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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 25.1914

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Hermanin, Federico: Römischer Brief, [1]
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Römischer Brief

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hanges des Quirinalshügels, da wo die Via Nazionale
erst am Neroturm und dann am Trajansforum vorbei-
führt. Als ich den Lesern der Kunstchronik vom
großen Projekt, betreffs der Ausgrabungen der Kaiser-
fora sprach, erwähnte ich, daß man die große Arbeit
mit der Isolierung der Turris militiarum, des soge-
nannten Neroturmes, begonnen hatte und daß schon
ein großes Stück des häßlichen, in eine Kaserne ver-
wandelten Klosters von Santa Caterina gefallen war,
so daß der gewaltige Turm schon in einer ganz
anderen Weise zum Vorschein kam. Nun sind aber
die Arbeiten unterbrochen worden und können nicht
weitergeführt werden, ehe man die militärische Fecht-
schule, die in einem Teil des Klosters ihren Sitz hat,
anderweitig untergebracht haben wird. Während die
Arbeiter ruhen, geben sich die Architekten den kühn-
sten Projekten hin, und ihre Begeisterung ist sehr
begreiflich, wenn man bedenkt, daß nach Abbruch der
Kaserne südlich vom Neroturm eine große Esplanade
frei bleiben wird, eine Terrasse, von der man die
Kaiserfora, das Kapitol und das große Nationaldenkmal
wird übersehen können. Ein Irrtum kann Rom um
eine neue, große Schönheit bringen. Am ratsamsten
würde es mir bei dem Regulierungsentwurf erscheinen,
sich möglichst treu an die alte Topographie der Ört-
lichkeit zu halten. Wo man sich in Rom an dieses
Prinzip gehalten hat, ist man stets zu guten Resultaten
gekommen, denn die alten Bauten, die alten Wege,
die alten Ruinen haben an sich schon die Elemente
des Erfolges, weil sie sozusagen die Linien sind, an
denen man die organische Entwicklung eines Stadt-
teils erkennen kann. Jede Neuerung muß aus dem
Alten herausgewachsen erscheinen. Dieses Prinzip
zeigt sich in seinen Ergebnissen an der Piazza Navona,
welche in die Formen des altrömischen Circus agonalis
hineingebaut wurde, an dem Kapitol des Mittelalters
und der Renaissance, das dem alten Tabularium und
benachbarten Bauten angepaßt worden ist. Und um
das Moderne nicht zu vergessen, ist der Corso Vittorio
Emanuele, der von Piazza Venezia nach Sankt Peter
führt, ein lebendiges Beispiel dieser Anpassung. In
Schlangenwindungen zwischen Palästen und alten
Kirchen sich hinziehend, liegt seine wirkliche Schön-
heit eben in dieser Charakteristik, daß die große
moderne Verkehrsader allen alten ehrwürdigen Bauten
ehrerbietig ausweicht. Was den Neroturm betrifft,
so diskutiert man jetzt darüber, ob man den Turm
von allen Seiten, durch Abbrechen der Kirche von
Santa Caterina, die wunderschöne, barocke Dekorationen
enthält, isolieren soll, und die Via Nazionale um ihn
herumführen, oder ob man die Straße nicht verändern
und den Turm zwischen den mittelalterlichen Burg-
resten, den Ruinen der Balnea Pauli Aemilii und
der oberen Umfassung der nördlichen Hauptexedra
des Trajansforums unberührt lassen soll. Diese zweite
Lösung ist die einzig richtige, erstens, weil dabei keine
moderne Verkehrsader gewaltsam durch Ruinen ge-
führt wird, zweitens, weil man dabei die alte Via
Biberatica der Itinerarien, auf der die Päpste und
die Pilger im Mittelalter über die Ruinen der Balnea
Pauli Aemilii und des Augustusforums steigend von

Sankt Peter zum Lateran zogen, ans Licht wird
bringen können.

Zu den berühmten Ausblicken vom Pincio, vom
Qianicolo und aus der Säulenhalle des Nationaldenk-
mals auf Rom herab würde sich dieser neue gesellen.
Zwischen den Büschen eines blühenden Gartens
würde sich der gewaltige Turm erheben, einst feste
Wohnung Kaiser Heinrichs VII. und seines Freundes
Ludwig von Savoyen, als der wiedererstandene römi-
sche Senat sich auf der gegenüber trotzenden Kapitols-
burg verschanzt hatte. Auf dem alten Pflaster der
Via Biberatica stehend, von den roten Backstein-
mauern der Balnea Pauli Aemilii und der hohen
Umfriedung des Forum Trajanum umgeben, würden
die Rombesucher von der turmhohen Terrasse ihren
Blick schweifen lassen über die Kaiserfora bis hinauf
zum Kapitol Michelangelos. Man kann mit Bestimmt-
heit hoffen, daß der Traum bald verwirklicht sein wird.

Und nun zu ganz modernen Fragen.

Im Juli haben die zwei Ausstellungen, in die sich
dieses Jahr die Säle des Ausstellungsgebäudes in Via
Nazionale geteilt hatten, ihre Pforten geschlossen, aber
die Debatten über die Secessione und die Societä degli
amatori e caltori dl belle artl haben auch während der
Hundstage nicht geruht, und das ist nicht ohne Vor-
teil, denn die diesjährigen Ausstellungen haben gezeigt,
daß auch in Rom nichts für die Kunst vorteilhafter
sein kann, als ein tüchtiger Sturm, der die Luft
säubert. Daß die Zänkereien so weit gegangen sind,
daß man zu Forderungen und Gerichtsverhandlungen
gekommen ist, das schadet auch nicht. Der große
Zwist war entstanden, weil die veralteten Stamm-
mitglieder der achtzigjährigen altehrwürdigen Societä
degli amatori e cultori di belle arti auf eine Satzung
des nicht weniger ehrwürdigen Regolamento pochend
sich dem Urteil einer Jury nicht beugen wollten.
Sie hatten ein verbrieftes Recht, als alte Mitglieder
der Gesellschaft usque ad consumationem auszu-
stellen und verschanzten sich in ihrem alten, be-
quemen Lager. Da traten fast alle jungen Kräfte aus
der Gesellschaft aus und bildeten die Secessione,
welche dieses Jahr ihre erste Ausstellung mit sehr
gutem Erfolg eröffnet hat. Neben den römischen
und italienischen besten jungen Kräften, wie Feiice
Carena, Francesco Camarda, Vittorio Grassi, Niccolini
Maraini, Prini, Ferrazzi, Umberto Prencipe, waren eine
Gruppe älterer und neuerer französischer Impressio-
nisten, von Manet bis zu Matisse, und die Sonder-
ausstellungen von Paul Troubetzkoy, dem russisch-
italienischen Impressionisten, von Auguste Rodin und
eine hochinteressante Gruppe von Lithographien des
englischen Senefelderklubs zu sehen. Unter den
Deutschen, die bei den Sezessionisten ausgestellt hatten,
sind zu nennen Goltz, Minne, Glicenstein, Roeder
und Bartels. Nicht zu vergessen sind die interessanten
Gläsereien von St. Lerche, der es jetzt versucht, die
uralte Technik der Glashütten von Murano für neue
Formen und Farbenkompositionen zu verwerten und
manches wirklich höchst beachtenswerte Resultat er-
reicht mit köstlichen Farbenwirkungen. Die Teil-
nahme der Deutschen war eigentlich größer bei den
 
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