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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 25.1914

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Hausenstein, Wilhelm: Die Zukunft der Münchener Sammlungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.6191#0091

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Die Zukunft der Münchener Sammlungen

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Am meisten ist das wohl ein Interesse des Hofes, da
seine Sammlung des Staatsguts gerade jetzt, nach der
wundervollen Vermehrung des Staatsbesitzes, noch
weniger entraten kann als der Staat des Hofguts.

Wir haben bis jetzt zwei Argumente. Das erste
besagt: der höfische Charakter der Neuen Pinakothek
ist heute tatsächlich durch den staatlichen Charakter
resorbiert und wird es immer mehr werden. Das
zweite besagt: die beiden Sammlungen sind künst-
lerisch aufeinander angewiesen. Das dritte Argument
betrifft das Gebäude. Ist mit dem Hause Voits wirk-
lich nichts mehr anzufangen? Die Reorganisation der
Neuen Pinakothek durch Braune beweist das Gegen-
teil. Die Galerie ist als Bau ganz gewiß nicht ideal.
Schon das unglückselig mißgebaute Treppenhaus kün-
digt fatale Dinge an. Aber ohne Zweifel läßt sich
die Galerie schon durch maßvolle Umbauten sympa-
thischer gestalten. Rein räumlich genügt sie jeden-
falls für den Augenblick, sofern die Siebung des Bilder-
materials klug fortgeführt wird. An Umbauten ist
insbesondere eine Verlegung der Türen in sämtlichen
Nordkabinetten zu wünschen. Die Passagen müssen
wie in den analogen Räumen der Alten Pinakothek
unmittelbar an den Fenstern entlanggeführt werden.
Heute geht die Passage die den Fenstern gegenüber-
liegenden Wand entlang; infolgedessen hat der Be-
schauer in dem Moment, in dem er sich in den ein-
zelnen Kabinetten den Bildern zuwendet, immer zuerst
das pralle Licht vom Fenster her in den Augen. Das
gibt optisch-psychologische Störungen, die viel mehr
ausmachen als man denkt. Weiter ergibt sich die
Notwendigkeit einer definitiven baulichen Isolierung
des Mareessaals. Der griechische Rottmannsaal mit
der merkwürdigen Kolonnade und dem eingebauten
Dach, das den größten Teil des Oberlichts einem
Panoramalichteffekt zuliebe abfängt, kann durch einen
Umbau räumlich und künstlerisch ergiebiger werden,
ohne daß die Schönheit der Rottmannbilder leidet. Im
Parterre muß die Entfernung des Antiquariums ge-
fordert werden. Es ist organisatorisch ein absurder
Zustand, daß das Antiquarium im Erdgeschoß der
Neuen Pinakothek untergebracht ist: gerade so wie es
unmöglich erscheint, daß die Vasensammlung dauernd
im Parterre der Alten Pinakothek verbleibt. Durch
die Entfernung der Antiken würde in beiden Galerien
für Bilder Platz — und kein schlechter Platz ge-
wonnen. Im übrigen wird eine bauliche Erweiterung
der Neuen — und wohl auch der Alten — Pina-
kothek in den nächsten Jahren unvermeidlich werden.
Die Sache liegt bei der Neuen Pinakothek insofern
günstig, als da eine pietätvolle Schonung der gegebenen
Bauform eine überflüssige Sentimentalität wäre. Der
Bau Voits gehört einer Periode des Niedergangs der
Münchener Baukultur an. Er ist nicht entfernt so
wertvoll wie der Bau der Alten Pinakothek, der auf
Klenze zurückgeht, und bleibt überhaupt hinter allen
Bauten der Ludwigischen Bauperiode weit zurück.
Darum wird selbst ein radikaler Umbau, sofern er
intelligent gemacht wird, nicht die Zerstörung eines
Wertes bedeuten. Die Erweiterung würde naturgemäß
nach Süden vorgreifen müssen. Nach Norden würde

die Erweiterung aus zwei Gründen erschwert sein:
dort kämen gegnerische Interessen der Adjazenten —
der Bewohner der Heßstraße — in Frage und außer-
dem sind die Nordkabinette auf die bestehende Fenster-
beleuchtung angewiesen. Auf der Südseite — in der
Richtung der Theresienstraße — sind keinerlei Ad-
jazenteninteressen gefährdet. Die Südräume haben
Oberlicht. Dort kann angebaut werden. Ohne Zweifel
würde der Hof wenigstens den Bauplatz gratis geben:
wenigstens möchte man ihm gern mit dieser Annahme
schmeicheln. Da die Fresken Nilsons durch die Wit-
terung längst zerstört sind, wird auch in diesem Punkt
eine Besorgnis nicht nötig sein. Außerdem ist die
Erweiterung nach Süden schon rein im Interesse der
architektonischen Beziehung zu der gegenüberliegen-
den Alten Pinakothek das Gebotene. Alle Faktoren
treffen aufs Günstigste zusammen. Auch die Pro-
portionen des Platzes lassen eine Erweiterung dieser
Art zu. Die Neue Pinakothek ist erheblich kleiner
als die Alte Pinakothek. Sie kann ohne Störung der
Platzproportionen beinahe auf das Volumen der Alten
Pinakothek gebracht werden — zumal, wenn, wie es
schließlich doch nötig sein wird, die gegenüberliegende
Alte Pinakothek korrespondierend nach Norden hin
erweitert wird. Es kommt natürlich im konkreten
Fall alles darauf an, daß die Arbeit in die Hände
eines geeigneten Architekten gelegt wird. Die Persön-
lichkeit erscheint geradezu gegeben: Theodor Fischer,
der die Anpassung des Augustinerstocks — einer alten
Kirche mitten in der Hauptstraße — an die kommer-
ziellen Interessen der City mit so feinem und so
modernem Gefühl in die Wege leitet und in dem
großen neuen Polizeigebäude soeben ein ganz aus-
gezeichnetes Beispiel originellen, von leerem Histori-
zismus ganz freien Anschlusses an das Gegebene ge-
boten hat, würde diese Aufgabe sicher glücklich lösen.
Ohne konservativ zu sein, wie Seidel es war, würde
er das Neue doch aus dem Alten hervorgehen lassen.
Dies ist die Baufrage. Allein sie sollte in ihrem
weitesten Umfang selbstverständlich erst dann gelöst
werden, wenn die Galerie innen bis zu dem Grade
ausgewachsen ist, daß man die architektonischen Not-
wendigkeiten übersehen kann. Die Galerie muß von
innen heraus umgebaut werden. Technische Fragen,
wie die Anlage einer Heizung in der vom Publikums-
witz im Gegensatz zur Alten Pinakothek »Kalte«
Pinakothek genannten Neuen, sind wohl unmittelbar
spruchreif. Vielleicht ergibt sich eines Tages auch
die Notwendigkeit einer totalen Niederlegung des
Voitschen Gebäudes, die Notwendigkeit eines Neubaus
von unten auf. Aber dann soll eben der Neubau
auch an der Stelle errichtet werden, an der Voits Alt-
bau stand. In jedem Fall wäre es eine Leichtfertig-
keit ohnegleichen, wenn man heute irgendwo einen
Neubau hinstellen wollte. Dilettantisch geschäftig
wäre auch der Gedanke, für die Tschudi-Spende
und das, was noch aus ihr werden kann, eine
Spezialgalerie zu errichten. Wenn die kläglichen Mittel,
die der bayrische Staat im ganzen für die Neue Pina-
kothek aufbringt, einmal eine beträchtliche Vermehrung
erfahren sollen, dann sollen diese Zuschüsse rationell
 
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