Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 22.1911

DOI Artikel:
Osborn, Max: Berliner Sezession 1911
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5953#0205

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
6-HMI1911

KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13
Neue Folge. XXII. Jahrgang 1910/1911 Nr. 25. 5. Mai 1911.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur Zeitschrift für bildende Kunst« monatlich dreimal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 40 Nummern
Die Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt
eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an e. A. Seemann,
Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen an.

BERLINER SEZESSION 1911
Von Max Osborn
Es zeigt sich nun doch, daß Liebermann recht
hatte: Die Sezession ist tatsächlich in sich so weit
gefestigt, daß sie auch die gefährlichen Krisen des
letzten Jahres mit guter Gesundheit überstanden hat.
Und es zeigt sich auch, daß die Veränderungen im
Vorstand nicht etwa einen Wandel in der künst-
lerischen Haltung der Körperschaft bedeuteten. Was
an dieser Stelle immer betont wurde, bestätigt sich:
alle Zwistigkeiten, welche tobten und die ganze Ver-
einigung zu sprengen drohten, waren nichts als per-
sönliche Katzbalgereien, hervorgerufen durch die nicht
sympathischen, aber auch nicht ungewöhnlichen mensch-
lichen Eigenschaften des Undanks, des Ehrgeizes, der
Rücksichtslosigkeit, der Agitierlust und der Rechthaberei,
die auf die beiden streitenden Parteien anmutig ver-
teilt waren. Es sah wohl manchmal so aus, als steckten
hinter diesen persönlichen Differenzen auch sachliche,
programmatische, als kämpfe hier eine von Tatenlust
bis zum Bersten gefüllte Jugend, die sich unterdrückt
fühlte, um Licht und Luft und Bewegungsfreiheit.
Aber das war eine Augentäuschung; was sich zur
Evidenz daraus ergibt, daß die jetzige erste Aus-
stellung nach dem Lärm in keinem Eckchen eine
andere Physiognomie aufweist als ihre Vorgängerinnen.
Keine Rede davon, daß sich nun etwa früher ver-
nachlässigte, vergewaltigte, an die Wand gedrückte
Talente, lästiger Vormundschaft endlich befreit, präsen-
tierten, daß die sogenannten »Jungen« der Kunstschau
einen kühneren, waghalsigeren, frischeren Charakter
verliehen. An Keckheiten und Experimenten hat es
wahrhaftig auch unter der Herrschaft der »Alten«
nicht gefehlt, und man sieht davon jetzt nicht mehr
als sonst. Auch der noch gärende, tastende Nach-
wuchs ist nicht mit größerer Liberalität zugelassen
als unter der Regierung Maximilians L, genannt Lieber-
mann, der nun ganz offiziell als »Ehrenpräsident«
geführt wird. Alles ist, wie's immer war. Dies aber
heißt zugleich: die Ausstellung ist, wie stets, eine
außerordentliche, an interessanten Einzeldingen über-
reiche, von Leben und Bewegung immer noch strotzende
Veranstaltung. Immer noch ein erquickender Beweis
für die Fülle von Kraft, Begabung, redlicher Arbeit
und verlangender Kunstsehnsucht, die im Sezessions-
kreise blüht. Ich für mein Teil halte es auch nur
für einen Vorteil, daß man die allzu turbulenten Ul-

tras, die sich als »Neue Sezession« aufgetan haben,
abgestoßen hat und die radikalen Bekenntnisse der
Hypermodernen sorgsam siebt; daß man also in der
Hauptsache auf Qualität achtet und von noch unreifer
Genialität nur im Ausnahmefalle Proben zuläßt.

Mit dieser berechtigten Vorsicht verband der neue
Vorstand sehr gut eine besondere Reverenz gegen
die Entthronten, besser: die freiwillig vom Thron Ge-
stiegenen. Liebermann behielt seine »Ehrenwand« an
der Stelle, wo man sie seit Jahren zu finden gewohnt
ist. Er zeigt dort drei neue Werke: das glänzende,
lebensprühende Selbstporträt aus der Hamburger Kunst-
halle, ein jüngst entstandenes Bildnis des Baumeisters
Fr. Kuhnt aus dem Museum von Halle — frappierend
durch die Behandlung der frischrosigen Gesichtsfarbe
und des blond-weißen Haares —, sowie die inter-
essante Fassung einer Bibelszene vom barmherzigen
Samariter. Liebermann hat den Vorgang in ein märki-
sches Waldrevier verlegt, zur Herbstzeit, wenn die
Stämme schon kahl und grau, der Boden braun, die
Luft unfreundlich, der Himmel blaß und farblos ist,
und er hält auch die Gewandung der Personen in
moderner Andeutung, überträgt also die Erzählung,
fast in Uhdes Art, aus dem Legendären ins Einfach-
Menschliche. Die ernste Stimmung der berlinischen
Landschaft, der Liebermann durch sein neues Sommer-
haus am Wannsee wieder nahe gerückt ist, gibt dem
Ganzen Ton und Stempel; die verschiedenartig, doch
gemessen bewegten Gestalten stehen im Kontrast zu
der kerzengeraden Unnahbarkeit der märkischen Kiefern.
Das Bild steht den dekorativen Panneaux der vier
Jahreszeiten nahe, die der Künstler vor längerer Zeit
gemalt hat, und es hat selbst, trotz dem kleineren
Format, in der spröden Sparsamkeit des kompositio-
nellen Aufbaus etwas Dekoratives, fast als wäre es
die Vorarbeit zu einem größeren Werke, in dem dann
die einzelnen Motive stärker zum Ausdruck und zur
gegenseitigen Steigerung der Wirkung gebracht werden
sollten. Aber das gerade fesselt: daß der Vierundsechzig-
jährige sich wiederum mit einem Problem trägt, das
einigermaßen abseits von seiner Bahn liegt, daß er
sich in einer vielfach ganz neuen Form einer gleich-
sam epischen Aufgabe zuwendet, »episch« nicht nur
dem Inhalt, sondern auch dem malerischen Vortrag
nach. Dann wurde Slevogt geehrt. Ihm hat man
gleich einen ganzen Saal eingeräumt, und dieser Raum
wurde zum Hauptpunkt (deutsch: »Clou«) der ganzen
 
Annotationen