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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 25.1914

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Streifzug durch die Pariser Kunstsäle
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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXV. Jahrgang 1913/1914 Nr. 20. 6. Februar 1914

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A.Seemann, Leipzig, Hospitalstr. IIa.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.

STREIFZUG DURCH DIE PARISER KUNSTSÄLE
Neue Kunstoffenbarungen hat die erste Hälfte des
Winters nicht gezeitigt. Der Herbstsalon scheint seine
Sturm- und Drangperiode abgeschlossen zu haben:
der kubistischen Bewegung oder anderen Aufwieglern
den Zutritt verweigern, war die Losung dieses Jahres.
Die Gemäßigten aber verstanden darum nicht, das
Niveau der Ausstellung zu heben. Zu schnell nehmen
derartige Veranstaltungen den Charakter der Alters-
versorgung für pensionsberechtigte Mitglieder an, wenn
ihnen nicht junge Talente, mögen sie sich zu Anfang
auch noch so »absurd gebärden«, zugesetzt werden.
Die Richtschnur der »mittleren Linie« hat auch hier
wie kürzlich in Berlin Fiasko gemacht. »Der goldene
Mittelweg«, so beliebt und brauchbar für Ausflüge
ins Moralische, erfährt im Ästhetischen eine Um-
wertung ms Bleierne. Gleicht das künstlerische
Schaffen nicht einem Dahinwandeln auf schmälsten
Pfaden, an allen Abgründen der Trivialität und Lange-
weile vorbei, hinauf zu den Höhen einer extremen
Sensibilität? Was soll da die »mittlere Linie«? Ja,
wenn man mit der »mittleren Linie« noch das Seil
meinen möchte, über das der Künstler wie ein Seil-
tänzer balanciert gleich dem, für den Zarathustra
bangt: »Ein gefährliches Hinüber, ein gefährliches
Auf-dem-Wege, ein gefährliches Zurückblicken, ein
gefährliches Schaudern und Stehenbleiben.« Auf
diesem Seil jedenfalls wird nicht die tragische Er-
scheinung des Künstlers, sondern nur die groteske
einer mit allen Kunstanschauungen jonglierenden Aus-
stellungsleitung und -jury sichtbar.

Auch in den Kunstsälen tauchte kein neuer Name,
dem man ein Klingen durch die Welt voraussagen
könnte, auf. Nur die Alterprobten kamen zu Wort.

Bei Druet gab es eine Kollektion von Flandrin
zu sehen. Noch immer geht er den »Mittelweg«
zwischen Freske und Staffeleibild, aber auch hier
möchte ich ihn nicht golden nennen. Man stößt
sich zuweilen an einer gewissen Leere, und zuweilen
ist es die Fülle an Detail, die man dem dekorativen
Grundgedanken zulieb vereinfacht und zusammen-
gezogen sehen möchte. Auch Dezire in reizvollen
Bildern aus der römischen Campagna versucht, groß-
zügiges Zusammenfassen mit einer gewissen Ge-
fälligkeit und Salonfähigkeit zu verbinden. Er suchte
und fand den Anschluß an das zahlende Publikum.
Sympathisch waren die Landschaften und Figuren-
bilder des Schweizers Charles Montag. Manches
erinnerte an Flandrin, an Manguin, eine eigene herbe
Note aber ließ zumeist die Vorbilder vergessen. Es
ist dabei interessant, festzustellen, daß der Post-
impressionismus seinen Adepten ein ebenso sicheres
Handwerk lehrt als frühere Schulen. Das Gelernte

wenden dann verschiedene Temperamente auf ver-
schiedene Weise an.

Stärkere Kunstgenüsse boten die Ausstellungen bei
Bernheim. Signac zeigte sich ganz auf der Höhe.
Lehrreich war es, neben einem erst jüngst entstandenen
Bild »Die Cite von Paris« eine Seinelandschaft von 1899
zu sehen. Das ältere Bild geht in seiner divisio-
nistischen Technik lange nicht so weit, aber mit ab-
soluter Folgerichtigkeit ist die Cite mit ihren scharf
gegen einander abgegrenzten und doch wieder sich
harmonisch vereinigenden Farbflecken daraus ent-
wickelt. Und welche schöne Patina hat die Land-
schaft von 1899 angesetzt! Man überlegt sich, was
werden die Menschen in 100, 200 Jahren zu den
Bildern der heutigen sagen? Mag ein Signac dann
auch noch so kühl und doktrinär wirken, man kann
seinen Bildern eine Frische und Leuchtkraft voraus-
sagen, die unter allen Umständen einen Genuß auch
für spätere Zeit sichern. — Von Vuillard waren
eine Reihe neuer dekorativer Paneele und Entwürfe
zu sehen. Losgelöst von der Wand, der sie in
Stimmung und Farbe angepaßt sind, wirken derartige
Arbeiten immer mangelhaft. Aber entsprechen solche
großen Formate überhaupt seiner nervösen, andeuten-

I den Pinselführung? Die Vorzüge dieser Malweise
zeigten bruchstückweise einige Stilleben auf seinen
dekorativen Bildern und besonders eine den Mund
sich rot anmalende Frau, ein Pastell von unvergleich-
lichem Esprit und delikatem Farbenzusammenklang.

An Werken Cezannes konnte man sich mehrmals
erfreuen. Einmal hatte Blot eine Sammlung von
Aquarellen vereinigt, ein anderes Mal zeigte Bernheim
Ölgemälde und Aquarellstudien. Für den, der die
Sammlung Pellerin kennt, konnten die Bilder, die man
bei Bernheim sah, nichts Neues sagen; immerhin be-
reitet der Anblick einer Landschaft Cezannes, z. B. des
»Jas de Bouffan«, eine Landschaft, die auch auf der
Centennale ausgestellt war, einen die Sinne und den
Geist restlos befriedigenden Genuß, wie man ihn nur
von dem Anhören einer Beethovenschen Symphonie
her kennt: so stark konstruiert, so reich differenziert,
so erwärmend und beglückend wie diese Musik emp-
fand man dieses Bild. Neue Aufschlüsse hingegen
gaben die Aquarelle, besonders die Landschaftsstudien

.von Aix, die Blot vorführte. Sie verhalten sich zu
den Ölbildern ähnlich wie bei Rodin die gezeichneten
Bewegungsstudien zu den Skulpturen. Hier ist es
das Geschick, das Wesentliche einer Gebärde, den
Rhythmus eines Körpers, wie er am überzeugendsten
für das Auge des Künstlers in Erscheinung trat, ab-
zufangen und zu notieren, blitzschnell, mit möglichster
Ausschaltung der verändernden Zeit und aller hem-
menden Materie. Bei Cezanne ist ein ebenso schöpfe-
 
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