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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 25.1914

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Maas, Max: Archäologische Nachlese, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6191#0115

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Archäologische Nachlese

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konnten die Gleichsetzung der Insel mit dem home-
rischen Ithaka, die Herr Goekoop behauptet hat (der
auch die Mittel für diese Grabungen spendete), nicht
sichern, obwohl mehrere mykenische Funde und solche
klassischer Gräber an verschiedenen Stellen der Insel
die Arbeit lohnten.

Die französische Schule hat auf Delos eine Pause
eintreten lassen, dagegen ihre zweite große Aufgabe,
die Erforschung Delphis weiter gefördert. Es sind
sehr erfolgreiche Arbeiten am großen Apollontempel
ausgeführt worden. Vom Bau des 6. Jahrhunderts
ist mehr erhalten als man gemeint hat; die Bau-
meister des 4. Jahrhunderts haben sich streng an den
Plan des 6. gehalten und teilweise auf den alten
Fundamenten gebaut. Der alte Unterbau ist sozu-
sagen vorgeschuht worden. Der Tempel des 4. Jahr-
hunderts hatte nach den neueren Forschungen eine
Länge von über 60 m und eine Breite von ungefähr
24 m. Sechs ungefähr 10,60 m hohe Säulen standen
in den Fronten, 15 an den Längsseiten. Die Kannelüren
der Säulen waren teilweise aus Stuck. Beschädigungen
der Bauglieder mögen vom Einfall der Maider (thra-
kischer Volksstamm) herrühren, die den Tempel um
83 v. Chr. brandschatzten, worauf erst Domitian re-
staurierte und seine Restaurierungen so pomphaft
pries. Über die Anlage des Adyton hat sich wenig
ergeben. Es mag eine frei in der Cella stehende
Ädikula gewesen sein. Das sogenannte »Schasma-
ges« (die Bodenspalte) hat nie existiert. Die Höhle
der Pythia war ein künstlicher Keller, zu dem man aus
der Ädikula hinabstieg. Es war ein Zimmer (Megaron),
offenbar identisch mit dem »Oikos«, in dem nach
Plutarch die Orakelsuchenden saßen und der mit den
Dämpfen des Adyton angefüllt war. Die früher als
Basis des Omphalos angesehene Platte wird nunmehr
als Plinthe des Dionysosgrabs angesehen. Ein kleines
Tempelchen hatte nicht über dem Omphalos gestanden,
wie überhaupt die Ausgrabung nicht den geringsten
Anhalt gibt, daß Naiskoi an den Längsseiten der Cella
standen.

Die amerikanische Schule läßt schon seit mehreren
Jahren durch zwei tüchtige junge Damen, Miß Walker
und Miß Goldman, bei Halae in Lokris graben,
wo im Innern des Mauerrings eine Straße mit an-
grenzenden Gebäuden und ein Brunnen, der Frag-
mente von Akroterien und Terrakotten enthielt, ferner
kleine Bronzen gefunden wurden. Zwei Meter unter
der Schicht, aus welcher die Funde stammen, stieß
man auf prähistorische Scherben, die mit der böoti-
schen Ware eng verwandt sind. In der Nekropole
von Halae sind 280 fast sämtlich unversehrte Gräber
geöffnet worden, die von der ersten Hälfte oder der
Mitte des 6. Jahrhunderts an bis in die römische Zeit
reichen und eine fast geschlossene Reihe von Bei-
spielen lokrischer Grabformen und Grabriten und
sonst wertvolle chronologische Aufschlüsse ergaben.
Während schwarzfigurige, spätrotfigurige und helle-
nistische Keramik vorhanden ist, fehlt die streng-rot-
figurige Ware. Die Entwicklung und der Verfall
bestimmter Typen von einheimischen Terrakotten läßt
sich vom 5. bis 3. Jahrhundert verfolgen, und es ist

überraschend, zu sehen, wie groß selbst in diesem
entlegenen Privatstädtchen der Gräberluxus und der
attische Import von nur guter Ware gewesen ist.

Wilhelm Dörpfeld berichtet selbst über die Aus-
grabungen auf Korfu im letzten Jahre, die wegen
der Abwesenheit des deutschen Kaisers in diesem
Frühjahr nur in kleinerem Maße fortgesetzt wurden.
Zunächst wurde der Tempel von Garitsa, dessen
vor zwei Jahren aufgefundene Skulpturen den Anstoß
zu den Grabungen auf Korfu gegeben haben, weiter
ausgegraben. Es schien bei der großen Bedeutung,
welche den Bau und seine merkwürdigen Giebel-
skulpturen (die gewaltige Gorgo mit ihrem Begleiter
inmitten des Kampfes der Götter und Giganten) für
die griechische Kunstgeschichte hat, die vollständige
Aufdeckung des bisher nur in seiner westlichen und
östlichen Front und in dem großen Altar bekannt
gewordenen Tempels trotz der fast totalen Zerstörung
wünschenswert. Jetzt sind die Vorarbeiten gemacht,
um im nächsten Jahre die vollständige Freilegung des
Tempelplatzes leicht durchzuführen. Schon jetzt sind
neue Fundamentreste zutage gekommen, darunter auch
zwei für die Abmessungen des Tempels wichtige
Steine der Cellawand. Von einzelnen Funden er-
wähnt Dörpfeld: mehrere Architekturglieder des Tem-
pels, älteren Dachschmuck aus bemalter Terrakotta,
jüngeren aus weißem Marmor, einige Weihgaben und
den hinteren Teil eines großen Kopfes aus Porosstein,
der möglicherweise zu dem Gorgogiebel gehört. —
Die zweite und für weitere Kreise interessantere Arbeit
waren Dörpfelds in Gemeinschaft mit dem Ephoros
Rhomaios angestellte Forschungen und Grabungen
im nordwestlichen Teil der Insel, um nach der Stadt
der Phäaken da zu suchen, wo sie nach Homer
angesetzt werden muß. Es schien Dörpfeld wissen-
schaftliche Pflicht, zu untersuchen, ob und wie weit
die auch sonst schon sich immer mehr als echt be-
währenden Schilderungen Homers auch von der Stadt
der Phäaken und dem Palast des Alkinoos der Wirk-
lichkeit entsprechen. Denn noch immer werden, ob-
wohl fast alle Angaben des Dichters sich nach Ent-
deckung der reichen mykenischen Funde als möglich
und keineswegs übertrieben herausgestellt haben, diese
Schilderungen oft noch als ganz phantastisch ange-
sehen. Die Phäaken haben sich nach Homer auf
Schede, eine Nachtfahrt von Ithaka entfernt und in
der Nähe von Thesprotien (Epirus) und Dodona
niedergelassen. Ihre Stadt lag auf einer Halbinsel
zwischen zwei Häfen und bildete den äußersten west-
lichen Punkt der den homerischen Achäern bekannten
griechischen Welt. Schon im Altertum ist Schede
allgemein in Kerkyra wieder erkannt worden, in der
Insel, in der jede Fahrt von Griechenland nach Sizilien
und Westitalien vorüberführte. Odysseus muß bei
seiner Heimkehr aus dem fernen Westen, von der
Scylla und der Charybdis zunächst zur Nordwestecke
der Insel Kerkyra gelangt sein. Wenn Odysseus von
dem »Gabellande« Süditalien (identifiziert von Dörpfeld
als Thrinakia und Ogygia) genau nach Osten fuhr,
den Nordstern zur Linken, so erreichte er in einer
Nachtfahrt die fast überall schroffe und unzugängliche
 
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