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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 25.1914

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375

Literatur

376

O. M. Dalton, Byzantine Art and Archaeology. With 457
Illustrations. Oxford, at the Clarendon Press 1911. 728 p.

Als ich an dieser Stelle (Ztschr. f. bild. Kunst, 1911/12,
S. 179) Charles Diehls »Manuel d'art Byzantin« anzeigte,
konnte schon auf das Erscheinen von Daltons »Byzantine
Art and Archaeology« hingewiesen werden. Nunmehr ist
mir das prächtige Buch Daltons über ein Jahr ständiger
Ratgeber für alles, was — abgesehen von der Architektur
— byzantinische Kunst und Archäologie betrifft. Es
darf als ein unentbehrlicher Begleiter, ein fast nie ver-
sagendes Nachschlagebuch für den an Byzanz Interessierten
bezeichnet werden. Und bei jedem Male, wo ich danach
greife, muß ich staunend die Fülle des Materials und das
sichere klare System bewundern, in das Dalton seine un-
gewöhnlichen Kenntnisse der Denkmäler gebracht hat. Man
könnte jetzt noch darüber erschrecken, wenn man daran
denkt, daß Dalton, dessen Buch gerade vor dem Erscheinen
von Diehls »Manuel« im Manuskript fertig geworden war,
sich dadurch hätte abhalten lassen, mit seinem Werke
herauszukommen; hat doch jedes der beiden Handbücher
seine eigenen Vorzüge und eines ergänzt das andere. Der
historischen Darstellung bei Diehl, die das Kunstobjekt in
eine geschichtliche Entwicklung hineinstellt, steht bei
Dalton eine Einzelbehandlung der Kunstzweige entgegen,
wobei die Architektur allerdings weggelassen ist. Die
Gründe, die Dalton dafür angibt, daß er die hauptsächlichste
Kunst, die für die byzantinische und die frühchristliche
Periode so außerordentlich bedeutsam ist, übergangen hat,
müssen anerkannt werden. Seine eigenen Studien und
seine Tätigkeit im British Museum, wo er die frühchrist-
lichen und byzantinischen Altertümer katalogisiert und auch
den Laien durch Führer zugänglich gemacht hat, wiesen
ihn auf das Gebiet der anderen Kunstübungen unter Weg-
lassung der Architektur, für die der gewissenhafte Kunst-
gelehrte einen Meister verlangt, der in ihren Traditionen
aufgezogen ist oder durch erlangte weite praktische Er-
fahrung zu ihr gehört. So müssen für die fehlende Archi-
tektur Diehls »Manuel« und die vor kurzem erschienenen
zwei Bände von Sir Thomas Graham Jackson »Byzantine
and Romanesque Architecture« (Cambridge University
Press 1913) in die Lücke springen.

Noch einen weiteren Zweck verfolgt und erfüllt Daltons
stattlicher Band. Er will die englischen Interessenten mit
den letzten Resultaten kontinentaler Arbeiten über byzan-
tinische Kunst und Archäologie bekannt machen und legt
ihnen — man darf für die Periode der Vollendung des
Buches so sagen — geradezu lückenlos und bis auf die
kleinste und an verborgener Stelle erschienene Abhandlung
eingehend die Literatur Deutschlands, Frankreichs, der
Balkanstaaten, der Russen und Italiener (Mufioz) vor. Was
mögen gegenüber dieser ungewöhnlichen Fülle von Literatur-
angaben geringe Auslassungen wie z. B. der Arbeit von
Frothingham über die Vatikanischen Porphyrsarkophage be-
deuten, oder daß vor den jetzt erschienenen Arbeiten von
P. G. de Jerphanion die »eglises souterraines de Cappadore«
noch nicht in ihrer Bedeutung gewürdigt werden konnten?

Es ist natürlich, daß Dalton seine Zusammenstellungen
nicht in die Welt schickte, ohne in einleitenden Kapiteln
das Wesen der byzantinischen Kunst zu untersuchen und
Stellung in den bewegenden Fragen zu nehmen. »Byzan-
tinische Kunst« ist ein mit Reserve zu gebrauchender Aus-
druck für die erste in Betracht kommende Periode, für

Inhalt:

welche er auf Byzanz zu konzentrieren ist. Erst für später
umfaßt er ein weiteres, das ganze ostchristliche Gebiet.
Historisch teilt Dalton mit anderen die byzantinische Kunst,
der zu ihrer Entwicklung eine archaische Periode gefehlt
hat und die mit einer vollendeten Technik beginnen konnte,
in vier Perioden, für deren jede er Charakteristisches klar,
kurz und treffend in dem Einleitungskapitel zu sagen hat.
I. Von der Gründung von Konstantinopel bis zu dem Auf-
treten der Ikonoklasten. II. Die ikonoklastische Periode.
III. Von der Thronbesteigung Basil I. (867 n. Chr.) bis zur
Erstürmung von Konstantinopel im Jahre 1204. IV. Von
der Restauration nach der lateinischen Okkupation bis zur
türkischen Eroberung. In ungewöhnlich interessanter
Weise sind im zweiten Einleitungskapitel auch die Ein-
flüsse der byzantinischen Kunst auf die der westeuro-
päischen Länder, namentlich auf Deutschland, Frankreich
und auf die britischen Inseln geschildert. Wie die helle-
nistische Kunst als die alliierte des Buddhismus nach Asien
drang, so gelangt sie auch in das Europa der barbarischen
Eroberer im Gefolge christlicher Missionare. Vielleicht hat
aber Dalton dem hellenistischen Einfluß in Zentralasien
zu viel Macht zugeschrieben (siehe jetzt Strzygowski
»Ostasien im Rahmen vergleichender Kunstforschung«,
Ostasiatische Zeitschrift, April-Juni 1913). Im allgemeinen
hat aber auch Strzygowski volle Sympathie für die von
Dalton vorgebrachte Theorie über das östliche, aus Orient
und Hellenismus zusammengesetzte Wesen der byzanti-
nischen Kunst. (Strzygowski, Byzantinische Zeitschrift XXI,
S. 548 ff.)

Die eigentlichen Materialsammlungen, auf die wir im
Detail an dieser Stelle nicht eingehen können, sind in die
Kapitel III—XI verteilt. Der Skulptur sind deren zwei
(das zweite behandelt die hochwichtigen Elfenbein- und
die Steatitschnitzereien), der Malerei deren drei gewidmet,
das letzte derselben ist allein für die illuminierten Manu-
skripte bestimmt. Das VIII. Kapitel schildert die byzan-
tinische und ostchristliche Emaillekunst. Im IX. Kapitel
sind die Goldschmiedearbeit, der Edelschmuck und die
Silbergefäße bearbeitet. Das X. Kapitel gilt der Textil-
kunst in ihren mannigfaltigen Unterabteilungen. Den
Schluß bilden Tonarbeiten und Glas, Metallarbeiten, die
so interessant geschmückten Gewichte, Münzen, Siegel,
Gemmen und ähnliches. Von außerordentlicher Bedeutung
sind dann noch zwei allgemeine Darstellungen der Ikono-
graphie und der Ornamentik; denn Religion und Dekoration
sind in die Augen fallende Aspekte der byzantinischen Kunst.

Man möge nicht glauben, daß eine solche Anhäufung
und Aufzählung von Material auf den Stil der Darstellung
nachteilig gewirkt hat! Daltons Buch ist nicht bloß Nach-
schlagewerk, es kann auch gelesen werden, denn es ist in
einem flüssigen und anregenden Stil geschrieben. 457
wohlgelungene, teilweise ganz Neues bietende Abbildungen
begleiten den schönen Druck. In jeder Beziehung hat die
Oxford University Press alles getan, um die Ausstattung des
Buches seiner inhaltlichen Bedeutung gleichzubringen. Das
ist eine Publikation, die der englischen Wissenschaft alle
Ehre macht und um die wir sie wohl beneiden dürfen.
Wir haben hier neben Diehl ein zweites eigenartiges
Standardwerk über byzantinische Kunst und Archäologie
vor uns, das rückhaltlos dem Kunsthistoriker, dem Theo-
logen, dem Geschichtsforscher, dem Sammler empfohlen

werden kann. Max Maas, München.

Wertzuwachs an Kunstwerken. — Albert Neuhuysf; Hans Stegmann f. — Personalien. — Sammlung Camondo im Louvre; Kunsthalle in
Hamburg; Schinkel-Museum in Charlottenburg. — Ausstellungen in Frankfurt a. M , München. — Kunstwissenschaftliche Oesellschaft in
München. — Bernini-Studien; Eine unbekannte Arbeit des Bramantino. — Das neue französische Nickelgeld. — Neue spanische Kunst-
literatur; Dalton, Byzantine Art and Archeology.

Verantwortliche Redaktion: Gustav Kirstein. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstraßella
Druck von Ernst Hedrich Nachf., q. m. b. h., Leipzig
 
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