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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 25.1914

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289

Ausstellungen

290

Dr. Richard Reiche, einer der Hauplvorkämpfer dieser
modernsten Richtung, hat die Ausstellung zusammengebracht
und auch das Vorwort für den illustrierten Katalog ge-
schrieben, das in recht geschickter Weise die Absichten
der Expressionisten, die Zusammenhänge ihrer Kunst mit
den Vorgängern und ihre bisherigen Taten und Erfolge
schildert. Daß er dabei ihre Schwächen kaum betont und
die Expressionisten stark auf Kosten der Impressionisten
feiert, wollen wir ihm nicht allzu sehr nachtragen, denn
es liegt in der Natur der Sache und ist wohl nicht so
furchtbar ernst gemeint, daß wir meinen müßten, Reiche
verstoße den gesamten Impressionismus in den Abgrund
der Hölle.

Die Ausstellung in der Galerie Arnold entläßt den
Beschauer mit recht gemischten Empfindungen. Da sind
einige Gemälde, denen wir mit uneingeschränkter An-
erkennung zustimmen müssen — Dr. Reiche hat sich die
besten für sein Museum gesichert — da sind weiter eine
Reihe von Malereien, denen wir auf Grund der Reicheschen
Aufklärungen verstehend, darum verzeihend gegenüber-
stehen, da sind aber endlich noch recht viele, bei denen
man nur von stümpernden Nachahmungen wenig begabter
Mitläufer sprechen kann. Auch hierüber wird sich Dr.
Reiche keiner Täuschung hingeben; anstatt nur das Beste
auszuwählen, wollte er in Ubereinstimmung mit der Galerie
Arnold »ein möglichst umfassendes Bild von dem augen-
blicklichen Stande der expressionistischen Malerei in
Deutschland und den deutsch-österreichischen Ländern
geben«. Und von diesem Standpunkt aus darf man das
Unternehmen in der Tat verdienstlich nennen, ganz be-
sonders für Dresden, wo man von der expressionistischen
Malerei bisher nur vereinzelte Beispiele gesehen hat, aus
denen man sich kein Bild von den Grundsätzen und
Zielen der Expressionisten machen konnte. Die Ziele
oder anders gesagt, was schließlich bei der ganzen Be-
wegung herauskommen wird, ist weit weniger durchsichtig
und erkennbar, als die Herkunft und die einigenden Ge-
sichtspunkte, von denen die Expressionisten ausgehen.
Cezanne1) und van Gogh sind die Väter der neuen An-
schauung in der Malerei, Paris ist ihrer aller Heimat.

»Seinen Ausdruck will der Expressionist den Dingen
geben, er will sie gestalten, wie seine Seele sie sieht,
seine innere Not will er in ihrer Gestaltung befreien. Die
Seele sieht er in der Einheit, die Erlösung vom steten
Wechsel der flüchtigen Erscheinung, und so sieht der
neue Künstler hinter den unendlich variierten Einzel-
schöpfungen den Typus der Form und nimmt den Gegen-
ständen die Unruhe ihrer natürlichen Plastizität. Unter dem
wechselnden Spiel des Lichts und der Farben sieht er die
Farbigkeit und das Licht, die den Dingen innewohnen,
über den Zufälligkeiten momentaner Bewegungen forscht
er nach den Gesetzen der Rhythmik. Auflösung ist das
Zeichen der impressionistischen Kunst, Zusammen-

1) Ob Cezanne selbst sich zu dieser Vaterschaft freudig
bekannt haben würde, ist zweifelhaft. Schrieb er doch 1904,
der Künstler solle den Geist der Literatur fürchten, der
den Maler so oft von seiner richtigen Bahn, dem fest-
gegründeten (concret) Naturstudium abbringe, um sich
viel zu lange in unbegreiflichen Spekulationen zu verlieren.
Wollte Cezanne doch nur dadurch beweiskräftige Theorien
schaffen, daß er die Malerei höher entwickele. »Ich
gelange zur logischen Entwicklung dessen, was wir durch
das Studium der Natur sehen und empfinden, und brauche
mich darum nicht mehr mit der Technik zu beschäftigen,
die uns nur das einfache Mittel ist, dem Beschauer sicht-
bar zu machen, was wir selber empfinden, um seinen
Beifall zu erlangen.«

fassung das Ziel des expressionistischen Künstlers, der
in die unfaßbare Vielgestaltigkeit der Außenwelt die Ein-
heit seiner inneren Erkenntnis trägt «

Soweit Dr. Reiche — und diese Sätze sind gewiß sehr
viel klarer, als die mystischen und verworrenen Ausein-
andersetzungen des Russen Kandinsky, bei denen einem
an Klarheit der Gedanken und der Darstellung Gewöhnten
unwohl werden kann. Aber schließlich war diese unklare
Begeisterung, dieses Ringen mit dem Ausdruck immer
vorhanden, wenn Künstler neue Wege einschlugen und
sich vor allem in der Bekämpfung des Alten, in der Ver-
neinung des Bisherigen zusammen fanden. Und vielleicht
sind wir einstigen Vorkämpfer des Impressionismus, allzu
sehr verstrickt in die Gedankengänge dieser Malerei von
gestern, in alten Anschauungen stecken geblieben, so daß
es nur an uns liegt, wenn wir mit den Expressionisten
nicht durch Dick und Dünn zu gehen vermögen? Wer
weiß das? Nun, jedenfalls wollen wir nicht in den Fehler
der Alten von 1888 verfallen, die in den impressionistischen
Gebilden der damals Jungen abscheuliche Verirrungen
sahen und Zetermordio schrien. Nein, stellen wir mit
Reiche auf Grund der Ausstellung fest, daß es in der Tat
möglich ist, mit den Mitteln der Expressionisten z. B. mit
kubistischer Formung, mit Formen, die aus dem Würfel
und ähnlichen geometrischen Körpern gewonnen sind,
malerische Werke von völlig organischerGeschlossenheit und
starker künstlerischer Wirkung zu schaffen. Man sehe z. B.
das Begräbnis von Wladimir von Bechtejeff (geb.
1878 zu Moskau): wie da die fackeltragenden Männer
durch die enge Felsenschlucht den mumienartigen Leichnam
eilends dahintragen, wie der Rauch der Fackeln sich körper-
haft erstarrt über den Leichenzug dahinlegt, das ist so er-
greifend stimmungsvoll, daß wir die sonderbare Form
kaum bemerken und nur die Größe des dargestellten Vor-
gangs auf uns wirken lassen. Da ist weiter ein weibliches
Bildnis von Alexei von Jawlensky (geb. 1867 zu Mos-
kau), das mit seiner köstlichen Farbengebung — feuriges
Rot auf blaugrünem Grunde, rosa Blumenstrauß, fein
gelbliches Inkarnat — dekorativ ganz wunderschön wirkt
und dabei in der Haltung des gesenkten Kopfes und im
Ausdruck innerlicher Versenktheit eine starke seelische
Note aufweist. Dekorative Wirkung und Tiefe des Aus-
drucks sind hier in vorzüglicher Weise vereint. Ein Still-
leben von demselben Künstler hat dieselbe leuchtende
Farbenpracht, die Formen der Früchte aber stehen schon
an der Grenze, wo sie nicht mehr gegenständlich, sondern
nur noch als Farbenträger wirken. Weniger bedeutend
ist die Russin Marianna von Werefkin (geb. zu Tula
1870). Das Bild des Schuppens mit der Staffage einer
schattenwerfenden Dame, der ein Herr folgt, ist mit seinen
grün leuchtenden Mauern und dem tiefen Blau der Schatten,
mit den hochaufragenden quadratischen Türmen immerhin
nicht ohne Stimmung, und das gilt auch von dem Corpus
domini.

Überschaut man die gesamte Ausstellung, so sieht
man leicht, daß die Expressionisten mannigfachen Ein-
flüssen unterlegen sind. Da sind Bildnisse von Jawlensky,
die unmittelbar an die ägyptischen Mumienbildnisse aus
dem Fayum erinnern, da wird man an die Starrheit und
den Emailglanz byzantinischer Mosaiken erinnert. Hans
von Marees taucht auf in den Hesperiden von Bechtejeff,
auch Eugen Carriere in den Bildnissen von Däubler;
natürlich haben auch die Primitiven verschiedener Her-
kunft stark eingewirkt, denn die Vereinfachung, die bei
den Primitiven noch selbstverständlich war, ist ja künst-
lerischer Grundsatz bei den Expressionisten. Andere aus-
gestellte Werke haben mit dem Expressionismus nur ent-
fernt etwas zu tun, so Albert Weißgerbers Hl. Sebastian,
 
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