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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 25.1914

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Gronau, Georg: Raffaels Zeichnungen
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317

Raffaels Zeichnungen

318

Himmelfahrt der Maria in Budapest (Albertina-Publ.
Nr. 683, als Pinturicchio) gedenken sollen. Denn hier
findet man nicht nur Raffaels Engel mit der kleinen
Geige in Oxford (T. 18) benutzt, sondern auch die
Liller Zeichnung zu einem Violine spielenden Engel
(T. 21) kann dem Schöpfer des Budapester Blattes
nicht unbekannt gewesen sein (vgl. Fußstellung und
Gewandfalten des vordersten Engels rechts). Ferner
scheint mir einem von Fischel im Text (S. 45, Abb. 42)
wiedergegebenen Blatte, das er als »dem Spagna sehr nahe
stehend« bezeichnet (S.46) — Madonna mit Heiligen,
Tondo in Chatsworth — nicht genügende Schätzung
wiederfahren zu sein. Diese Komposition steht dem
viel diskutierten Entwurf zur Terranuova-Madonna in
Lille (T. 54) so nahe, das Kind ist demjenigen auf
der Wiener »Madonna mit dem Granatapfel« (T. 53)
so aufs engste verwandt, wie auch eine von Fischel
als echt angenommene Studie zum Sebastian in Ham-
burg (T. 12) hier Verwendung gefunden hat1); endlich
ist der Typus der Madonna nicht sowohl die Vor-
stufe zu jenem Berliner Bilde, als namentlich zur
Granduca-Madonna, daß ich gern geneigt wäre, das
Blatt, das ich nur in der Reproduktion kenne, Raffael
zurückzugeben, so sehr scheint es mir in seine »Ge-
dankenfabrik« zu gehören. Man müßte sonst geradezu
annehmen, der Nachahmer — Spagna? — habe in
einer Komposition eine Musterkarte raffaelischer
Motive geben wollen. Wo so manches im Tafelwerk
gebracht ist, das immerhin diskutabel bleibt, hätte ich
einer großen Faksimilewiedergabe dieses interessanten
Stückes Aufnahme gewünscht.

Und nun zu der am Schluß gebrachten Serie der
Zeichnungen zur Libreria in Siena: den Kartons in
Florenz und Perugia (Casa Baldeschi), nebst den
flotten Entwürfen zu einzelnen Gruppen in Florenz
(Reiterzug) und Oxford (vier stehende Krieger, Rücks.
schildhaltende Putten). Der Diskussion führt der Verf.
neues Material zu, indem er erstmalig die Rückseite
des zweiten Uffizienblattes veröffentlicht (T. 61) und
hier in einer Gruppe von zwei Figuren mit dem ihm
eigenen Formengedächtnis eine Nachzeichnung nach
einer Gruppe in einer der Signorelli-Fresken in Or-
vieto erkannt hat. Aber leider kommen wir selbst
damit nicht viel weiter. Genau wie man mit Fischel
den Pinturicchio einen bedeutenden Umweg in seiner
Route machen lassen muß, die ihn von Perugia nach
Siena führte (selbst wenn wir ihn die Reise über Chiusi
machen lassen, wo er Land besaß), könnte man Raffael
einmal in dieser Zeit von Perugia aus direkt nach
Orvieto wandern lassen, trotzdem dafür dokumen-
tarisch kein Beweis zu erbringen ist. Und wenn
Fischel auf ein Blatt im venezianischen Skizzenbuch
hinweist (Abb. 76), wo eine Reihe von Köpfen nach
einem Fresko Signorellis in Monte Oliveto wieder-
gegeben ist, so darf man auch an Raffaels frühe
Bewunderung für den Meister von Cortona erinnern,
für die einer seiner ersten zeichnerischen Vers che
(T. 2) zeugt. Und schließlich ist eine Kenntnis des
Originals nicht einmal unbedingt nötig gewesen: der

1) Man beachte die fleischigen Hände des hl. Rochus;
diese Form der Hände ist eminent raffaelisch.

Raffael der vorflorentiner Periode zeichnet bereits nach
Pollajuolo (T. 4), das konnte freilich Wiedergabe
einer Zeichnung sein; aber wie war ihm Donatellos
Evangelist Johannes im Florentiner Dom bekannt ge-
worden1) (T. 10)?

Sehr wesentlich wäre es für die Frage, wenn man
die beiden Kartons genau datieren könnte. Keines-
falls ist man genötigt, diese allzu früh anzusetzen;
denn zwischen dem Auftrag auf die Arbeiten der
Libreria (29. Juni 1502) und dem Testament des Auf-
traggebers (9. Februar 1503) ist Pinturicchio fast
dauernd in Perugia nachweisbar, wo er doch gewiß
mit der Erledigung bereits übernommener Verpflich-
tungen genug zu tun hatte; er kann erst nach dem
9. Februar 1503, zu welchem Termin er in Perugia
weilte2), in der Libreria angefangen haben. Damals
muß die Decke fertiggestellt worden sein, da hier
seines Auftraggebers Wappen noch mit dem Kardinals-
hut geschmückt erscheint (Pius III., Papst vom 22. Sept.
bis 18. Okt. 1503). Nach dessen Tod trat zweifellos
eine Unterbrechung der Arbeit ein, da Pinturicchio
bis in den Spätsommer 1504 die Fresken in der Tauf-
kapelle des Doms und das Tafelbild daselbst ge-
malt hat.

Ich rekapituliere diese Daten, nur um darzutun,
daß die beiden Kartons durchaus nicht notwendiger-
weise in Siena entstanden zu sein brauchen. Viel-
mehr wird Pinturicchio an ihnen in der zweiten
Hälfte des Jahres 1502 in Perugia gearbeitet haben,
in der Stadt, wo Raffael lebte; daß der Jüngere hier
Skizzen entwarf, die mit dem Thema dort sich be-
schäftigten, daß der Ältere sie kannte und benutzte,
ist doch an und für sich nicht als unmöglich zu ver-
werfen. So bleibt also letzter Hand der Stil das Aus-
schlaggebende; und da muß ich nach wie vor be-
kennen, daß sie mir allem, was ich von Pinturicchio
kenne, so überlegen erscheinen, daß es mir nicht
möglich ist, sie (wohl verstanden nicht die beiden
Kartons) ihm zuzuschreiben. Ich bitte, genau die
Pferde der Uffizienzeichnung mit dem Karton eben-
dort und besonders mit den Pferden des Freskos zu
vergleichen (man vergl. auch die Pferde auf dem
Karton der Casa Baldeschi!); soll man wirklich glauben,
daß, wer die Struktur des Tieres so gut kennt, um
diese rapiden Skizzen hinzuwerfen, es fertig bringt,
hinterher in der Ausführung so schlecht und ver-
ständnislos gezeichnete Tiere zu schaffen3)? Das
Gleiche gilt von der Leichtigkeit und Eleganz der
Figuren, die für mich eben absolut raffaelisch sind.
Was für trübselig lahme Figuren hat der frescante
aus den so köstlich frischen vier Soldaten gemacht
(vergl. Abb. 73)!

Und nun komme ich, zum Schluß erst, auf die
Einleitungen zu sprechen, mit denen der Verf. den

1) Die Eigenhändigkeit dieses Blattes steht und fällt
mit dem hl. Sebastian in ganzer Figur in Lille (T. 13);
man vergl. namentlich die Füße.

2) Vergl. Bombe a. a. O., S. 233 u. 294/5.

3) Zur Gegenprobe möge man den Entwurf zum hl.
Georg (T. 57) und den Cenlauren auf dem Herkulesblatt
der Uffizien (T. 58) heranziehen.
 
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