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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 25.1914

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Die Neuerwerbungen des Kaiser-Friedrich-Museums zu Berlin
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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXV. Jahrgang 1913/1914 Nr. 13. 19. Dezember 1913

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
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DIE NEUERWERBUNGEN
DES KAISER FRIEDRICH-MUSEUMS ZU BERLIN

In dem Durchgange vom vorderen Treppenhaus
zur Basilika des Kaiser-Friedrich-Museums haben die
Kunstwerke, die in neuerer Zeit für das künftige
»Deutsche Museum« erworben werden konnten, vor-
läufig Aufstellung gefunden. Es ist eine stattliche
Reihe, und viele Stücke ergänzen aufs glücklichste den
bisherigen Bestand, indem sie Lücken ausfüllen, be-
sonders reiche Abteilungen noch weiter ausbauen oder
bisher vernachlässigte Gebiete einbeziehen. Schon
heut könnte der Katalog der deutschen Bildwerke, der
vor drei Jahren abgeschlossen wurde, mit diesen Neu-
erwerbungen einen umfangreichen Nachtrag erfahren.

Geht man die Bestände in zeitlicher Folge durch,
so stellen sich zwei Elfenbeinstücke an den Anfang.
Eine Madonnenstatuette gehört noch in das Bereich
der hohen Gotik. Im allgemeinen gelten diese Ar-
beiten für französisch. Der Typus ist hier den sonst
verwandten Stücken der Art, wie auch das Museum
bereits eines besitzt, ein wenig fremd. Das erklärt
das Fragezeichen, das der Herkunftsbezeichnung bei-
gefügt ist. Vielleicht handelt es sich hier um eine
deutsche Arbeit nach französischem Vorbilde. Zweifel-
los französisch dagegen ist die kleine Gruppe, die
den Verrat des Judas darstellt, und die sich zwei ähn-
lichen Stücken im Museumsbesitz nahe anschließt.
Sie ist um ein Jahrhundert jünger als die um 1300
entstandene Madonnenstatuette mit ihrem klar und
groß gegliederten Gewände im Stile der klassischen
Gotik.

Mit dem Jahre 1400 setzt eine Gruppe süddeut-
scher Holzfiguren ein, die diesmal unter den Neuer-
werbungen durch besonders zahlreiche und eine Reihe
auch künstlerisch hervorragender Stücke vertreten ist.
Ein ganz neuer Faltenstil zeichnet diese Werke aus.
Im Gegensatz zu dem leicht den Körperformen folgen-
den Gewand der gotischen Statuen bilden sich jetzt
schwere Stoffmassen, die, gleichsam selbständig ge-
worden, den Körper 'verhüllen. Breite Gehänge in
Röhren sich ordnender Falten schieben sich zu Seiten
der Gestalt und lasten schwer von den Armen her-
nieder. Die Malerei kennt diesen Stil ebenso wie die
Plastik. Um 1400 war er ausgebildet. Die zwei
ersten Jahrzehnte des neuen Jahrhunderts bezeichnen
seine Blüte, dann klingt er langsam ab.

Das früheste und zugleich das bedeutendste Stück
der Art ist hier eine heilige Agathe, die auf einem
Buche die abgeschnittenen Brüste trägt. Es ist schwä-
bische Arbeit. Prachtvoll groß ist das Gewand be-
handelt. Merkwürdig ist der ganz individuelle Kopf,
der im Gegensatz steht zu der meist typischen Ge-
sichtsbildung ähnlicher Werke der Zeit. An Qualität

dürfte diesem Stück am nächsten die Madonnenstatue
kommen, die aus Kufstein stammt und hier im Inn-,
gebiet auch entstanden sein wird. Sie wurde in der
Versteigerung der Sammlung Oertel bei Lepke für
das Museum erworben. Prachtvoll baut sich auch
hier der Faltenwurf auf. Reste alter Vergoldung geben
dem Mantel, der sich um die Schultern legt, einen
besonderen Reiz. Sehr zart ist das Gesicht behandelt.

Eine Reihe anderer Madonnenstatuen der gleichen
Gattung schließt sich dieser an. Bei der weiten Ver-
breitung des Stiles ist ihre Herkunft nicht leicht zu
bestimmen. Allgemein süddeutsch ist die eine be-
nannt, mittelrheinisch eine andere. Aus der Freiburger
Gegend stammt eine große thronende Madonna, ein
umfangreiches Stück, das aber an Feinheit nicht mit
den kleinen Exemplaren der Gattung wetteifern kann.
Schwäbischer Herkunft ist die Madonnenstatue von
einer Verkündigungsgruppe. Das Gefält wird hier
besonders massig und schwer. Und mittelrheinisch
endlich heißt ein merkwürdiges Stück, eine thronende
Madonna, deren Körper unter einem überreichen Ge-
fält zu verschwinden droht. Das Material ist Linden-
holz. Nur der Kopf besteht aus Ton und ist ein-
gesetzt. Man kennt ja gerade aus dieser Zeit Ton-
figuren in Süddeutschland. Die Nürnberger Tonapostel
gehören der gleichen Stilstufe an. Aber es ist schwer
zu erklären, was zu dieser seltsamen Kombination
zweier Materialien"führte.

Von den übrigen Stücken der Gattung ist eine
Statue des hl. Petrus in der stark ausgebogenen Hal-
tung gewiß das früheste und noch um 1400 ent-
standen. Es wird hier als schwäbisch bezeichnet.
Sehr schön in der alten Vergoldung ist eine heilige
Agnes, die die Blüte des Stiles bezeichnet und die
Haltung in typischer Weise repräsentiert. Ganz un-
gewöhnlich dagegen ist die große Statue eines thronen-
den Bischofs, die aus Kloster Seeon stammt. Merk-
würdig ist der ausgesprochen porträthafte Kopf in
seiner eindrücklichen Häßlichkeit, die man nicht leicht
vergißt. In stark bewegter Komposition baut sich der
Körper auf. In sicherem plastischen Gefühl sind dabei
die Glieder fest zusammengehalten. Schwer und reich
ist das Gefält, das von den niedrigen Knien in kurzen
Röhren herniederfällt.

Den ganzen Gegensatz zu diesem Bischof aus
Oberösterreich'bildet ein Hochrelief der Geburt Christi,
das aus dem Öberelsaß stammt. War dort alles ernst
und wuchtig, so ist es hier leicht und zierlich. Genre-
haft ist das Motiv gefaßt. Maria hat sich im Bette
aufgesetzt, und sie reicht das Kind der Magd hinab,
die das Bad bereitet. Am Fußende des Bettes sitzt
Josef. Er stützt sich müde auf seinen Stock. In
schrägen Falten legt sich das Gewand über seine
 
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