KUNSTCHRONIK
Neue Folge. XXV. Jahrgang 1913/1914 Nr. 9. 21. November 1913
Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.
DIE NEUGESTALTUNG DES LUXEMBOURG-
MUSEUMS
Das Luxembourg nimmt unter den europäischen
Museen eine Vorzugsstellung ein. Es war — dies
ist sein Ruhm — überhaupt die erste Galerie, in der
Kunstschätze dem Publikum zugänglich gemacht
wurden. Der 14. Oktober 1750, der Tag seiner Er-
öffnung, ist daher ein Markstein in der Museums-
geschichte. Gezeigt wurden damals nur alte Bilder,
die von den französischen Königen seit Franz I. ge-
sammelten Meisterwerke aller Nationen, heutigentags
der Grundstock des Salon Carre und der großen
Galerie des Louvre. Ein glänzenderes Vorbild für
ähnliche Veranstaltungen, ein eindringlicherer Weckruf
an Potentate wie an Private, Kunst zu sammeln, Kunst
zu zeigen, kann nicht gedacht werden. Das Luxem-
bourg erfüllte diese seine Mission, ehe Revolution
und Bonaparte die der Kunstschau dienenden Räume
zu politischen Zwecken, mit Beschlag belegten. Die
Idee, Meisterwerke vergangener Zeiten als Gemeingut
zu betrachten und auszustellen, feierte im Louvre eine
glorreiche Wiederauferstehung, das Luxembourg selbst
erhielt 1818 nach Einführung der Restauration eine
neue, nicht minder fruchtbringende Bestimmung. Es
wurde den lebenden Künstlern zugewiesen1). Das
Markanteste der zeitgenössischen Kunst sollte sich hier
zusammenfinden und dann, zehn Jahre nach dem Tod
des Künstlers, um neuen Nachschüben Platz zu
machen, entweder zu ewigem Leben in den Louvre
eingehen oder, wenn ein Werk diese Karenzzeit nicht
überstand, zu stiller sanfter Vergessenheit in irgend
eines der wie eigens dazu geschaffenen Provinzmuseen
übergeführt werden. Ein Durchgangsmuseum also,
eine Art Purgatorium.
Der Gedanke mag gut sein, den Ruhm eines Künstlers
auf seine Dauerhaftigkeit hin zu prüfen, das öffentliche
Gewissen selbst darüber die höchste Instanz sein zu
lassen, statt eines von politischen Parteien abhängigen
Ministers oder einer in allerhand persönlichen An-
schauungen befangenen Museumsleitung; in seiner
praktischen Durchführung erweisen sich manche Un-
zuträglichkeiten. Ein solches Museum ist ein Feg-
feuer für den Direktor wie für die Seelen, die er zu
hüten hat. Er hat den Schmerz, von den für ihn
wertvollsten Seelen am ehesten zu scheiden — Ingres,
Delacroix, Manet hat das Luxembourg vor dem Louvre
beherbergt —, und die minderen, deren er sich gern
entledigen möchte, werden ihm wie Ballast anhängen.
1) Vgl. Leonce Benedite: Das Luxembourgmuseum.
Die Gemälde. Mit 389 Abb. Paris. Henri Laurens. 1913.
(Deutsche Ausgabe.) Darin eine Einleitung, die einen
guten Uberblick über die Geschichte des Luxembourg gibt.
Der Katalog wird stetig in Unordnung sein. Zwar
werden, um die Werke länger zu bewahren, die zehn
Jahre Antichambrieren oft genug überschritten, es
werden zwanzig und dreißig Jahre daraus, aber wie
liegen immer die Kulturapostel dem Direktor auf dem
Halse und drängen auf Seligsprechung und Entlassung
ihrer Schutzbefohlenen aus dem mehr oder weniger
offenstehenden Tor zum Paradies!
Dann die Raumfrage. Stetig nimmt die Zahl
derer, die sich die bildende Kunst zum Beruf wählen,
zu. Ins Paradies kommen darum nicht mehr wie
früher, aber ins Fegfeuer kann man sie ja immerhin
hereinlassen. Wie dem auch sein mag, die Zahl
derer, die das Luxembourg empfängt, ist fortdauernd
viel größer, als die Zahl derer, die es entläßt. Die
Wirkung davon: das Fegfeuer in seiner drangvollen
Enge wird zur Hölle. Man trete in das Museum ein,
in den ersten Saal, der den Skulpturen angewiesen
ist, besonders gegen Abend, wo die Gebärden des
weißen Marmors noch ausdrucksvoller zur Geltung
kommen. So dicht stehen die Figuren zusammen,
daß eine in die andere hineinzutreten scheint; alle
menschlichen Affekte und Leidenschaften, Zorn, Haß,
Mitleid, Verzweiflung, Liebe, die hier dargestellt sind,
I erscheinen so furchtbar zusammengequirlt, daß man
einen Vergil herbeiwünscht, der aus diesem Inferno
herausleite.
Dazu kommt noch, daß seit einem halben Jahr-
hundert das Luxembourg auch die ausländischen
Schulen in ihren charakteristischsten Werken vorzu-
führen hat. Deren Jenseits ist noch nichts anderes
gewesen als Speicher oder Keller. Ausgenommen
»Whistlers Mutter«, bei der einmal die allmächtigen
Amerikaner Lärm schlugen. Da man dieses Bild,
vielleicht das berühmteste des Museums, nur mit
4000 Francs bezahlt hatte, war man ihm wohl das
Aufhängen schuldig. Muß also schon eine ganze
Anzahl inländischer Werke wegen Raummangels
zurückgestellt werden, so sind die ausländischen
Schulen durchweg nach Nirwana relegiert. Insgesamt
steht ihnen nur ein einziger kleiner Saal zur Ver-
fügung, in dem sie der Reihe nach zur Ausstellung
gelangen. Jedes dritte bis fünfte Jahr etwa trifft es
dieselbe Nation. Glücklich übrigens der Besucher,
der diesen Saal geöffnet findet. Einen großen Teil
des Jahres wird »umgehängt«.
Es ist nicht zu verwundern, daß bei solchem
Ausschluß der Öffentlichkeit die außerfranzösische
Kunst nur unzureichend repräsentiert ist. Am schlechte-
sten schneidet die deutsche — pardon! — die deutsch-
österreichisch-polnische Schule ab. Dies sind die
Malernamen, die ich, mit je einem Bilde, im Katalog
finde, denn zurzeit hängen die Gemälde in — Nir-
Neue Folge. XXV. Jahrgang 1913/1914 Nr. 9. 21. November 1913
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leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.
DIE NEUGESTALTUNG DES LUXEMBOURG-
MUSEUMS
Das Luxembourg nimmt unter den europäischen
Museen eine Vorzugsstellung ein. Es war — dies
ist sein Ruhm — überhaupt die erste Galerie, in der
Kunstschätze dem Publikum zugänglich gemacht
wurden. Der 14. Oktober 1750, der Tag seiner Er-
öffnung, ist daher ein Markstein in der Museums-
geschichte. Gezeigt wurden damals nur alte Bilder,
die von den französischen Königen seit Franz I. ge-
sammelten Meisterwerke aller Nationen, heutigentags
der Grundstock des Salon Carre und der großen
Galerie des Louvre. Ein glänzenderes Vorbild für
ähnliche Veranstaltungen, ein eindringlicherer Weckruf
an Potentate wie an Private, Kunst zu sammeln, Kunst
zu zeigen, kann nicht gedacht werden. Das Luxem-
bourg erfüllte diese seine Mission, ehe Revolution
und Bonaparte die der Kunstschau dienenden Räume
zu politischen Zwecken, mit Beschlag belegten. Die
Idee, Meisterwerke vergangener Zeiten als Gemeingut
zu betrachten und auszustellen, feierte im Louvre eine
glorreiche Wiederauferstehung, das Luxembourg selbst
erhielt 1818 nach Einführung der Restauration eine
neue, nicht minder fruchtbringende Bestimmung. Es
wurde den lebenden Künstlern zugewiesen1). Das
Markanteste der zeitgenössischen Kunst sollte sich hier
zusammenfinden und dann, zehn Jahre nach dem Tod
des Künstlers, um neuen Nachschüben Platz zu
machen, entweder zu ewigem Leben in den Louvre
eingehen oder, wenn ein Werk diese Karenzzeit nicht
überstand, zu stiller sanfter Vergessenheit in irgend
eines der wie eigens dazu geschaffenen Provinzmuseen
übergeführt werden. Ein Durchgangsmuseum also,
eine Art Purgatorium.
Der Gedanke mag gut sein, den Ruhm eines Künstlers
auf seine Dauerhaftigkeit hin zu prüfen, das öffentliche
Gewissen selbst darüber die höchste Instanz sein zu
lassen, statt eines von politischen Parteien abhängigen
Ministers oder einer in allerhand persönlichen An-
schauungen befangenen Museumsleitung; in seiner
praktischen Durchführung erweisen sich manche Un-
zuträglichkeiten. Ein solches Museum ist ein Feg-
feuer für den Direktor wie für die Seelen, die er zu
hüten hat. Er hat den Schmerz, von den für ihn
wertvollsten Seelen am ehesten zu scheiden — Ingres,
Delacroix, Manet hat das Luxembourg vor dem Louvre
beherbergt —, und die minderen, deren er sich gern
entledigen möchte, werden ihm wie Ballast anhängen.
1) Vgl. Leonce Benedite: Das Luxembourgmuseum.
Die Gemälde. Mit 389 Abb. Paris. Henri Laurens. 1913.
(Deutsche Ausgabe.) Darin eine Einleitung, die einen
guten Uberblick über die Geschichte des Luxembourg gibt.
Der Katalog wird stetig in Unordnung sein. Zwar
werden, um die Werke länger zu bewahren, die zehn
Jahre Antichambrieren oft genug überschritten, es
werden zwanzig und dreißig Jahre daraus, aber wie
liegen immer die Kulturapostel dem Direktor auf dem
Halse und drängen auf Seligsprechung und Entlassung
ihrer Schutzbefohlenen aus dem mehr oder weniger
offenstehenden Tor zum Paradies!
Dann die Raumfrage. Stetig nimmt die Zahl
derer, die sich die bildende Kunst zum Beruf wählen,
zu. Ins Paradies kommen darum nicht mehr wie
früher, aber ins Fegfeuer kann man sie ja immerhin
hereinlassen. Wie dem auch sein mag, die Zahl
derer, die das Luxembourg empfängt, ist fortdauernd
viel größer, als die Zahl derer, die es entläßt. Die
Wirkung davon: das Fegfeuer in seiner drangvollen
Enge wird zur Hölle. Man trete in das Museum ein,
in den ersten Saal, der den Skulpturen angewiesen
ist, besonders gegen Abend, wo die Gebärden des
weißen Marmors noch ausdrucksvoller zur Geltung
kommen. So dicht stehen die Figuren zusammen,
daß eine in die andere hineinzutreten scheint; alle
menschlichen Affekte und Leidenschaften, Zorn, Haß,
Mitleid, Verzweiflung, Liebe, die hier dargestellt sind,
I erscheinen so furchtbar zusammengequirlt, daß man
einen Vergil herbeiwünscht, der aus diesem Inferno
herausleite.
Dazu kommt noch, daß seit einem halben Jahr-
hundert das Luxembourg auch die ausländischen
Schulen in ihren charakteristischsten Werken vorzu-
führen hat. Deren Jenseits ist noch nichts anderes
gewesen als Speicher oder Keller. Ausgenommen
»Whistlers Mutter«, bei der einmal die allmächtigen
Amerikaner Lärm schlugen. Da man dieses Bild,
vielleicht das berühmteste des Museums, nur mit
4000 Francs bezahlt hatte, war man ihm wohl das
Aufhängen schuldig. Muß also schon eine ganze
Anzahl inländischer Werke wegen Raummangels
zurückgestellt werden, so sind die ausländischen
Schulen durchweg nach Nirwana relegiert. Insgesamt
steht ihnen nur ein einziger kleiner Saal zur Ver-
fügung, in dem sie der Reihe nach zur Ausstellung
gelangen. Jedes dritte bis fünfte Jahr etwa trifft es
dieselbe Nation. Glücklich übrigens der Besucher,
der diesen Saal geöffnet findet. Einen großen Teil
des Jahres wird »umgehängt«.
Es ist nicht zu verwundern, daß bei solchem
Ausschluß der Öffentlichkeit die außerfranzösische
Kunst nur unzureichend repräsentiert ist. Am schlechte-
sten schneidet die deutsche — pardon! — die deutsch-
österreichisch-polnische Schule ab. Dies sind die
Malernamen, die ich, mit je einem Bilde, im Katalog
finde, denn zurzeit hängen die Gemälde in — Nir-