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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 25.1914

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Zeitler, Julius: Ein neues Kunstgewerbe-Museum in Leipzig
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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXV. Jahrgang 1913/1914 Nr. 34. 15. Mai 1914

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
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EIN NEUES KUNSTGEWERBE-MUSEUM
IN LEIPZIG
von Dr. Julius Zeitler

Als im Jahre 1895 das Grassi - Museum der
Öffentlichkeit übergeben wurde, dachte man wohl
längere Jahre mit den Räumen, die es bot, aus-
kommen zu können. Diese Hoffnung war trüge-
risch. Die beiden Museen, die in dem Hause unter-
gebracht waren, entwickelten sich so bedeutend,
daß schon nach kürzerer Frist eine Raumnot sich
bemerkbar machte. Mit der Vermehrung der kunst-
gewerblichen Sammlungen hielt ein gewaltiges Wachs-
tum des Museums für Völkerkunde Schritt; ja letzteres
dehnte sich durch die Angliederung neuer Ab-
teilungen, wie des Museums für Länderkunde, so
sehr aus, daß reiche Bestände magaziniert werden
mußten und der Forschung und Anschauung ent-
zogen blieben. Die Engigkeit, in der die Sammel-
gegenstände aufgestapelt werden mußten, auf kunst-
gewerblichem nicht weniger als auf völkerkundlichem
Gebiete, wurde immer drückender, der Gedanke an
eine Änderung mußte daher in den beiden Direk-
toren der Sammlungen, in Prof. Dr. Graul und in
Prof. Dr. Weule, immer stärker werden. Eine Vor-
aussicht, daß die Zustände im Grassi-Museum immer
unhaltbarer werden mußten, war auch schon früh
vorhanden; schon 1905 sicherte sich die Stadt auf
dem Gebiet des Römischen Hauses das zum Museum
gehörige, nach der Härtelstraße zu gelegene Hinter-
land. Auf diesem Gelände, das zurzeit noch mit
dem für die Herstellung des Universitäts-Aula-Bildes
errichteten Atelier besetzt ist, soll nun der Erweiterungs-
bau des Grassi-Museums aufgeführt werden. In
diesem sind ein neuer Vortragssaal, sowie neue Räume
für die Forschungsinstitute der Völkerkunde beabsichtigt,
vor allem können hier die Sammlungen in über-
sichtlicher und zweckmäßiger Weise aufgestellt und
gezeigt werden. Das Prinzip der geographischen
Ausstellung soll seine Erweiterung in entwicklungs-
geschichtlichen und vergleichenden -Zusammenstel-
lungen finden. Den bestehenden Museen soll ein
Kolonialmuseum in ganz grossem Maßstabe sich an-
schließen. Man konnte nun den Gedanken hegen,
daß in diesem Erweiterungsbau beide Museen Unter-
kunft finden konnten. Eine solche Lösung wäre aber
nur Flickwerk. Es ist an sich ganz ausgeschlossen,
daß das Kunstgewerbemuseum länger als ein paar
Jahre die neuen, noch dazu spärlich genug zube-
messenen Räume innehalten könnte, denn die völker-
kundlichen Sammlungen sind gerade in der Gegen-
wart in einem ungemeinen Wachstum begriffen, und
in Kürze dürfte sich das Kunstgewerbe wieder in
dem nur zu lange vertrauten Zustand der »quetschen-

den Enge« befinden. Wenn das Kunstgewerbe-
museum den Erweiterungsbau mit einnähme,
könnten ihm nur im Erdgeschoß vier Fenster-
achsen und im Hauptgeschoß 13 Fensterachsen zur
Verfügung gestellt werden, die Sammlungen könnten
ein wenig systematischer aufgestellt, die Verhält-
nisse der Kanzlei und der Bibliothek etwas verbessert,
endlich könnten bestenfalls einige Räume für neue
Abteilungen (dekorative Malerei, Musikinstrumente),
sowie für wechselnde kleine Ausstellungen gewonnen
werden. Damit wäre es aber auch schon zu Ende. Die
Raumansprüche des Völkerkundemuseums schließen
jede weitere Vergrößerungsmöglichkeit für das Kunst-
gewerbe aus, ja es läßt sich mit Sicherheit sagen,
daß letzteres schon in zwei, drei Jahren von selbst
zum Hause hinausgedrängt sein werde. So erscheinen
auch die Verhältnisse des Erweiterungsbaus für die
kunstgewerblichen Sammlungen vollkommen unzu-
länglich. Mit diesem von vornherein provisorischen
Zustand wäre dem Kunstgewerbemuseum nicht im
entferntesten geholfen. Die weitere Entfaltung des
Museums wäre aufs schlimmste beeinträchtigt; in seiner
Kulturaufgabe, in seiner ganzen kunstgewerblich er-
ziehlichen und sozialen Wirksamkeit wäre es aufs
schwerste geschädigt. Die schon des längeren ge-
plante Abteilung für moderne Kunst in Ge-
werbe und Industrie könnte an der alten Stätte
überhaupt nicht entstehen, und doch wäre deren Ein-
richtung sowohl für die Engrosmesse wie für die
Hebung der einheimischen kunstgewerblichen Arbeit
von größter Wichtigkeit. Von Bedeutung ist auch,
daß sich der Baucharakter des alten Grassi-Museums
auf den Erweiterungsbau erstrecken wird, letzterer
bietet also keine Gelegenheit, die kunstgewerblichen
Sammlungen so eindrucksvoll und übersichtlich vor-
zuführen, wie es gegenwärtig von diesen Instituten
zu verlangen ist.

Von den Zielen des Museums und ihrer Be-
gründung muß sogleich gesprochen werden. Es
muß klar geworden sein, daß sie sich im alten Hause
nicht verwirklichen lassen. Die Verhältnisse erfordern
gebieterisch den Neubau eines eigenen Kunstgewerbe-
museums, die Ablösung vom Grassi-Museum. Der
Rat der Stadt Leipzig beabsichtigt nun, für die neu
entstandenen Aufgaben und Ziele einen Museums-
komplex an der Johanniskirche zu errichten. Die
Stadt Leipzig würde sich den Dank aller an der
Kultur interessierten Kreise verdienen, wenn sie diese
Absicht in Kürze der Verwirklichung entgegenführte.
Das Projekt wird hoffentlich um so eher die Be-
willigung der Bürgerschaft finden, als die Aus-
führung des Museumsneubaues nicht mit einem
Male erfolgen soll, es ist vielmehr eine allmäh-
 
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