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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 25.1914

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Wallsee, H. E.: Hamburger Brief
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.6191#0060

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101

Nekrologe — Ausstellungen

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sondern immer nur nach einer Bereicherung seiner eigenen
Farbentafel gestrebt, das hat ihn als Künstler reich gemacht,
doch als Mensch im Wohlstand nicht gefördert. Die Ham-
burger Kunsthalle besitzt nur zwei Werke von ihm, davon
eines — tanzende Matrosen — in seine Erstlingszeit zurück-
reicht, in privaten Häusern sucht man nach Spuren seines
Wirkens überhaupt vergebens. Daß Orethe gleichwohl im
Beschicken von Hamburger Ausstellungen nicht erlahmte,
hing mit der Wunsch gewordenen Hoffnung zusammen,
was er als Lehrer an Wissen in der Fremde gesammelt
dereinst doch noch einmal zugunsten seiner Vaterstadt,
und in dieser als Lehrer einer hier ins Leben gerufenen
Kunstschule verwerten zu können. Es hat nicht sollen sein,
und es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, daß die tr-
öffnung unserer neuen Kunstgewerbeschule, die als einzige
staatliche Kunstlehranstalt Hamburgs auch das höhere
Kunststudium in ihren Lehrplan aufgenommen hat, zeitncn
mit dem Tode Qrethes in einen und denselben Monat
zusammengefallen ist. ,, .

Von den in den letzten Wochen stattgehabten Aus-
stellungen verdient die des Hamburgers Ernst Eltner,
der der Kunstverein einen eigenen Raum angewiesen hat,
besondere Erwähnung. Eitners Name war unter den Vor-
kämpfern der jungen Kunst in Hamburg inmitten der
achtziger Jahre viel genannt. Die Bewegung als solche
wurde seither längst von anderen »Bewegungen« abge-
hst, doch wenn von den führenden Männern der jungen
Hamburger Kunst gesprochen wird, sind immer noch jene
aus den achtziger Jahren gemeint, obwohl sie längst den
älteren Herren zuzurechnen sind. Das Zutreffende dieser
Berechnung zeigt auch das mitausgestellte Selbstbildnis
des Künstlers, auf dem er, mit seinen Arbeitsgeraten aus-
gerüstet, sich als ein recht ernst aussehender, durchaus
nicht mehr junger Mann präsentiert. In der sorgfaltigen
Durchzeichnung dieses Selbstbildnisses ist wohl am deut-
lichsten der Wandel zum Ausdruck gebracht, den die ge-
samte junge Hamburger Kunst von der Zeit ihres Aus-
ganges bis heute durchgemacht hat. Aber auch die feinen
Interieurstimmungen, in denen die menschliche Figur -
je eine am Fenster sitzende Frau - den geistigen Mittel-
Punkt abgibt, sind von einer Zartheit der Linienführung
von der sich die Stürmer und Dränger der Anfangszeit
nichts hatten träumen lassen. Das einzig Unveränderte,
das gewissermaßen ein Band zwischen heute und damals
schlingt, ist die Liebe zur frühlingshaften Natur, die in den
figürlichen Bildern Eitners ebenso wiederkehrt, wie in
seinen rein landschaftlichen Darstellungen. Eine andere
Grundnote, die gleichfalls alle seine Bilder durchzieht,
nämlich ein leicht gelbgrünlicher Einschlag in den Luft-
und Schattentönen, möchte ich zum Teil als eine Reflex-
wirkung des neuen orangefarbenen Wandüberzuges be-
J«i ' ^er dem Raume selbst zwar eine gewisse Frische
«nH li* 1 aber - wie der Fall Eitner beweist - hie
und da doch auf Kosten der ausgestellten Werke geht.

in der Galerie Commeter ist der Versuch unter-
nommen, in einer Ausstellung von Original-Steindrucken, die
von dem Senefelder-Klub in London hergestellt wurden, das
Interesse für diese Kunstform, das seit Jahren aus inneren
urunden ziemlich im Niedergange war, neu zu beleben.
L|a die ausstellenden Künstler, die durchweg Engländer
sind Namen wie Joseph Penneil, A. S. Hartrick, Charles
M. Shannon u. a. zu den ihren zählen, alles mit Einschluß
des Druckes selbst besorgen und nur eine begrenzte Zahl
von Abzügen herstellen, wird der Eindruck von Radierungen
zuweilen tatsächlich geweckt. Für die Überlegenheit, die
die Radiertechnik selbst diesen künstlerisch vielfach ein-
wandlosen Steindrucken gegenüber behauptet, sind übrigens
icntenswerte Zeugen in den gleichzeitigen Ausstellungen

des kürzlich verstorbenen Lübeckers Heinrich Eickmann
und seines Schülers E. Pickard beigebracht. Aus den
von Eickmann radierten, von unverstählten Platten abge-
zogenen religiösen und Darstellungen aus der nieder-
sächsischen Landschaft spricht ebenso wie aus seinen
Schilderungen aus dem bäuerlichen Kleinleben ein
großer seelischer Reichtum, der wie eine Bestätigung er-
scheint jener Aufstellung, nach der einem frühen Tode
verfallene Künstler — Eickmann starb im 43. Lebensjahre
— die Gabe der Mitteilsamkeit in einem erhöhten Maße
besitzen. Die Sympathie, die Eickmanns Schüler Pi ckard
durch die dem Katalog vorangestellte Besprechung des
Lebenswerkes seines Lehrers auf sich gezogen, wird ver-
stärkt durch die vorgelegten Resultate des Unterrichts:
Charakterköpfe, Landschaft und Architektur. Auch sie sind
Dokumente eines warmen Künstlernaturells, h. e. Wallsee.

NEKROLOGE

Viel zu jung, auf der Höhe seines Schaffens ist am
24. Oktober Carlos Grethe gestorben (geboren 1864 in
Montevideo). Im Lexikon findet man ihn unter der scha-
blonenhaften Bezeichnung eines Genre- und Marinemalers.
Beides ist nicht richtig. Ein Genremaler war er höchstens
in den unfertigen Anfangsstadien seiner Tätigkeit, ehe er
seinen künstlerischen Stil fand, und ein Marinemaler ist er
nie gewesen. Denn dazu gehört ohne Zweifel etwas von
unkünstlerischem Interesse am Technischen oder Sport-
lichen der Schiffahrt, ein gewisses Betonen der Kenner-
schaft. Aus Grethes Bildern kann gottlob niemand segeln
lernen. Was ihn zum Maler des Meeres — nicht von
Marinen — werden ließ, das der eine große Inhalt seiner
Kunst gewesen ist von seiner Reise nach Mexiko (im Jahre
1888) an bis ans Ende, war ein rein künstlerisches Interesse
an der Größe der Meeresnatur, war vor allem seine Hin-
gabe an die Großartigkeit und die ewig wechselnde Vielheit
der malerischen Erscheinungen am Meere, für deren
Wiedergabe er einen durchaus persönlichen, männlichen
Stil gefunden hat. Mit der Lust an den malerischen Pro-
blemen und ihrer künstlerischen Bewältigung einte sich
häufig ein sehr kräftiges, gesundes Gefühl für einfache, im
besten Sinne dekorative Wirkungen. — Ihm selbst aber
war darüber hinaus das Meer (vgl. Zeitschrift für bildende
Kunst, 1912/1913, Heft 8 »Carlos Grethe« von Max Lehrs)
das »Elementarste«, das »rastlos tätige« »Ungetüm«, mit
dem der »kleine Mensch« »ununterbrochen Kampf führt«.
Das Verhältnis dieses Menschen, des nordischen Seemanns,
dessen stilles Heldentum er stark empfand, zur Natur,
d. h. zum Meere auszudrücken, ist ihm selbst als der
eigentliche Inhalt seiner Kunst erschienen.

AUSSTELLUNGEN

Thomas Couture (1815—1879). Die Galerie Heine-
mann, die vor Jahresfrist eine große Ausstellung von Werken
Feuerbachs veranstaltet hat, brachte im Oktober dieses Jahres
eine umfassende Kollektion von Werken seines Lehrers
Couture, die uns zwingt, das Urteil über Couture zu seinen
Gunsten zu revidieren. Man war gewohnt, über ihn ohne
viel Aufwand hinwegzugehen; auch Meier-Graefe, der beste
Kenner der französischen Malerei des 19. Jahrhunderts,
erwähnt ihn beinahe nur in dem Sinn, als wäre er nichts
gewesen, als der belanglose Lehrer Feuerbachs und Puvis
de Chavannes, Victor Müllers und Manets, an den man
erinnert, weil große Schüler nichts von ihm gelernt haben.
Die Ausstellung bei Heinemann erweist, daß die Sache
nicht ganz so einfach war. Es soll hier nicht von den
historischen Verdiensten Coutures die Rede sein, die einer
besonderen Erörterung wert wären: von seiner Bedeutung
 
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