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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 25.1914

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Deutsches und französisches Kunst-Gewerbe
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KUNSTCHRONIK

1913/1914

Nr. 6. 31. Oktober 1913

Neue Folge. XXV. Jahrgang

Mm rton^ri"? ■U.nd der Kunstmarkt erscheinen am Freitage~jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährliche Mark,
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DEUTSCHES UND FRANZÖSISCHES KUNST-
GEWERBE

Eine große internationale Kunstgewerbeschau soll 1916
in Paris stattfinden. Noch ist man sich nicht einig über die
Art der Organisation, noch nicht über die Platzfrage. Man
zögert mit allen Vorbereitungen. Im Grunde hat man
Angst, Frankreich bloßzustellen. Immer mehr erheben sich
Stimmen, die sich über die Rückständigkeit des Landes
auf diesem Gebiet klar sind und es steht zu befürchten,
daß drei Jahre eine zu kurze Spanne Zeit sind, um den
Vorsprung, den andere Nationen, insbesondere Deutsch-
land haben, wieder einzuholen. M.

Immerhin droht man mit dem großen Gericht 1916,
und es ist bemerkenswert, wie man nun auch von Staats
wegen das eingeschlafene Kunstgewerbe zu neuem, ge-
sundem Leben erwecken möchte. Man verschließt sich
nicht mehr den Errungenschaften der deutschen dekorativen
Kunst, wie man sie genugsam auf den internationalen Aus-
stellungen der letzten Jahre zu beobachten Gelegenheit
hatte, und es bedeutet für Frankreich einen besonders
hohen Grad von Einkehr in sich selbst, wenn es sich
Deutschland zum Muster vorhält.

Unverhohlen spricht von der Überlegenheit der deut-
schen Kunstgewerbeschulen der Bericht, den zwei Delegierte
des Unterrichtsministeriums, H. Valentino und Paul Steck,
anläßlich des vierten internationalen Kongresses für Zeichen-
unterricht auf der Dresdener Ausstellung 1912 veröffent-
licht haben1). Ihre Klage ist die, wie soll man tüchtige
Kunstgewerbler in Frankreich heranziehen, wenn es mit
aller Vorbildung so schlecht bestellt ist? Karg bezahlte
Fach- und Zeichenlehrer geben an den Kunstgewerbe-
schulen in der Provinz wie in Paris ohne irgend eine
Kenntnis der Bedürfnisse der Industrie Unterricht. Nirgends
ein Zusammengehen von Industrie, Schule und Kunstlern
wie in Deutschland. In theoretischen Versuchen versickert
die Initiative, statt daß wie in Deutschland jede Aufgabe auf
ihre praktische Durchführbarkeit hin erprobt würde. In
mancher Hinsicht sind in Deutschland die Schulen Ver-
suchsanstalten der führenden Künstler; von vornherein
wird so alles Schielen nach dem Alten und Abgegriffenen
vermieden; durch die Aussicht auf neue Entdeckungen
wird ein ganz anderer Schaffensmut geweckt. So intensiv
macht sich die Wirl™™ -----<-<--

schließlich a~uch°!irkUng eines solchen Geistes geltend, daß
einen künstlerischen ^scheidenste Erzeugnis der Industrie
hält. Frankreich ist pel von modernem Gepräge er-

----., »u sagt der Bericht, aas Lana,

das am besten zeichnet, insofern Richtigkeit und Sensi-
bilität bei der Wiedergabe der Natur in Betracht kommen,
aber was hilft das Talent — so muß man ergänzen —,
wenn es sich nicht anwenden läßt? Es steht ja nicht
die freie, sondern eben die angewandte Kunst in Frage.

Noch mehr müssen, weil aus dem Mund einer der
kompetentesten Persönlichkeiten in kunstgewerblichen
Dingen stammend, die Äußerungen in dem Bericht2)

1) Journal Officiel, 28. Juni 1913.

2) Kürzlich veröffentlicht vom Handelsministerium und
dem Comite francais des Expositions ä l'Etranger.

Raymond Koechlins über das französische Kunstgewerbe
auf der Turiner Ausstellung seinen Landsleuten zu denken
geben. Zwar kargt er nicht mit Lobsprüchen für die
einzelnen Leistungen, aber ich vermute, manch einer wird
sich an den Dornen ritzen, wenn er nach den Rosen greift,
die Koechlin ihm reicht. Auch er betont die Kluft zwischen
Künstler und Industrie, zwischen modernem Bedürfnis und
althergebrachten Ausdrucksformen, er verkennt nicht die
Unzulänglichkeit der Schulung, aber er rügt vor allem
den Mangel an Kohäsion unter den Künstlern selbst.
De; französische Charakter hat einen individualistischen
Zug, der von vorneherein das Zusammenarbeiten ver-
schiedener Künstler wie verschiedener Branchen erschwert,
aber ohne ein solches Ineinandergreifen kann kein großer
dekorativer Stil entstehen. Lebhaft schildert Koechlin
diese Misere. Vorzüglich gelingt einem Möbelschreiner
eine Bibliothek, aber er fühlt sich verpflichtet, auch die
Metallbeschläge dazu zu entwerfen, anstatt einen zünftigen
Kunsthandwerker damit zu betrauen. Und so steht das
ganze Werk verunziert da. Hegt der Künstler Mißtrauen
gegen die Industrie, so hat er doch nicht mehr Ver-
trauen zu seinen Kollegen. Aus Angst vor Plagiat, aus
Furcht, daß man seine Originalität bezweifelt, schließt er
sich ab, lehnt die Mithilfe derer ab, die ihm nützlich
oder notwendig wären. Koechlin greift — bezeichnender-
weise für einen Franzosen — den Einwand der Leute
auf, die dem modernen Kunstgewerbe vorhalten, daß es
zwar schon gelungene Speise- und Arbeitszimmer, aber
noch nie einen annehmbaren Salon, den Probierstein aller
dekorativen Kur'4, geschaffen habe. Welches ist die Ur-
sache davon? Weil eben Möbelschreiner, Metallschneider,
Stoffzeichne., jeder an einem anderen Strang zieht. — Hier
scheint mir Soziales und Ästhetisches merkwürdig durch-
einandergemischt. Die Leute, die jenen Einwand erheben,
verbinden gewiß mit dem Begriff »Salon« Geselligkeit und
Umgangsformen einer früheren Zeit. Wie soll aber für
Dinge, die nicht mehr existieren, ein moderner Ausdruck
gefunden werden? Ein Nonsens. Man entäußere sich in
Frankreich des Wunsches nach einer neuen Art »Salon«
(Salon gleichbedeutend nämlich mit Louis XVI.), und man
wird vielleicht überrascht sein, welch plötzlicher Fort-
schritt in der Lösung des dekorativen Problems gemacht
worden ist.

Wie dem auch sein mag, die Eigenbrödelei des fran-
zösischen Kunstgewerblers ist Koechlin ein Dorn im Auge.
Zu eigenwillig folgt er den Einfällen seiner Phantasie, vor
allem der Möbelzeichner. Die Folge ist ein Mangel an
Logik im Aufbau, ein Mangel an Komfort beim Gebrauch.
Aber schafft man denn überhaupt für den Gebrauch?
Koechlin legt hier ohne Scheu den Finger in eine Wunde:
Ȇberblickten wir die ausgestellten Arbeiten (in Turin),
so bemerkten wir wohl ihre seltenen Vorzüge, aber jeden
Augenblick mußten wir uns gestehen, wir hatten es mit
Meisterwerken zu tun, die für die Vitrine geschaffen sind,
nicht mit Dingen von alltäglichem Gebrauch. Die deko-
rative Kunst aber hat den Zweck, die Dinge unseres All-
taglebens zu verschönen, diejenigen, die immer in unseren
Händen sind, viel mehr, als Ausstellungsstücke zu schaffen;
und es ist nicht ein Zeichen von Gesundheit, das Schwer-
 
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