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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 22.1911

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Neues aus der alten Pinakothek in München, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5953#0278

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Neues aus der alten Pinakothek in München

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(dort als schwäbisch um 1500), zwei sehr interessante
oberdeutsche Arbeiten (Geburt Christi und Anbetung
der Könige), die in Lustheim eigentlich unzugänglich
waren und ein wertvoller »Schmerzensmann« der
Regensburgischen Schule, den eine frühere Zeit der
Universität überlassen hatte. Das folgende Durch-
gangskabinett, das bisher die Bilder Lochners und
seiner Schule barg, enthält nun Perlen der alten Nieder-
länder und als interessantestes Stück den kleinen viel-
umstrittenen Jan van Eyck des Museums in Herman-
stadt, der der Pinakothek auf Betreiben Tschudis
(wofür man ihm nicht genug Dank wissen kann) für
einige Zeit als Leihgabe überlassen wurde. Das all-
gemeine Urteil über dieses vorzügliche und im großen
und ganzen gut erhaltene Bild wird sich wohl bald
dahin einigen, daß es sich hier um eine zweifellos
echte Arbeit des großen Niederländers handelt. Die
Werke des Dierick Bouts und seiner Schule, Manna-
lese, Melchisedek und die Perle von Brabant leiden
ein wenig durch die etwas zu dichte Hängeweise und
den schweren Cornelisz (Beweinung Christi), der auf
sie herunterdrückt. Viel lieber sähe man hier die
von Voll dem Ouwater zugeschriebenen Boutstafeln*),
die in dem anstoßenden Niederländersaal sowieso
nicht zur Geltung kommen können, während sie in
dem Kabinett die Wand aufs glücklichste ergänzen
würden. Weiter finden sich hier die Memlings, eine
Anzahl niederländischer Porträts, die bisher im Ger-
manischen Museum in Nürnberg waren und Werke
von Mabuse, Orley usw. Der Niederländersaal hat
so ziemlich seine alten Bilder behalten, nur wechselten
sie zum Teil ihre Plätze, so daß jetzt in der Mitte
der Hauptwand Rogers Lukasmadonna hängt, während
der Dreikönigsaltar desselben Meisters an das Fenster
versetzt wurde, wo er besseres Licht hat. Neu sind
außer dem vorerwähnten Bouts ein prachtvoller Beuke-
laer aus Lustheim (Genreszene mit Fischstilleben) und
aus Schleißheim die bekannte Anbetung des Christ-
kindes vom Hausbuchmeister. Die früher den Dün-
wegges gegebene Grablegung Christi, die auch hier
untergebracht ist, geht nun als Meister der hl. Sippe.
War in den beiden letztgenannten Räumen nicht alles
ganz befriedigend, so muß man an dem Dürersaale
und vor allem an den fünf Kabinetten seine reine
Freude haben. Im Saal fallen außer den gewohnten
Bildern sofort zwei Werke Burgkmairs auf, der große
aus Augsburg übernommene Kreuzigungsaltar von
1519 und der Johannes auf Patmos, der seit der
Restauration kaum wiederzuerkennen ist. Durch Kin-
kelin, dem Nachfolger Hausers, wurden das Mittelbild
und die aus Schleißheim und Burghausen eingezogenen
Flügel von dem größten Teil der entstellenden Über-
malungen befreit, die Anstückungen unter dem neuen
geschmackvollen Rahmen verborgen und so ein voll-
kommen anderes Werk von seltener Farbenschönheit
geschaffen, das sofort die Augen auf sich zieht. Dürers
Apostel hängen wieder, wie zu Rebers Zeiten, zu
Seiten der Pleydenwurfschen Kreuzigung, Paumgartner-
altar und Beweinung von 1500, beide, wie auch viele

1) Die Auferstehung wurde aus Nürnberg eingezogen.

andere Bilder, in neuen stilgemäßen Rahmen, an der
Westwand des Saales. Seinen alten Platz (Mitte der
Südwand) behielt der große Grünewald, hingegen
wurden die Flügel von Wohlgemuts Hofer Altar in
die untere Reihe dieser Wand gehängt, dazwischen
die Lukretia Cranachs d. Ä. und die Venus Cranachs
d. J., die vorher in Schleißheim war. Dürers Lukretia
erhielt einen Ehrenplatz in der Mitte der rechten
Nordwand, flankiert von dem Multscherschen Schmer-
zensmann und einer Krönung Mariä, die in Augsburg
»Tirolisch um 1470« bezeichnet war, jetzt von
H. Braune auf M. Pacher bestimmt wurde. In der
oberen Reihe der beiden Längsseiten des Saales hat
man die aus Schleißheim und Nürnberg eingetauschten
Flügel von Schäuffeleins Christgartener Altar wieder
vereinigt, an den Schmalseiten (also über den Burgk-
mair und Dürer) wie früher die 16 Tafeln des Kais-
heimer Altars von Holbein d. Ä. belassen. Das an-
schließende Kabinett II enthält wie bisher niederlän-
dische, französische und niederrheinische Malerei,
darunter aber auch einige neue Stücke. So wurden
der Patinirschen Dreifaltigkeit und der Maria die Flügel
mit dem hl. Sebastian und dem hl. Rochus zugefügt
(aus Nürnberg und Erlangen), die Anbetung der
Könige vom Meister der weiblichen Halbfiguren aus
dem Germanischen Museum eingezogen, ebenso ein
weibliches Porträt der Clouetschule, ferner die beiden
Lukas van Leyden und das ernste Porträt von Joos
van Cleef hierher versetzt. Von den um eines ver-
mehrten deutschen Kabinetten hat das kölnische (I)
ziemlich sein altes Aussehen behalten und außer den
jetzt hier untergebrachten beiden Lochner (Kat. v. 1908,
Nr. 3 u.4) nur einen kleinen oberrheinischen Hieronymus
aus Nürnberg (Nr. 166) als neu aufgenommen. Eine
sehr ausgiebige Umwandlung erfuhren dagegen die
drei Kabinette III, IV, V, die, nun ganz den Deutschen
gewidmet, auf jeden empfänglichen Besucher einen
unvergeßlichen Eindruck ausüben müssen. Bei flüch-
tigem Durchschreiten läßt sich zweierlei bemerken:
erstens war man, soweit nicht hängetechnische Gründe
dagegen sprachen, bestrebt, die Schulen mehr zu-
sammenzuziehen und dadurch dem einzelnen Raum
ein einheitlicheres Aussehen zu geben, zweitens suchte
man nach Möglichkeit eine Bilderserie wieder unter-
zubringen, die gerade für München von großem In-
teresse ist, die Historien- und Schlachtendarstellungen,
die einst Herzog Wilhelm IV. von Bayern zeitgenössi-
schen Malern in Auftrag gegeben hatte und zu denen
bekanntlich auch Altdorfers wundervolle Alexander-
schlacht gehört. Kabinett III, das bisher Altnieder-
länder (Bouts, Memling usw.) barg, enthält nun also
in erster Linie fränkische Schulen, voran Albrecht
Dürer. So zeigt die Ostwand in der Mitte das mit
den Flügeln versehene Bildnis Oswalt Krells, nächst
dem Fenster das Selbstbildnis, als Pendant dazu Jakob
Fugger, und zwischen diesen Dürern das rätselhafte
Stilleben Jacopo Barbaris und einen kleinen ober-
deutschen St. Georg, in zweiter Reihe Behams Kreuz-
findung und kleinere Franken. Die gegenüberliegende
(West)wand enthält in der Mitte den aus der Univer-
sität stammenden und von Kinkelin aufs sorgfältigste
 
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