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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 25.1914

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Seidlitz, W. von: Alfred Lichtwark
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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXV. Jahrgang 1913/1914 Nr. 18. 23. Januar 1914

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erseheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw.,.die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A.Seemann, Leipzig, Höspitalstr. IIa.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.

ALFRED LICHTWARK

Die Trauer um Lichtwarks Hingang ist tiefer und
allgemeiner als beim Verlust anderer ausgezeichneter
Männer, die gleich ihm der Tätigkeit für einen be-
stimmten Ort eine Bedeutung zu geben wußten, welche
ganz Deutschland zugute kam, weil er eine Persön-
lichkeit von außergewöhnlichem Gepräge war, deren
Unersetzbarkeit unmittelbar empfunden wird.

Nach kurzer Vorbereitung in Berlin trat er 1886
als Dreiunddreißigjähriger die Leitung der Hamburger
Kunsthalle an, und stellte erst nach genauerer Kenntnis
der dortigen Verhältnisse ein Programm auf, an dem
er dann aber, allen Widerständen zum Trotz, mit
eiserner Energie festgehalten hat.

Das konnte er tun, weil er jeden Schritt sorg-
fältig erwog, den Entschluß aber aus eigenem Urteil
faßte, ohne sich durch die herrschende Gewöhnung
bestimmen zu lassen. Er war eben ein Mann von
Ideen, und diese kamen ihm aus einer scharfen Er-
fassung der Bedürfnisse und Lücken, welche nach
einer Ausfüllung und Befriedigung verlangten. Seinem
scharfen Blick konnte nicht entgehen, daß mit dem
gleichgültigen Inhalt der alten Kunsthalle niemand
gedient «ei, während nur eine solche Kunst die Zu-
kunft zu fördern vermöge, welche auch auf die tätigen
Kräfte der Gegenwart einwirke.

War somit sein Streben von Anfang an darauf
gerichtet, in Hamburg den Zusammenhang mit der
lebenden Kunst durch Heranziehung ihrer vornehmsten
Vertreter herzustellen, so ließ ihn sein historisch ge-
schulter Blick erkennen, daß alle künstlerische Ent-
wicklung auf der Vergangenheit beruht, deren Ansätze,
auch wo sie in Vergessenheit geraten sind, hervor-
gesucht werden müssen, damit nicht wertvolles natio-
nales Gut verloren gehe. Dieses Anknüpfen an die
Vergangenheit war seine eigenste Tat, ein ganz neuer
und fruchtbarer Gesichtspunkt, der erst durch ihn zu
einem unverlierbaren Bestandteil gesunder heimischer
Sammlertätigkeit geworden ist.

Damit hatte er ein Gebiet erschlossen, das ihm Ge-
legenheit bot, seine mannigfaltigen Gaben zu voller
Entfaltung zu bringen. War er erst einem Werk
oder einem Meister auf der Spur, so wurde er nicht
müde, oft unter Aufbietung eines bewundernswerten
Scharfsinns, den Zugang dazu zu finden. Wie ein
Jäger ließ er seine Beute nicht aus dem Auge, bis
es ihm gelungen war, alle Nachrichten zusammen-
zubringen, die zur Würdigung des Besitzes nötig
waren. Erklärlich war es, daß er nach jahrzehnte-
langer Tätigkeil auf diesem Gebiete den Wunsch
hegte, nicht nur für Hamburg, sondern auch für das
übrige Deutschland eine solche Entdeckerarbeit durch-
geführt zu sehen. Das brachte ihn auf den Plan der

Jahrhundertausstellung, den er schon mehrere Jahre
vor der Ausstellung in der Nationalgalerie in nach-
drücklicher Weise zu betreiben begonnen hatte, und
als dessen alleiniger Urheber er anzusehen ist, wenn
auch die Ausstellung wohl nicht so bald hätte ver-
wirklicht werden können ohne die Mitwirkung
Tschudis, der sich mit seiner vollen Kraft in den
Dienst dieser Sache stellte.

Aufs tiefste ist zu beklagen, daß Lichtwark die
Fertigstellung des Neubaus für die Hamburger Kunst-
halle, den er bis in alle Einzelheiten vorbereitet hatte,
nicht mehr hat erleben können. Erst nach der Er-
öffnung wird man übersehen können, wie ausgezeich-
net und vorbildlich seine Sammlertätigkeit gewesen
ist, da bisher nur die Säle mit den Werken der von
ihm entdeckten Meister des Mittelalters sowie der für
Hamburg bestellten Bildnisse und Landschaften eine
würdige Aufstellung gefunden haben, während die
Menzels, Leibis, Liebermanns, Uhdes, Klingers, Thomas,
die er zu vereinigen gewußt hat, kaum voll gewürdigt
werden konnten. Sein Leben und Wirken aber liegt
so klar vor aller Augen, erweist sich namentlich durch
seine zahlreichen Schriften, die noch Tausenden Ge-
nuß und Anregung bieten werden, als so frucht-
bringend, daß die Klage um ein vorzeitiges Hin-
scheiden nur die gleiche Berechtigung hat, wie bei
dem Verlust einer jeden anderen bedeutenden Per-
sönlichkeit.

Was er dagegen als Mensch gewesen ist und was
das Geheimnis seiner nachwirkenden Kraft bildet, das
wird freilich in ähnlicher Weise nicht wiederkehren,
da er eine Ausnahmenatur war, deren Stärke in der
harmonischen Ausbildung des ganzen Menschen und
in dem Verfolgen selbstgesteckter Ziele lag. Fern von
aller Eigenwilligkeit und vor allem von jeglichem
Ehrgeiz war er bei liebenswürdigen Umgangsformen
und überlegenem Humor doch eine ausgesprochene
Herrschernatur, die sich die Menschen dienstbar zu
machen wußte, nicht um persönlicher Zwecke willen,
sondern wegen der Förderung als gut und notwendig
erkannter Aufgaben. Denn über das Tagesgeschäft
hinaus führte ihn der Wunsch, die produktiven Kräfte
der Nation zu steigern und an der Weiterentwickelung
deutscher Gesittung mitzuarbeiten, damit der Wett-
kampf mit den Völkern älterer Kultur siegreich be-
standen werden könne. Deshalb wurde er nicht
müde, die volkswirtschaftliche Bedeutung der künst-
lerischen Ausbildung, sein Lieblingsthema, immer
wieder zu betonen. Solchen Bestrebungen zuliebe
scheute er auch Schroffheit nicht gegenüber Persön-
lichkeiten, die Widerspruch nicht gewöhnt sind.

Die Sicherheit seines Auftretens beruhte vor allem
auf der Ausbildung eines feinen und zugleich ge-
 
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