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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 25.1914

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Pariser Neuigkeiten
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https://doi.org/10.11588/diglit.6191#0134

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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXV. Jahrgang 1913/1914 Nr. 17. 16. Januar 1914

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A.Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.

PARISER NEUIGKEITEN

Das künstlerische Ereignis des Dezembermonats
in Paris war die Eröffnung des Jacquemart-Andre-
Museums. Nun hat Paris einen Ersatz für die Richard-
Wallace-Sammlung, die es sich seinerzeit hat entgehen
lassen. Die freudige Überraschung, die die Eröffnung
des Museums hervorrief, war um so größer, als die
Kunstschätze bis vor kurzem streng geheim gehalten
wurden. Im Zeitraum der letzten 50 Jahre ist diese
Sammlung zustande gekommen, und da die Besitzer
nicht übermäßig reich waren, so muß «man wirklich
allen Respekt vor ihrem Kunstverständnis, ihrem Spür-
sinn haben. Denn sie sammelten zumeist Werke des
soviel begehrten 18. Jahrhunderts und der italienischen
Renaissance. Bei der Steigerung, die die Preise der
Kunstwerke in den verflossenen Jahrzehnten erfahren
haben, ist es wohl ausgeschlossen, daß je noch ein
Privater — wenigstens in Europa — eine solche Galerie
zusammenbringt.

Man verdankt das neue Museum Edouard Andre,
einem Bankierssohn und ehemaligen Offizier, und
seiner Gattin, der Malerin Nelie Jacquemart. Herr
Andre starb bereits 1893, aber erst beim Tod seiner
Gattin 1912 wurde bekannt, daß ihre Sammlung samt
dem palastartigen Hotel, das sie beherbergt, der fran-
zösischen Nation, d. h. ihrer stellvertretenden Elite,
dem Institut de France, vermacht sei. Und erst da-
mals wurde ersichtlich, was diese Sammlung vor allen
anderen gleich- oder mehrwertigen auszeichnet. Es
kam den Stiftern nicht darauf an, Kunstschätze anzu-
häufen, sondern die Epoche, in der sie geschaffen
wurden, lebendig zu machen. Nicht die Kälte eines
Museums weht einen beim Eintritt an, sondern die
Wärme eines Heims. Bilder von Fragonard, Greuze,
Boucher hängen da, Skulpturen von Falconet, Pigalle
sind aufgestellt, aber sie wirken nicht wie aufgespießte
Schmetterlinge im Glaskasten tot nebeneinandergereiht,
sondern die ganze Atmosphäre, die sie entstehen ließ,
nährte und großzog, wird mit ihnen wieder lebendig.
Teppiche, Wandbespannungen, Möbel, Tische, bis zu
den geringfügigsten Kunstgegenständen darauf, sind
darauf gestimmt und geben ein so starkes einheitliches
Gefühl von vergangenen Zeiten, daß man seine eigene
Persönlichkeit mit ihren modernen Anschauungen und
Gepflogenheiten fast wie eine Dissonanz in diesen
Räumen empfindet. Auch für die italienische Renais-
sance, mit hervorragenden Bildern von Carpaccio,
Botticelli, Mantegna, mit Holzstatuen, Terrakotten, Bas-
reliefs, Marmorbüsten, Wandteppichen, Möbeln sind
ähnliche Innenräume geschaffen worden. Ja, bis zu
den Decken und Deckengemälden ist es gelungen,
zeit- und stilgemäß zu bleiben. Diese künstlerischen
Arrangements sind vor allem das Werk Frau Andres;

sie arbeitete daran bis zu ihrem letzten Atemzuge,
und darum wohl blieben bis zu ihrem Tod die Schätze
verborgen.

Die »Zeitschrift für bildende Kunst« wird in einem
ihrer nächsten Hefte eine Studie über die Sammlung
Jacquemart-Andre aus der Feder des Herrn Emile
Bertaux, ihres jetzigen Konservators, bringen. Darum
sei hier nur ein kurzer Überblick über die markan-
testen Kunstwerke gegeben.

Greuze ist durch ein vorzügliches Porträt des
Kupferstechers Georg Wille vertreten, Fragonard durch
ein Bildnis und ein ovales Gemälde »Le Debüt du
Modele« von bestrickendem Wohllaut und graziösester
Ungezwungenheit. Von Falconet ist ein Hauptwerk
da »Der Ruhm Katharinas II.«

Von Rembrandt sind drei Bilder aus verschiedenen
Lebensepochen vorhanden: »Der Jünger von Emmaus«
von etwa 1630, faszinierend, wenn auch etwas thea-
tralisch; dann ein Porträt Saskias vor ihrer Verlobung
mit Rembrandt, mit einem wundervoll gemalten
Spitzenkragen. Es stammt, wie der Katalog angibt,
aus der Kasseler Galerie des Großherzogs von Hessen
(soll wohl heißen: des Kurfürsten von Hessen-Kassel;
aber welches?). Endlich das Bildnis des Doktor
Tholinx von 1655, ein Meisterwerk der reifen Zeit
Rembrandts. Eine Glanzleistung auch ist Frans Hals'
»Männerbildnis« in seinen grauen, schwarzen, rosa
Tönen.

Unter den Italienern möchte ich den Preis zuer-
kennen: Mantegnas »Verspottung Christi« in einem
prächtigen, allzu prächtigen Rahmen aus dem 15.Jahr-
hundert; Carpaccios »Gesandtschaft der Hippolyta,
Königin der Amazonen, an Theseus, König der Athener«
(das Sujet wurde erst kürzlich identifiziert), ein Bild,
das mit seinen warmen Farben, seiner Noblesse und
Erzählungsfreudigkeit alle Vorzüge des venetianischen
Meisters besitzt; ferner Tiepolos großer Freske »Hein-
richs III., Königs von Frankreich, Besuch in Venedig«.
Dieses Wandgemälde nebst zwei Seitenfresken und
Deckenbild ist 1893 aus der Villa Contarini in Mira
bei Venedig nach der Loslösung vom Stein und der
Übertragung auf Leinwand in das Hotel Andre ge-
schafft und eingelassen worden. Ein höchst ausdrucks-
volles Marmorrelief, »Brustbild eines jungen Helden«
von Desiderio da Settignano, eine sienesische kniende
Jungfrau aus dem 15. Jahrhundert in Holz, Porträt-
reliefs von Amadeo und Pasti vertreten die italienische
Renaissanceskulptur so gut, daß der Louvre dies neue
Museum darum beneiden kann.

Von den Gegenständen des Kunstgewerbes, wie
Mobiliar, Bronzen, Plaketten, Vasen, Teppichen, Pen-
dülen, ist fast jeder einzelne besonderer Beachtung wert;
gerade ihrer geschickten Aufstellung verdankt man
 
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