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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 25.1914

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Hausenstein, Wilhelm: Von der alten Pinakothek
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https://doi.org/10.11588/diglit.6191#0066

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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXV. Jahrgang 1913/1914 Nr. 8. 14. November 1913

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halb]ährlich 6 Mark
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Qewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A.Seemann, Leipzig, Hospitalstr. IIa.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.

VON DER ALTEN PINAKOTHEK.
Aus der Alten Pinakothek in München ist die
Organisation eines venezianischen Kabinetts und eines
Kabinetts von niederländischen Bildern aus der Zeit vor
Rubens zu melden. Von den Porträtisten vor Rubens ist
Niclas Neufchatel mit vier Porträts vertreten, Willem Key
mit einem, Antonis Mor mit einem, Frans Floris mit
zweien. Bei Neufchatel fühlt man noch die subtile
Bildnistradition des 16. Jahrhunderts; ganz besonders
das Doppelbildnis des Mathemathikers Neudorfer mit
seinem kleinen Schüler gemahnt noch etwas an die
von Holbein geschaffene Bildniskultur — indes selbst-
verständlich mit allen den Abschwächungen, die das
unoriginelle, an Epigonen reiche Zeitalter des Neuf-
chatel bezeichnen. (Er starb 1590.) Floris bringt die
Note des Italianisant besonders deutlich hinein, nament-
lich mit einem idealen Frauenkopf. Das Merkwürdigste,
am meisten Erregende ist in dem niederländischen
Kabinett ein heiliger Sebastian von Mor. Das Bild
ist wohl das Porträt eines Mannes, der sich in der
Haltung des heiligen Sebastian — als Halbakt mit
den Attributen des Heiligen, mit Bogen und Pfeil —
malen ließ. Eine wundervoll weiche Arbeit, etwas
lyrisch-preziös, aber doch angenehm und modernem
Gefühl ungemein nahe. Rubens selber ist in dem
Kabinett mit einer Kopie nach einem Jünglingsporträt
von Josse de Cleef vertreten: einer malerisch sehr
kultivierten Arbeit. Von den Landschaftern sind in
diesem neu organisierten Kabinett Paul Bril, Lucas van
Uden, Roelandt Savery und Josse de Momper —- wohl
der feinste von ihnen — vertreten. Von Jan Bruegel
sind die Jahreszeiten da, die er in Verbindung mit
dem konventionellen, porzellanenen Figurenmaler van
Baien gemalt hat. Man findet ferner eine Landschaft
von Pieter Schubrouk und eine von Rubens selber, die
ihn in einer gewissen Befangenheit zu zeigen scheint.
Das Kabinett, das fast lediglich durch geschickte Um-
hängung zustande kam, ist nicht eben ein Clou der
Pinakothek; aber es ist sehr sachlich und sehr in-
struktiv. Das beste Stück ist neben dem Mor und
der Kopie des Rubens nach Cleef eine große Kom-
position von Bueckelaer. Man lernt vor diesem
Stück Bueckelaer tatsächlich neu einschätzen. Man
ist leicht geneigt, ihn für einen gelinden Bluffer zu
halten. Aber auf diesem Bild ist mindestens das
Fischestilleben in Grüngrau, Graublau, Rauchbraun,
Rosa und Hochrot sehr schön, und nicht bloß wegen
der Feinheit der Farben, sondern auch wegen der Frei-
heit der Malerei. Natürlich fehlt es auch hier nicht
an den bei Bueckelaer üblichen anzüglichen Hin-
wendungen der Figuren zum Publikum; aber man
ist nach diesem Bilde mehr als sonst geneigt, Bueckelaer
für ein wesentliches Talent und für ein Opfer eines mode-

heischenden Publikums zu halten. In dem hauptsächlich
ebenfalls durch Umhängungen entstandenen veneziani-
schen Kabinett findet man folgende Bilder beisammen:
das prachtvolle, jetzt erst recht zur Geltung gebrachte
Bildnis von Tintoretto, das den Anatomen Vesalius dar-
stellen soll, das Bildnis eines vollbärtigen Mannes von
Bordone, das herrliche, in köstlicher Pelzmalerei schwel-
gende Selbstbildnis von Palma Vecchio, einen Jüng-
ling mit einer Rose von Francesco Torbido, ein bei
einer gewissen Roheit stilvolles, ganz in Rot gemaltes
Frauenbildnis von Bernardo Licinio, die Madonna
mit Heiligen von Cima da Conegliano und von
späteren religiösen Malereien die Maria mit dem Kind,
Johannes dem Täufer und dem Stifter von Tizian,
anbetende Könige von Veronese, eine malerisch
glänzende Kreuzigungsskizze von Tintoretto, ein ma-
lerisch sehr bemerkenswertes, erst jetzt künstlerisch
erkennbares Ecce Homo von Domenico Feti, von
mythologischen Darstellungen den Jupiter mit der
Antiope von Veronese und von den Landschaften
vier venezianische Ansichten des Canaletto. Dies
Kabinett ist sehr eindrucksvoll. Die glückliche Hängung
und der erlauchte Reiz der neuen Bespannung mit
altem venezianischen Seidenbrokat in bläulichem Rot
trägt zu der konzentrierten Wirkung sehr viel bei;
aber natürlich sind hier auch die Objekte wertvoller
als in dem Vor-Rubens-Kabinett. — Endlich ist über
Zuwachs zu berichten. Aus dem Würzburger Schloß
sind zwei große Stilleben von Niclas van der Meer
gekommen, einem wenig bekannten Amsterdamer
Maler der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts; sie
hängen in dem holländischen Saal des 17. Jahrhunderts,
der sich an den großen altdeutschen Saal anschließt.
Die beiden Stilleben, pompöse Arrangements mit
Früchten, Teppichen, Austern, Gefäßen — auch der
Mohr im Turban fehlt nicht —, sind Dinge von ba-
rockem Reichtum des Gefühls; sie sind nicht ohne
artistisches Wesen, nicht ohne glänzende Oberfläch-
lichkeit; aber sie enthalten abgesehen von der üppigen
Anschauung, die sehr gut zum Ausdruck kommt und
eine besondere Kultur sehr eindringlich bezeichnet,
außerordentliche malerische Einzelschönheiten, die es
allein rechtfertigen würden, daß diese Bilder in die
Pinakothek aufgenommen worden sind. Allein viel
wichtiger ist die Aufnahme eines neuen Grünewald
in die Alte Pinakothek. Er kommt als Leihgabe aus
der Stiftskirche in Aschaffenburg und hängt in einem
der nordöstlichen Kabinette, in dem sich bereits
der andere neuerdings gewonnene Grünewald be-
findet. Das neue Bild, eine Predella, zeigt einen
liegenden Christus. Rechts und links, zu Häupten
und zu Füßen, sind Wappen und kleine Köpfe. Über
dem in Wellenlinien komponierten Akt des Toten
 
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