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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 22.1911

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Die Florentiner Ausstellung moderner retrospektiver Kunst
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Die Florentiner Ausstellung moderner retrospektiver Kunst

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DIE FLORENTINER AUSSTELLUNG MODERNER
RETROSPEKTIVER KUNST

Zu den interessantesten Kunstausstellungen, welche
man dieses Jahr in Italien gesehen hat, gehört die
moderner retrospektiver Kunst, welche in Florenz von
der Societä delle belle arti arrangiert worden ist. Leider
sind die dort vertretenen Meister, wenn man Ciseri aus-
nimmt, dessen Grablegung Christi wohl fast jeder
wenigstens durch Reproduktionen kennt, und Morelli
dem deutschen Publikum fast unbekannt. Es ist dies
sehr schade, denn man kann mit Recht sagen, daß
seit den glorreichen Zeiten der italienischen Kunst
es in Italien wohl nie eine solche Reihe wirklich
origineller kraftstrotzender Künstler gegeben hat. Mac-
chlaioli, nach dem Worte macchia, das so viel
wie rasch hingeworfene Skizze heißt, nannten sich
diese Neuerer, die um die vierziger Jahre in Florenz
den Kampf gegen die Akademie aufnahmen und zwar
einen Kampf, der um so schwieriger war, als es
zwischen den Anhängern der alten Tradition wirk-
lich tüchtige Meister gab, wie den oben genannten
Antonio Ciseri und Stefano Ussi.

Der etwas kalten Korrektheit dieser Meister, die groß-
artige Kompositionen, meist historischen Charakters,
wie Ussis Vertreibung Walther von Briennes aus
Florenz, mit großer Tüchtigkeit malten, wurde die
freche Naturskizze entgegengehalten. Leider gingen
nur wenige dieser Draufgänger in der Hitze des
Kampfes über die Skizze hinaus, so daß man beklagen
müßte, daß ihre ehrliche Empörung gegen das Leere
und Formelle in der Kunst ohne Folgen geblieben
wäre, wenn man nicht einige Künstler aus nichttos-
kanischen Provinzen, wie den Abruzzesen Michetti,
den Napoletaner Morelli, den Römer Costa und den
Lombarden Cremona als Erben der Florentiner Mac-
chiaioli ansehen könnte. Natürlich muß man den
Ursprung der Macchiaioli von den französischen Im-
pressionisten herleiten, wenn es auch wahr ist, daß
einige der ältesten unter ihnen nicht lange nach Con-
stables erstem Wirken den gleichen naturfrischen, wahr-
heitsliebenden Charakter in ihren Malereien zeigten. I
Zu diesen Altvätern der Macchiaioli gehört vor allen
Serafino de Tivoli, um den sich im Cafe Michel-
angiolo zu Florenz die Jünger des italienischen Im-
pressionismus sammelten.

Giovanni Fattori aus Livorno, Telemaco Signorini,
Odoardo Borrani standen ihm am nächsten und wett-
eiferten mit ihm. Diego Martelli aus der Florentiner
Patrizierfamilie stellte den Künstlern für Naturstudien
seine Villa zur Verfügung und der russische Fürst
Demidoff öffnete ihnen sein Landhaus bei San Dome-
nico, wo sie in seiner reichen Bildersammlung die
französischen Impressionisten kennen lernen konnten.

Bei aller Anerkennung, die die Macchiaioli
durch ihr ehrliches, nie auf Erwerb und Verdienst
ausgehendes Streben verdienen, muß man doch
einsehen, daß bei vielen von ihnen so viel Tüchtigkeit
und Arbeit zu keiner richtigen großen Produktion
geführt hat, weil vielen ein großer belebender innerer

Gedanke fehlte. Eine Seele wie Millet sucht man ver-
gebens unter ihnen, wenn auch viele bei der großen
Freudigkeit am Studium der äußeren Naturerschei-
nungen den Seelengehalt nicht vergessen. Nicht alle
Macchiaioli waren bloße Fanatiker der äußeren Erschei-
nungen, wie Giovanni Fattori, der zu sagen pflegte,
er zeichne und male Figuren so getreu wie es ihm
möglich wäre nach der Natur, man solle ihn aber
nicht fragen, was für Gedanken diese Menschen hätten,
das sollte sich ein jeder Beschauer selbst dazu denken.
Welche Kraft des Ideals aber die meisten unter ihnen
belebte, ergibt sich aus der Tatsache, daß sie nach und
nach in Florenz eine geschlossene Gesellschaft bildeten,
um sich gegenseitig finanziell unterstützen und so den
Kampf fortführen zu können und nach und nach das
Publikum für sich zu gewinnen. Als 1861 die Jury
der Florentiner Ausstellung einigen von ihnen Preise
zusprach, aber dabei beklagte, daß so talentvolle Künst-
ler Zeit und Kraft in so nutzlosen Versuchen vergeu-
deten, lehnten sich die Macchiaioli dagegen auf und
wiesen die Prämien zurück. Unter ihnen war Dome-
nico Morelli der Großmeister der neuen napoletani-
schen Schule. Die Ausstellung der Jahre bis 1865
besserte ihre Lage nicht, und als 1866 das Cafe Michel-
angiolo geschlossen wurde, stoben die impressionisti-
schen »Bentvögel« auseinander; aber man kann mit
Recht sagen, daß der Same, den sie ausstreuten, in
den verschiedenen italienischen Kunststädten reiche
Frucht brachte. Von dieser Ausstreuung gab die dies-
jährige Ausstellung ein klares übersichtliches Bild.

Zu der engeren toskanischen Gruppe lassen sich
besonders der schon obengenannte Fattori rechnen,
Telemaco Signorini, Arnos Cassioli, Niccolö Cannicci,
Federigo Faruffini und Eugenio Cecconi. Diese zeich-
nen sich meistens durch große technische Fertigkeit
aus, sind aber im allgemeinen, wenn man den feinen
Cannicci ausnimmt, etwas leer an psychologischem
Inhalt. Cannicci ist äußerst fein in den Farben und
liebt Innendarstellungen kleinbürgerlicher Räume, in
denen er auch manches intime Drama mit feinen Zügen
zu zeichnen weiß. Zu den feinsten Skizzen, die von
diesem Meister ausgestellt worden sind, gehört die
Darstellung einer jungen Mutter, die am Bett ihres
Kindes wacht, während das erste Morgengrauen durch
die bereiften Scheiben in das kleine Zimmer dringt,
und das weiße Bett, die weißen Kleider der Mutter
aus der nächtlichen Finsternis dem frischen hoffnungs-
reichen Morgenlicht entgegenleuchten. Cannicci ver-
wandt ist der Napoletaner Gioacchino Torna, dessen
grübelnde, feinfühlige Natur und zarte, gemäßigte
Farben dem Süden so gar nicht entsprechen, während
Morellis farbenprächtige, oft sinnliche Kompositionen
so recht südlich anmuten. Doch hat auch Morelli
den florentinischen Ursprung seiner Kunst nie ganz
vergessen, und es gibt Bilder von ihm, wie unter
anderen das der Speisung Christi in der Wüste durch
die Engel, deren perlengraue Töne und bläuliche
Schatten sehr an die gedämpften Farben der toskani-
schen Landschaft gemahnen. Ein eigenartiger Kom-
promiß zwischen toskanischem Impressionismus, aka-
demisch fleißiger, sauberer Ausführung des Details
 
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