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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 22.1911

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Schmidt, Karl Eugen: Im Louvre
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https://doi.org/10.11588/diglit.5953#0318

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6i i Im Louvre 61 2

auch Leute genug geben, denen es ganz einerlei ist,
ob das Museum um neun oder erst um elf Uhr vor-
mittags geöffnet wird.

Der Grund für diese Neuerung soll sein, daß
der Louvre nicht Saaldiener genug hat, um alle
Säle gleichzeitig überwachen zu können. Dies würde
zur Not den partiellen Schluß der Sammlungen er-
klären; was aber die Verkürzung der Besuchszeit da-
mit zu tun hat, ist nicht so ohne weiteres verständlich.

Aber diese ganze Reform ist gegenstandslos und
töricht, weil die Prämisse nicht stimmt. Die Prämisse
ist doch: das Publikum besteht ganz oder zum Teil
aus Dieben, und wir müssen die Sammlungen gegen
diesen Feind schützen. In Wirklichkeit ist es beinahe
gerade umgekehrt: das Publikum ist der allerbeste
Schutz der Kunstsammlungen. In viel besuchten
Museen wird nicht oder nur sehr wenig gestohlen,
und es ist ganz sicher, daß die Zahl der Dieb-
stähle in den Museen ganz genau im Gegensatze
zur Zahl der Besucher fällt und steigt. In den am
meisten besuchten Sälen wird am wenigsten, in den
am wenigsten besuchten am meisten gestohlen. In
Sälen, die so viel und stark besucht werden, wie der
berühmte Salon Carre, wird überhaupt nicht ge-
stohlen, — solange die Türen dem Publikum offen-
stehen. Hier wird gestohlen, wenn das Publikum
ausgesperrt ist, wenn nur die Beamten und Diener
des Museums und die Photographen "Und Kopisten
Einlaß finden. Herr Pujalet, der neue Direktor müßte
ganz im Gegenteil darauf sinnen, das Publikum in
hellen Haufen auch in die entlegensten Säle des Louvre
zu locken, wenn er den Museumsdieben das Hand-
werk legen will. Dadurch, daß er dem Publikum
den Besuch des Louvre erschwert, erleichtert er den
Dieben ihr Handwerk.

Die armseligen Diebe, die in einem entlegenen
Saale eine unbewachte und unbeachtete Statuette
stehlen, verdienen kaum unsere Aufmerksamkeit: der
Louvre enthält nicht nur unschätzbare Meisterwerke,
sondern auch eine ganze Menge Gerümpel, das viel-
leicht archäologischen, aber nur verschwindend ge-
ringen künstlerischen Wert hat, und sehr viele Gegen-
stände, die in diesen endlosen Sälen aufgestellt sind,
haben im Grunde überhaupt gar keinen Wert. Irgend
ein Sammler hat sie dem Staate geschenkt, und man
wollte seine Stiftung nicht zurückweisen, weil sie
einige gute Sachen enthielt, oder weil besondere
Gründe eine Ablehnung unmöglich machten. Andere
Sammlungen sind von Missionen hergebracht worden,
die auf Staatskosten nach Asien oder Afrika gegangen
waren, und da verbürgte der offizielle Charakter der
Mission die Aufnahme der Resultate in den Louvre.
Wenn nun etwa in den Sälen, welche die Sammlungen
Thiers enthalten, oder von den französischen Aus-
grabungen in Nordfrankreich oder Kleinasien ange-
füllt worden sind, ein paar Kleinigkeiten gestohlen
werden, so ist das wirklich kein welterschütterndes
Ereignis, und das erhellt am besten daraus, daß über-
haupt kein Mensch etwas von ihrem Verschwinden
merkt, weder das Publikum noch die verantwortlichen
Beamten. Ohne das freiwillige Geständnis des Diebes

und das Dazwischentreten der Presse hätte man von
dem Verschwinden der phönizischen Statuetten aus
dem Louvre sicherlich niemals etwas vernommen.

Ganz anders steht es mit Kunstwerken, die aller
Welt bekannt sind. Sie werden niemals vom Publi-
kum der Besuchsstunden geraubt, wie sowohl aus
der Geschichte der Mona Lisa als aus hundert an-
deren Vorfällen hervorgeht. Als zum Beispiel die
Figur des knienden Antonius aus dem großen Murillo
in der Kathedrale zu Sevilla herausgeschnitten und
fortgeschafft wurde, war es kein Tourist, der das
Kunststück fertigbrachte, sondern ein Sakristan hatte
sich durch ein gutes Trinkgeld zur Mithilfe bewegen
lassen. Es wäre außerordentlich seltsam, wenn es im
Louvre anders zugegangen wäre. Alle Kenner und
Freunde des Museums, die höheren Beamten selbst
nicht ausgenommen, sind einig darüber, daß der Dieb
ein Einverständnis mit einem oder mehreren Saal-
dienern angeknüpft hatte. Und so kommen wir
schließlich zu dem Paradoxon: nicht das Publikum,
sondern die Beamten muß man ausschließen und
überwachen.

Was alles von der unzureichenden Zahl der Saal-
diener im Louvre geschrieben und gesagt worden
ist, trifft durchaus nicht zu. In der Quantität sind
die Saaldiener durchaus ausreichend, nur in der
Qualität lassen sie allerdings viel zu wünschen übrig.
Das kommt daher, daß sich hier wie in der Armee,
wie überall in Frankreich die politische Empfehlung
breitmacht. Diese Empfehlung durch einen Depu-
tierten, einen Senator oder gar einen Minister ist alles.
Weiterer Fähigkeiten bedarf es nicht; so wird man
nicht nur Saaldiener, sondern auch erster Direktor
im Louvre, wie uns eben die Ernennung des Herrn
Pujalet zeigt. Wie dieser Herr seine Ernennung einzig
und allein der persönlichen Bekanntschaft mit dem
gegenwärtigen Ministerpräsidenten verdankt, so haben
die sämtlichen Angestellten des Louvre ihre Plätze in
allererster Linie der Empfehlung irgend eines Poli-
tikers zuzuschreiben. Nicht darauf kommt es an, daß
so ein Kandidat sich durch Treue und Ehrlichkeit
oder gar durch Kenntnisse und Fähigkeiten auszeichne,
vor allen Dingen muß er nicht nur selber eine Wahl-
stimme in dem Wahlkreise eines einflußreichen Volks-
vertreters haben, sondern auch über eine möglichst
zahlreiche Verwandtschaft und Freundschaft verfügen,
die ihre Männer in dem gewünschten Sinne an die
Wahlurne treten läßt. Daß unter diesen Umständen
auch recht zweideutige Elemente in der Uniform der
Louvrebeamten stecken können, liegt auf der Hand.
Wenn ein solcher Mann, der jährlich tausend Franken
verdient, sich durch eine vier- oder fünfstellige Zahl
in Versuchung führen ließe, so wäre das nicht sehr
wunderlich.

Anstatt phantastischen Träumen von internationalen
Gaunerbanden nachzuspüren, als welche es sich zur
Aufgabe gemacht hätten, die französischen Museen
sozusagen abzuschäumen, sollte die Polizei ihr niemals
schlafendes Auge auf die Angestellten des Louvre
richten. Wenn irgendwo, wird sie hier auf die Spur
des verschwundenen Bildes kommen. Und um in
 
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