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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 25.1914

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Kern, G. J.: Die Umgestaltung des Potsdamer Rathausplatzes, [1]: eine städtebauliche Betrachtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.6191#0118

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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXV. Jahrgang 1913/1914 Nr. 15. 2. Januar 1914

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark
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leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a.
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DIE UMGESTALTUNG
DES POTSDAMER RATHAUSPLATZES
Eine städtebauliche Betrachtung von O. J. Kern
Unaufhaltsame Entwicklung hat in den letzten vierzig
Jahren Berlin zu einer modernen Weltstadt gemacht.
Nur vereinzelte Bauten oder Gebäudegruppen stehen
im Lärm der City als stumme Dokumente der Zeit,
da das Industrie- und Handelszentrum von heute eine
stille Residenz war. Doch haben wir nur vor die
Tore des neuen Berlin zu gehen, und wir lernen
etwas mehr von seinem alten, intimen Wesen kennen.
Das benachbarte Potsdam bietet noch immer ein über-
raschend gut erhaltenes Bild der alten Zeit; der fride-
rizianischen Epoche wie der Zeit vor hundert Jahren.
Der Exerzierplatz mit dem Stadtschloß, der Marstall
und die Garnisonkirche, der alte Markt mit seinen
palladianischen Häusern, dem biederen Rathaus, Schin-
kels weitblickender stolzer Domkuppel und dem Schlosse
müssen sich jedem, der die Stadt und die Gärten des
großen Königs besucht, für immer einprägen. Wenn
an einem solchen Stadtbilde, das zu den schönsten
in ganz Norddeutschland gehört und durch große Er-
innerungen geweiht ist, einschneidende Veränderungen
vorgenommen werden sollen, so ist das eine Frage
von mehr als lokaler, von vaterländischer Bedeutung.

Das alte Rathaus war seiner Aufgabe schon längst
nicht mehr gewachsen. Die unmittelbar benachbarten
Bürgerhäuser an der Ostseite des Marktes waren schon
in die Verwaltung mit einbezogen. Neuerdings hatte
man auch noch ein über Eck an der Südseite liegen-
des großes Haus, den Palast Barberini, angekauft. Das
Hinterland des Rathauses, ein spitz auf den Blücher-
platz zulaufender Baublock, stand zur Verfügung. Nun
sollte eine unter der Architektenschaft Groß-Berlins
ausgeschriebene Konkurrenz Klarheit darüber schaffen,
ob mit Erhaltung des alten Rathauses und mit einer
Verbindung hinüber zum Palazzo Barberini auf dem
nicht sehr günstigen Grundstück ein modernen An-
forderungen entsprechender Bau zu schaffen sei. Doch
war jene Verbindung nicht unbedingt gefordert. Wollte
man sie herstellen, so ergab sich fast von selbst die
Notwendigkeit, für die Gruppe städtischer Verwaltungs-
gebäude einen wirksamen Mittelbau zu schaffen, der
zwischen dem alten Rathaus und dem Palazzo Barberini
liegen müßte. Verzichtete man darauf, so lag die Ge-
fahr nahe, daß der Neubau einen hinkenden Eindruck
machte, weil das alte Rathaus an der einen Ecke des
Baublockes liegt. Dieser Schwierigkeit konnte man
begegnen, wenn man die andere Ecke zurückbog und
sie zum Kopf der schief in den Platz einmündenden
Brauerstraße machte, während das Rathaus selbst die
Front einer kräftigen Tiefenentwicklung in der Haupt-
achse darstellen mußte. Zog man dagegen die Ecke

vor, ohne gleichzeitig die Verbindung zu schaffen, so
bildete sich sozusagen ein halber Schloßgrundriß mit
dem alten Rathaus als Mitte und der Ecke als dem
einen Flügel.

Landsberg, der den I. Preis unter 150 Bewerbern
davontrug, hat diese Lösung gewählt und in einer
Variante die Konsequenz gezogen, den zweiten fehlen-
den Flügel der schloßartigen Anlage durch Hinüber-
greifen über die andere Nebenstraße zum Nachbar-
block herzustellen. Damit erhielt er eine Front, die
an sich recht wirkungsvoll ist, jedoch den alten bürger-
lichen Charakter des Rathauses ganz aufgibt und dem
Stadtschloß Konkurrenz macht. Allerdings kommt
dieser Entwurf dem Wunsche nach städtischer Reprä-
sentation weit entgegen. Der Grundriß enthält in beiden
Hauptgeschossen eine große Wandelhalle, die offenbar
ebenfalls repräsentativen Absichten dient, leider auf
Kosten der Gestaltung wichtiger Räume, z. B. der Kassen.

Die mit dem II. Preise gekrönte Arbeit von Schuster
und George stellt die Verbindung zwischen Rathaus
und dem Palast Barberini her, wie uns scheint, durch
eine etwas matte Architektur. Wenn man die beiden
charakteristischen alten Häuser, die jetzt an dieser
Stelle stehen, beseitigt, muß man auch wagen, Cha-
rakteristisches für sie einzusetzen.

Weniger im Sinne einer überwiegend repräsen-
tativen Auffassung haben Krischen und Liebenthal,
die den III. Preis davongetragen haben, die Aufgabe
gelöst. Es kam ihnen offenbar mehr auf die Erhal-
tung des alten bürgerlichen Charakters des Platzbildes
an. Indem sie verschiedene Möglichkeiten künstlerisch
durcharbeiteten, gelangten sie in einer Variante, die
angekauft wurde, zu einer Lösung, die sehr wenig an
dem Bestehenden ändert. Die Lösung, die das alte
von Knobeisdorff erbaute Haus erhält, erscheint uns
als die glücklichste. Da die Grundrisse beider vor-
liegenden Entwürfe das schwierige Problem, das im
dreieckigen Bauplatz begründet liegt, feinsinnig dahin
gelöst haben: Die Hauptentwicklung des Grund-
risses vollzieht sich in der Achse des alten Rat-
hauses, die Schiefheit des Grundstückes wird durch
das radiale System und kleine fast unauffällige Ver-
schiebungen im Treppenhaus für alle wichtigen und
fast alle übrigen Räume beseitigt.

Möhrings Entwurf, der an zweiter Stelle einen
III. Preis errang, gipfelt in dem Vorschlag, das Archi-
tektursystem des alten Rathauses bis zur Ecke des
Blockes zu verlängern. Durch Verlegung des Einganges
und Verdoppelung des Turmes wird für die Fassade
allerdings ein symmetrisches Bild erzielt. Turmanlage
und Grundriß fallen aber auseinander, das Bindeglied
sind Eisenkonstruktionen! Außerdem verwischt der
Möhringsche Entwurf restlos die Grenze zwischen Alt
 
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