gehört ein »Raub der Sabinerin« mit dem
prachtvoll bewältigten Kontrastspiel eines männlichen
und weiblichen Körpers in der Anspannung des
Ringens. Solche ausdrucksvollen Effekte sprechen
überall mit: bei dem Frühwerk der Venus und des
Cupido, bei den böcklinischen Szenen des Pan, der
die verlassene Psyche tröstet, des Kentauren, der einer
schlanken Nymphe die Hand als Steigbügel darbietet,
bei dem Hermes, der die Abgeschiedene emporträgt,
bei dem »Elektrischen Funken«, dessen Aufblitzen
aus sich ergänzenden Strömen der heiße Kuß eines
jungen Paares symbolisiert — immer die Gegenüber-
stellung sehniger und weicher, reifer und kindlicher,
zottiger und zarter Formen und Glieder, immer ein
mannigfaltiges, schwellendes Linienspiel, Blut und
Leben von innen her.
Ein dekoratives Genie von klingendem Reichtum,
wie es in Deutschland seit langem nicht aufgetreten
war, sprach aus diesen Werken. Es fand für seine
Entfaltung den rechten Boden in dem Berlin der
wilhelminischen Epoche, die jetzt anhub und die früher
stille preußische Hauptstadt in unerhört schnellem
Aufsteigen zu einem Weltzentrum machte. Zu dem
kräftig pulsierenden Leben dieses riesenhaft wachsen-
den Berlin, zu seinem erhöhten Selbstbewußtsein,
seinem plötzlich zuströmenden Reichtum, seiner durch
unvergleichliche politische und wirtschaftliche Erfolge
angestachelten Genußsucht paßte die Kunst der Üppig-
keit und der quellenden dekorativen Schmuckfreude,
die Begas trieb. Sie ist denn auch mit ganz wenigen
Ausnahmen — wie den von Formlust strotzenden
Tiergruppen für das Schlachthaus in Budapest —
seiner Vaterstadt zugute gekommen. Ein sehr cha-
rakteristisches Zeugnis dieser dekorativen Tendenzen
war gleich eins von Begas' frühesten Werken: die
ganz barock gehaltene Gruppe auf der Attika von
Hitzigs neuer Berliner Börse (die selbst, als erstes
Gebäude in echtem Material seit langer Zeit, als
Kennzeichen der neuen Periode gelten darf). Ströme
von Tinte wurden damals darüber vergossen, daß das
herabhängende Bein einer Figur dieser Gruppe die
Linie des Hauptgesimses überschnitt, daß die, Handel,
Industrie und Landwirtschaft schützende Borussia ihre
Arme wagerecht ausstreckte!
Weit größer aber war der Lärm, der sich erhob,
als Begas 1863 bei der ersten Konkurrenz um das
Berliner Schillerdenkmal mit dem Preise gekrönt
wurde. Erst acht Jahre später, 1871, nach unsäg-
lichem Zwist und Ärger, wurde das Standbild ent-
hüllt, das den Zeitgenossen als der Gipfel eines
rücksichtslosen, nicht mehr auf »Schönheit« bedachten
Naturalismus erschien. Schon die Tatsache, daß die
vier michelangelesken Frauengestalten des Unterbaues
auf dem Brunnenrand sitzen sollten, rief einen Sturm
der Entrüstung hervor. Die Gestalt des Dichters
selbst mußte Begas, der den mehr »idealistischen«
Entwurf Siemerings in langjährigem Duell glücklich
besiegt hatte, wiederholt verändern. Sie hat dadurch
manches von ihrer ursprünglichen Frische und Lebendig-
keit eingebüßt; aber auch nach den »Milderungen«,
die der Künstler vornehmen mußte, blieb die ein-
dringliche Wirkung ihrer erstaunlichen, künstlerisch
geläuterten Wahrheit erhalten, die wir heute bewun-
dern. Wie sagte doch Begas später in einem der
Aphorismen, die er in der »Zukunft« veröffentlichte?
»Mancher Entwurf sprengt als ein feuriger Hengst
in die Konkurrenz, um als Wallach wieder herauszu-
kommen . . . .«
Neben dem Schillerdenkmal ist von Begas' Ber-
liner Monumentalschöpfungen nur noch eine volks-
tümlichgeworden: der Neptunbrunnen auf dem Schloß-
platz, durch dessen lebensfrohe Munterkeit sich auch
der Kenner gern über die allzu kopiehafte Bernini-
Nachahmung hinwegtäuschen läßt. An den Riesen-
monumenten des ersten Kaisers und des ersten Kanzlers
aber, die er in den neunziger Jahren modellierte,
scheiterte Begas so sehr, daß seine ganze, durch eine
geniale Lebensarbeit von Jahrzehnten erworbene Stel-
lung aufs schwerste erschüttert wurde. Einzelheiten,
wie der Siegesgenius, der Wilhelm I. führt, wie die
gewaltigen Löwen des Postaments (bei denen Gaul
als Schüler Begas' mitarbeitete), wie der Kopf des
Bismarck-Standbildes vor dem Reichstage, erinnern
gewiß daran, welch ein Meister auch hier an der
Arbeit war. Aber die Verlorenheit der Komposition,
die schwülstige Phrasenhaftigkeit des Attributiven, die
leere und pomphafte Rhetorik der Allegorien, die sich"
in beiden Denkmalswerken mit einer befremdenden
Flüchtigkeit in der Behandlung ganzer Partien ver-
binden, sind so groß, daß die spärlichen glücklicheren
Details den Gesamteindruck nicht retten können. Man
braucht nur die kleineren Denkmalsarbeiten von Begas
aus derselben Zeit — vor allem die in ihrer Schlicht-
heit ungemein wohltuende Statue des alten Kaisers
in der Siegesallee — oder die dekorativen Parallel-
schöpfungen, wie die Marmorfiguren für das Zeug-
haus, zu betrachten, um zu erkennen, daß jener
Kolossalmaßstab Begas in die Irre führen mußte. Wo
der große monumentale Ausdruck begann, lag die
Grenze seines Könnens, ja seiner bildnerischen Phan-
tasie.
Dazu stimmt es dann wieder, daß der heimge-
gangene Künstler im Porträt bis in späte Jahre hin
ein Meister blieb. Auch hier war sein Talent durch
die Barockkunst mit ihrem stolzen Gefühl für den
individuellen Ausdruck der menschlichen Persönlich-
keit gefördert worden. Niemand hatte seit Schadow