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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 22.1911

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Wenzel, Otto: Hat Tizians sogenannte "Himmlische und irdische Liebe" immer so ausgesehen wie heute?
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https://doi.org/10.11588/diglit.5953#0159

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Hat Tizians sogenannte »Himmlische und irdische Liebe« immer so ausgesehen wie heute?

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kannt ist, worin dieses Verschwinden der Farbe be-
stehe, ob in einem Ausbieichen oder einem wirklichen
Verschwinden, oder in einer chemischen Veränderung,
so nahm Vermehren längere Zeit das letztere an, näm-
lich einen Einfluß von Schwefelwasserstoff in der
Luft auf das essigsaure Kupfer und eine dadurch
veranlaßte Bildung von braunschwarzem Schwefel-
kupfer, das jetzt an Stelle des blaugrüuen Grünspans
als braune Lasur auf der grünen Malerei liege, analog
der Besorgnis, daß aus Bleiweiß durch Schwefel-
wasserstoff sich schwarzes Schwefelblei bilden könnte,
was selten genug und nur bei mit Bleiweiß gehöhten
Zeichnungen wirklich beobachtet worden ist. Die Ver-
suche nun, Kupfer, etwa in der Form von Schwefel-
kupfer, in der braunen Schicht nachzuweisen, haben
aber zu keinem Resultat geführt.

Dagegen wurde die Beobachtung gemacht, daß
die braune Lasur nicht auf jedem Grün sitzt und
— was sehr auffällig ist — durchaus nicht genau
innerhalb der Konturen der darunter liegenden grünen
Schicht. Vorzugsweise findet sie sich auf hellem,
frischem, gelblichem Grün, viel seltener auf dunklem
bläulichen; andersfarbige Stellen sind manchmal un-
geschickterweise etwas mit übergangen, kleine grüne
Ecken manchmal ausgelassen. Diese letztere Beob-
achtung stand zwar nicht gegen die Vermutung, daß
das Braun auf eine chemische Veränderung zurück-
geführt werden könne, aber sie führte doch zu einer
anderen Gewißheit. Wenn wir nämlich die Lasur
als vom Maler selbst aufgetragen denken, dann war
sie ihm, wenn er sie als klare grüne Lasur auf hellem
deckenden Grün nur zur Verstärkung desselben be-
nutzte, wenig auffällig, und ein leichtes Überschreiten
der Konturen konnte von ihm übersehen werden.
Durch die Länge der Zeit aber braun geworden, muß
die Lasur uns heute bei weitem mehr auffallen. Dann
hätten wir es aber immer mit einer Farbschicht, die
vom Maler selbst aufgetragen worden, zu tun. Kleine
Überschreitungen der Kontur wird man selbst Tizian
nicht übel nehmen, aber man wird sich fragen müssen,
warum er mit seiner Lasur, die das Grün verstärken
sollte, teilweise auch über den roten Mantel fuhr und
anderswo große Stellen von Grün unmotiviert un-
bedeckt ließ? Die genauere Untersuchung ließ er-
kennen, daß der Auftrag des Brauns an verschiedenen
Stellen ganz oberflächlich, flüchtig, ja lüderlich aus-
geführt war. Es schaltet also die Annahme, Tizian
habe sein Bild selbst lasiert, völlig aus.

Vielmehr dürfte es sich um prinzipielle Verände-
rung der Gemälde handeln, die ein späterer bar-
barischer Zeitgeschmack diktierte. Schon Tizian selbst
mußte sich beklagen, daß man seine Bilder ver-
schmiere. Sollte bei unserem Bilde nicht auch das
17. Jahrhundert die Schuld an dieser pietätlosen Ver-
färbung tragen? In den damals gemalten Bildern
kommt nämlich ein frisches intensives Grün (gras-

uerde fatto dal rame, anchora che tal colore sia messo ä
olio, gli se ne ua in fumo la sua bellezza, s'egli non e
subito inuernicato. Et non solamente se ne ua in fumo,
ma s'egli sara lauato cö la spungha bagnata di semplice
acqua comuna, esso uerde rame si leuara dalla sua tavola,
dou' e dipinto, e massimamente, s'el tempo sara umido.«

grün, spinatgrün) gar nicht vor, weder in Bildnissen,
noch in Landschaften. Vegetation ist stets blaugrau
in der Ferne und braun in der Nähe gemalt — der
bekannte »braune Baum« der alten Bilder. Man ist
damals, wie es scheint, der Anwendung von Grün
geflissentlich aus dem Wege gegangen, ähnlich wie
auch heute Idiosynkrasien gegen gewisse Farben
herrschen. Man weiß ja, daß man damals mit den
ererbten Stücken nicht eben zart umging: man ver-
schnitt sie, wenn sie den zugedachten Platz in Länge
oder Breite überschritten, man stückte an, wenn sie
zu kurz waren. Warum soll man da unbequeme
Farben nicht auch mit anderen, damals »modernen«
übermalt haben? Wir haben es ja an dem Mosti-
Bildnis gesehen, daß man einem Bildnis von Tizians
Hand ein anderes Gewand aufmalte! Und so wird
man im 17. Jahrhundert das frische Grün der himm-
lischen und irdischen Liebe mit einer anfangs viel-
leicht schwachen braunen Lasur übergangen haben,
um die dem damaligen Geschmack vielleicht abscheu-
liche Farbe nicht sehen zu müssen. Tatsächlich wird
auch jedesmal, wo beim Restaurieren der Versuch
gemacht wird, die braune Lasur zu entfernen, ein
kräftiges, intensives Grün darunter gefunden, das in
sich detailliert gemalt ist. Es macht freilich Mühe,
diese braune Schicht zu entfernen, da sie sehr hart
geworden ist. Würde es sich um eine nachgedunkelte
Firnißschicht handeln, so würde die Nachdunklung
nicht diesen Grad von Tiefe erreicht haben.

Um das Bild ist ein dunkler Streifen gemalt, der
als Rahmen gedacht ist, aber so, wie er heute ist,
keine Berechtigung hat, da er nicht schwarz genug
ist, um das Bild wirklich zurückzudrängen. Er zeigt
nur ein mildes Grauschwarz, heller als die anstoßenden
Dunkelheiten des Bildes. Schon immer bestanden
darum bei Vermehren gelinde Zweifel über die Authen-
tizität dieses Randes, besonders, da der Fuß der
nackten Figur so sehr nahe an ihn heran geht. Auf-
fällig ist auch, daß die braune Lasur den Rand nicht
mit bedeckt, sondern nur das Grün innerhalb des-
selben, so daß jetzt die braune Landschaft dunkler
erscheint als der Rand, der doch gewiß als schwarzer
Rahmen dunkler sein sollte als sie, um das Bild
zurücktreiben zu können. Auch hieraus geht mit
größter Wahrscheinlichkeit hervor, daß der braune
Lasurauftrag entweder früher bedeutend heller oder
gar nicht vorhanden war, so daß er die Rahmen-
wirkung zuließ. Bei der Kopie aber, wo der dunkle
Streifen in Gegensatz zu dem frischen Grün steht,
erfüllt er seinen Zweck vollkommen: er treibt das
Bild zurück und wirkt als Rahmen, obgleich er gar
nicht einmal sehr dunkelschwarz gehalten ist. Daher
dürfte ein Zweifel an der Autorschaft Tizians für
diesen Rahmen nicht mehr berechtigt sein.

So hat die zielbewußt ausgeführte Kopie des er-
fahrungsreichen, verdienstvollen Restaurators der Uffi-
zien viel dazu beigetragen, einige Rätsel in bezug auf
den gegenwärtigen Zustand dieses Bildes und anderer
alter Gemälde zu lösen und unserer wieder farben-
freudigen Zeit die Kunst des alten Venetianers näher
zu bringen. OTTO WENZEL.
 
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