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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 25.1914

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Berliner Kunstpflege
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Verschiedenes / Inserate
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26g

Nekrologe

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zur Verfügung stehen, müssen schon bei der Auf-
stellung des Programms genützt werden, und vor
allem sollte man für einen tüchtigen Mann sorgen,
der zur Leitung berufen und die verantwortungsvolle
Stellung auszufüllen imstande ist.

Berlin hat viel geschenkt bekommen. Große staat-
liche Sammlungen stehen in der Stadt, und weder
um bildende Kunst noch um Theater und Musik
braucht die Stadt sich zu sorgen, da andere es für
sie tun. Auch das Ausstellungswesen konnte der
städtischen Regie entbehren. Aber gerade dieses gerät
jetzt in ein Stadium, das dem noch jungen Rufe Berlins
als Kunststadt ernstliche Gefahr bereitet. Der große
Glaspalast zählt ja seit Jahren kaum noch als künst-
lerische Veranstaltung. In der Akademie der Künste,
die unter Kampfs Leitung in das Berliner Kunstleben
sehr tätig eingriff, herrscht jetzt Todesruhe. Die Ber-
liner Sezession ist zerbrochen, und die »Ausstellung
der mittleren Linie« legt die Befürchtung nahe, daß
das Haus am Kurfürstendamm sich nun allmählich
auch in einen Ableger des Glaspalastes verwandeln
soll.

Das 6ind keine guten Aussichten für die Zukunft.
Will das Stadtparlament Kunstpolitik treiben, so sollte
es alle diese Dinge einmal überdenken. Ein städti-
sches Ausstellungshaus wäre heut vielleicht nutzbrin-
gender als eine Galerie ohne Programm. Möglicher-
weise kann die eine aus dem anderen sich entwickeln.
Ist der Wille da, so reichen die Mittel vielleicht auch
für beides. Aber richtet man nur irgendwo ein paar
Oberlichtsäle ein, um mehr oder minder gleichgültige
Gemälde aufzuhängen, so ist so gut wie nichts ge-
schehen, selbst wenn ein paar Bilder von Leistikow,
von deren Erwerb vor ein paar Jahren so viel
Wesens gemacht wurde, sich im städtischen Besitz
befinden. Berlin sollte an die zahllosen Städte des
Reiches denken, die produktive Kunstpflege treiben,
und ehe es selbst etwas unternimmt, reiflich überlegen,
ob das Resultat der Hauptstadt des Deutschen Reiches
würdig sein wird.

NEKROLOGE

Heinrich Gottlob Gutekunst t- Am 4. Januar starb
zu Stuttgart im 82. Lebensjahre der Kommerzienrat Heinrich
Gottlob Gutekunst, der Begründer der durch ihre Kupfer-
stich- und Handzeichnungs-Auktionen weitbekannten Firma
H. G. Gutekunst. Mit ihm ist der älteste Vertreter des
deutschen Kunsthandels aus dem Leben geschieden und
zugleich ein Typus erloschen, den wir Älteren nicht ohne
schmerzliche Empfindungen aus der Kunstwelt scheiden
sehen. Dieser Typus, dessen kulturelle Wurzeln noch in
der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts lagen, und dessen
letzte und bekannteste Vertreter Artaria, Boerner und Gute-
kunst hießen, verband den Sammler und Liebhaber mit
dem Händler in einer Person.

Auch der alte Gutekunst war sein Leben lang ein
leidenschaftlicher Sammler. Er hatte griechische und römi-
sche Münzen, kunstgewerbliche Altertümer, Plaketten und
Medaillen, sogar Konchylien und Briefmarken gesammelt,
sich ihrer aber immer wieder entledigt, wenn er zu einem
gewissen Abschluß gelangt zu sein glaubte. Die ganz her-
vorragende Sammlung graphischer Württembergica, die er
in langen Jahren emsigster Tätigkeit vereinigte, schenkte

er 1899 dem Stuttgarter Kupferstichkabinett. Auf all diesen
so verschiedenartigen Gebieten waren seine Kennerschaft
und sein umfassendes Wissen allgemein anerkannt.

So verstand er es von der Gründung seines Geschäftes
im Jahre 1864 an, Stuttgart zu einem Mittelpunkt für die
Auktionen von Kupferstichen zu machen, mit denen er im
Oktober 1868 begann und deren letzte unter seiner per-
sönlichen Leitung die vierundfünfzigste im Mai 1900 war.
Mit einem Spürsinn ohnegleichen wußte er die kostbarsten
und wichtigsten Kunstschätze auf seinem Lieblingsgebiete
nicht nur in Deutschland, sondern namentlich auch in
Italien ausfindig zu machen, und die Auktionen Keller (1871),
Durazzo (1872/3), Rossi (1886), Angiolini (1895), Straeter
(1898), Habich (1899), Waldburg-Wolfegg (1900/1), v. Lanna
(1909/10) und viele andere beweisen, bis zu welchem Grade
ihm das gelang. Kein Wunder, daß die Stuttgarter Früh-
jahrsauktionen allmählich zu einem von allen Sammlern,
Museumsdirektoren und Kunsthändlern freudig begrüßten
Ereignis wurden, zu dem alljährlich aus Deutschland, Eng-
land, Frankreich, Italien, Belgien, Holland und Amerika
zahlreiche Gäste herbeieilten.

Die günstige Lage der Schwäbischen Residenz, die ja
in der Pracht ihrer Flieder- und Kastanienblüte zur Maien-
zeit einen unwiderstehlichen Zauber auf jeden ausübt, der
sie betritt, der natürliche Mittelpunkt, den das einzigartige
behagliche Hotel Marquardt als Absteigequartier beinahe
sämtlicher Auktionsbesucher derGutekunst-Gemeinde bietet,
die unmittelbare Nachbarschaft des Auktionslokales in dem
säulenfrohen Königsbau, das alles vereinigte sich zu jenem
mächtigen Reiz, den die Gutekunstschen Versteigerungen
vor allen ähnlichen Veranstaltungen voraus hatten.

Und dann der Leiter dieser Auktionen selbst mit seinem
feingeschnittenen, interessierten Amateurkopf, den bei jedem
besonders schönen oder seltenen Blatt aufleuchtenden
freundlichen Augen, dem verbindlichen Lächeln, mit dem
er jede Zwischenfrage aus dem reichen Schatze seiner
Sachkenntnis zu beantworten wußte! — Er lenkte. die
Schlacht von seinem erhöhten Sitz mit der ruhigen Sicher-
heit eines Feldherrn, und wenn ihm der gebotene Preis
für die Güte des Blattes nicht angemessen erschien, be-
durfte es nur einer mit unnachahmlichem Gleichmut ein-
gestreuten Bemerkung über die ungewöhnliche Schönheit
des Abdrucks (»Un petit coup de fouet« nannte es der
unvergeßliche Henri Hymans), um sofort ein gesteigertes
Bieten und ein Emporschnellen des Preises um Hunderte
und Tausende zu veranlassen.

Man hatte ihm gegenüber immer die Empfindung, bei
einem guten Freunde zu Gaste zu sein, und er fühlte sich
auch durchaus als der Wirt von Stuttgart für alle, die zu
seinen Versteigerungen von fern her kamen. Trotz der
erhöhten Arbeitslast, die gerade in der Auktionswoche auf
ihm lag, wußte er mit seinem trefflichen Flügeladjutanten
Wilhelm Gaiser, der bald nach der Auktion v. Lanna sein
Nachfolger wurde, den Besuchern auch außerhalb der
Sitzungen den Aufenthalt in Stuttgart und seiner weiteren
Umgebung so angenehm wie möglich zu machen. Da zog
man abends auf die umliegenden Höhen in kleine, nur
dem Ortskundigen bekannte Weinwirtschaften oder zu den
berühmten Spargelessen nach Untertürkheim und Degerloch.
Da wurden Ausflüge arrangiert nach der Solitude, nach
Schloß Monrepos, nach Urach und Lichtenstein. Ein be-
geisterter Patriot, sorgte der alte Herr dafür, daß jeder der
fremden Gäste das Württemberger Land von seiner schönsten
Seite kennen lerne, und vor dem Scheiden vereinigte er
noch einmal die Kombattanten zu einem solennen Diner
im Hotel Marquardt, wo er sich wieder als guten Patrioten
zeigte, denn es gab bei dieser Gelegenheit immer nur
Württembergische Weine in weiser Steigerung von der
 
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