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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 25.1914

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Dresdener Brief
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Wallsee, H. E.: Hamburger Brief
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99

Dresdener Brief —

Hamburger Brief

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Eine neue Erkenntnis für Oraffs Kunst bringt die Aus-
stellung nicht: Anton Graff war der Modemaler seiner Zeit
und er war es mit Recht, denn er besaß die Gabe indivi-
dueller Gestaltung; er war, wie auch seine zahlreichen
Selbstbildnisse zeigen, ein scharfer Beobachter mit ein-
dringlichem Blick, und er verstand es, seine Modelle im
glücklichen Moment zu erfassen. Daß auch gar manche
seiner Bildnisse konventionell aufgefaßt und rein routine-
mäßig gemalt sind, kann bei der Fülle der Bilder, die er
jahraus jahrein herstellte, nicht in Erstaunen setzen. Für
den Gesamteindruck der Ausstellung wäre es daher schließ-
lich besser gewesen, etwas mehr auszusondern, aber das
gesamte Kulturbild der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts,
das in der Ausstellung vor uns ersteht, ist doch so reiz-
voll, daß man auch das minder Wertvolle in den Kauf
nimmt. Nennen wir z. B. Männer wie Lessing, Herder,
Wieland, Schiller (das allerdings wenig charakteristische
sentimentale Bild des Dresdner Körner-Museums), Geliert,
Geßner, Lavater, Bodmer, Körner (der Vater), Ramler,
Rabener, ferner Chodowiecki, lffland, Bause, Tiedge,
Elise von der Recke — so tut sich schon eine weite
Geisteswelt auf, die Graff für uns wieder lebendig macht.
Dazu kommen Fürstlichkeiten, Politiker, Adlige, Offiziere,
Patrizier, Kaufleute, Männer und Frauen aus dem Bürger-
stand, kurzum eine bunte Gesellschaft voll Würde und
Vornehmheit, oder auch in behaglicher, ja zuweilen heiterer
Auffassung, wie es die Persönlichkeiten oder die Laune
des Künstlers mit sich brachte. Alles in allem dürfte den
Kunstfreunden der Besuch der Dresdner Graff-Ausstellung
wohl zu empfehlen sein.

In Emil Richters Kunstsalon sieht man zum ersten-
mal in Dresden eine futuristische Ausstellung, an der
die vier italienischen Maler Umberto Boccioni, Carlo D.
Corra, Luigi Russolo und Gino Severini beteiligt sind. Liest
man das »feurig gewaltige Manifest des Futurismus«, das in
dem Katalog abgedruckt ist, so ist man einigermaßen ent-
täuscht, daß diese Futuristen so — zahm sind, wenigstens
im Vergleich zu dem, was man 1912 in Köln und 1913
in Leipzig sah. Diese Maier gehen teils auf dekorativ
farbige Wirkungen in flächenhafter Darstellung aus, teils
suchen sie den Eindruck verwirrender heftiger Bewegungen,
ganz flüchtiger Eindrücke und Stimmungen wiederzugeben.
Bei den dekorativen Malereien, die etwa wie Teppiche
oder wie unvollkommene Mosaiken wirken, hat man nicht
den Eindruck von etwas vollständig Neuem, wobei man
anerkennen muß, daß die Maler dabei zum Teil einen
gebildeten Geschmack für Farbenzusammenstellungen und
ein nicht unbeträchtliches Können an den Tag legen. Sieht
man so mit unbefangenen Augen die Bilder als dekorative
Leistungen an, so erstaunt man freilich gar sehr, wenn
man nachher die Erklärungen im Katalog liest, so z. B.,
wenn man sich an Severinis schwarzem Kater erfreut hat
und dann den tiefen Sinn dieses mosaikartigen Bildes er-
fährt: »Das Gefühl der krankhaften Beklemmung, nachdem
man Edgar Allan Poes Novelle gelesen hat«. Bei anderen
Bildern ist des Malers Empfindung eindringlicher ge-
staltet, so in Boccionis Macht der Straße: »Die Absicht
ist, die dynamische Macht, das Leben, den Ehrgeiz, die
Angst, die man in einer Stadt beobachten kann, das er-
drückende Gefühl, das der Lärm verursacht, darzustellen«.
Hier hat man etwas von dem Gefühl, das den Künstler
beseelte, sein Bild hat auch räumliche Anschauung und
empfundene Gestaltung. Andere Bilder sind einfach talent-
los, man sieht da Bruchteile von Gegenständen und Men-
schen wie im Kaleidoskop durcheinandergeschüttelt, ohne
daß man eine künstlerisch überzeugende Absicht wahr-
nehmen könnte. Corra will z. B. den Eindruck des sich
bewegenden Mondlichts oder die Empfindung eines in der

Straßenbahn Fahrenden und des Beschauers von draußen
zu gleicher Zeit malen — in beiden und ähnlichen Fällen
ohne jeglichen Erfolg. Ein Bild, das man ohne Kom-
mentar etwa auf Karpfen im Netz taxiert, stellt sich nach
dem Katalog heraus als: Mailänder Bahnhof, Impression
eines Eisenbahndammes. Eher findet man sich in dem
Gemälde Beerdigung des Monarchisten Galli zurecht, auf
dem es einen stürmischen Kampf zwischen den »Leid-
tragenden« und den zur Aufrechterhaltung der Ruhe auf-
gebotenen Lanzenreitern abgibt. Die gewaltige Aufregung
eines solchen fanatischen Straßenkampfes tritt hier wohl
in die Erscheinung; dabei hat der Künstler versucht, das
Schwirren der Stöcke in ornamentaler Weise anzudeuten;
es ist aber beim Ornament geblieben, ohne daß man an
die Bewegung glaubt. Es ist unzweifelhaft interessant,
daß diese Künstler versuchen, Licht, Farbe und Gestalten
in Bewegung darzustellen; vorläufig sind sie aber noch
weit vom Ziele entfernt. Ob sich diese Versuche als wert-
voll für die Entwicklung der Kunst erweisen werden, bleibt
abzuwarten.

HAMBURGER BRIEF
Das seit geraumer Zeit diskutierte Projekt eines Aus-
stellungsgebäudes ist aus dem Stadium bloßer Erörterung
in das einer greifbaren Wirklichkeit übergetreten. Es hat sich
eine G. m. b. H. konstituiert, die mit einem Kapital von
350000 M. ausgerüstet, den Bau ins Leben rufen will. Nur
über die Platzfrage steht eine endgültige Beschlußfassung
noch aus. Das Bedürfnis nach einem solchen Ausstellungs-
gebäude ist tatsächlich vorhanden. Wenigstens für die Produ-
zenten. So hat der Kunstverein früher in meist vierjährigen
Abständen in den Räumen der Kunsthalle große Frühjahrs-
ausstellungen mit internationalem Charakter abgehalten,
die gewissermaßen eine Generalübersicht dessen boten,
was zersplittert in den Monatsausstellungen vorgeführt
wurde. Da die Kunsthalle selbst an Raumknappheit krankt,
der durch einen zurzeit im Werk befindlichen umfangreichen
Ergänzungsbau abgeholfen werden soll, mußte der Kunst-
verein auf Veranstaltung dieser Frühjahrsausstellungen
schon seit längerer Zeit verzichten, was für unser Kunst-
leben immerhin einen empfindlichen Entgang bedeutete.
Gleichwohl stand der Kunstverein dem Projekt des Aus-
stellungshausbaues bis zuletzt abwartend gegenüber. Erst
in letzter Stunde hat er seinen Beitritt erklärt, ohne indes
über den Umfang seiner Anteilnahme bindende Abmachun-
gen zu treffen. Ein Verzicht auf seine bisherige Selb-
ständigkeit unter eigener Führung ist jedoch ausgeschlossen.
Damit erscheint das neue Unternehmen lediglich im Lichte
einer Bereicherung unserer lokalen Ausstellungsmöglich-
keiten, an denen alles Ausstellungswürdige, auch außerhalb
des von der bildenden Kunst gezogenen Rahmens, teil-
nehmen soll.

Bei Besprechung des Ablebens des Hamburger Malers
Friedrich Schwinge habe ich gewisser Fährlichkeiten des
Hamburger Bodens gedacht, die es ehedem (und in ver-
mindertem Maße auch jetzt noch) gerade den begabten
unterden hier geborenen Künstlern ratsam erscheinen ließen,
zur besseren Wahrung ihrer künstlerischen Individualität
ihre Tätigkeit nach außen zu verlegen. Mit zu diesen
stadtflüchtigen Söhnen Hamburgs gehörte der am 25. Sep-
tember 1864 als Sohn eines Hamburgers in Montevideo
geborene, hier aufgewachsene Carlos Grethe, über dessen
Tod bereits von anderer Seite berichtet wird und auf den
ich hier nur um deswillen zurückkomme, weil in dem Lebens-
gange dieses einen vieles sich findet, was typisch ist für
das Leben vieler hier zuständiger Künstler. Carlos Grethe
hing als Mensch mit allen Fibern an seiner Vaterstadt. Grethe
hat nie auf Verkaufsmöglichkeiten Rücksicht genommen,
 
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