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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 25.1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.6191#0205

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391

Literatur

392

falls ein Kaiser, denn in der späteren Antike wurde Por-
phyr nur zu den Porträts von Kaisern gebraucht. Das
Diadem, das den Kopf schmückt, besteht aus zwei breiten
Goldreifen und ist überreich mit großen Perlen und Edel-
steinen bedeckt. Das große Mittelschild trägt größere
Steine. Das Haar, das überall unter der Krone hervor-
quillt, ist in weichen Strähnen angeordnet und nicht poliert.
Unpoliert ist nur noch die Iris der Augen, die wohl, wie
das Haar, irgendwie gefärbt war.

Der Kopf ist etwas unsymmetrisch, so daß auf der
rechten Seite die Formen schmäler erscheinen. Das ist
ein Zeichen dafür, daß man sich den Kopf zu einer Statue
gehörig zu denken hat, die nach rechts gewendet war.
So erscheint uns Kaiser Justinian I. auf dem Goldmedaillon.
Der Kopf konnte nicht zu einer Panzerstatue gehört haben,
denn sonst trüge er den mit dem Pfauenfederbusch ge-
schmückten Goldhelm. Man muß sich statt dessen die
dazu gehörige Statue mit der Chlamis bekleidet denken.
Wahrscheinlich gehört der Kopf zu dem mit der Chlamis
bekleideten Porphyrtorso einer byzantinischen Kaiserstatue,
die sich in Ravenna befindet.

Professor Delbrück beschrieb dann den Kopf mit
größter Genauigkeit als einen kräftigen Kopf einer rohen,
brutal-entschlossenen Persönlichkeit von etwa vierzig Jahren.
Er meint, daß wenige spätantike Porträts sich mit dieser
kräftigen Charakterskulptur messen können. Die Prüfung
läßt eine Ähnlichkeit mit dem Porträt Justinians L, der
565 gestorben ist, wahrnehmen. Das Diadem hat die
späte Form des 7. oder 8. Jahrhunderts. Sehr eigentümlich
ist bei der Büste die Nase, die vollständig erhalten ist,
aber einen ganz wunderbaren Bau zeigt. Sie hat fast kein
Profil, keine Nasenlöcher und die vordere Hälfte des Nasen-
flügels fehlt, während die Hintetfläche normal ist. Eine
Rille dient zum atmen. Die Nase ist nicht durch Krank-
heit oder Schwerthieb zerstört, sondern ist von Henkers-
hand verunstaltet worden, wie das im 7. Jahrhundert im
byzantinischen Reiche Brauch war, wenn man einem ge-
stürzten Gegner das Leben schenken und ihn dabei poli-
tisch unschädlich machen wollte. Deutlich sieht man an
der Büste, daß die Nase nach der indischen Methode
wiederhergestellt worden ist, in der Zeit, wo indische Ärzte
in Konstantinopel auftraten. Die Haut, um die verunstaltete
Nase zu bedecken, wurde nach dieser Methode aus einer
der Wangen geschnitten. Kein gestürzter Kaiser, dem
Nase und Zunge verstümmelt worden waren, kam außer
Justinian II. wieder auf den Thron. Vom ihm heißt es,
daß er, der zwischen 705 und 711 regierte, bei Schnupfen
jedesmal einem gefangenen Gegner das Leben nehmen ließ.
Er suchte in vielen Sachen Justinian I. nachzuahmen und
nannte seine Frau Theodora. Er war geboren im Jahre
668, und bestieg den Thron zum erstenmal 680 als Mit-
regent. Im Jahre 685 wurde er alleiniger Kaiser und man
tadelte ihn wegen seines Selbstgefühls und seiner Gewalt-
tätigkeit, die ihn bald in argen Zwist brachte mit Kirche,
Großgrundbesitz und Armee. Leontius stürzte ihn und ließ
ihm im Zirkus die Nase beschneiden und ihn nach Cherson
verbannen. Von da aus gelang es ihm, trotzdem ihn die
Chersoniten anklagten, gegen den Kaiser eine Empörung
vorbereitet zu haben, mit Hilfe der Bulgaren Konstanti-

nopel und die Krone wiederzuerlangen, und nun lebte er
der grausamsten Vergeltung, bis er selbst, als er seine
Flotte zu einem Rachezuge gegen Cherson gesandt hatte,
wieder gestürzt und getötet wurde.

Prof. Delbrück besprach noch ein Mosaik in S. Apol-
linare in Classe, in dem der Kaiser als achtjähriger Prinz
mit Tiberius, Heraclius und Constantin IV., natürlich noch
mit der heilen Nase, dargestellt ist. red. H.

LITERATUR

Das neue Bild. Text von Otto Fischer. (Delphin-Verlag,
München 1912, geb. 18 M.)
Der Text Otto Fischers ist seiner Absicht und seiner
Natur nach Manifest. Als solches ist ihm ein vollgerüttelt
Maß Rhetorik von vorneherein gut zu halten, und sobald
ein Kunstbekenntnis sich schon in seiner sprachlichen Form
als ästhetischen Glauben ankündigt, hat die Kritik keine,
bloß die Polemik Berechtigung, welcher aber andere Stellen
als diese dienen mögen. Von dem Offenbarungsinhalt
abgesehen ist dem Fischerschen Texte das Verdienst nach-
zurühmen, daß er nicht erfolglos bemüht ist, die engen
Grenzen unserer kunstkritischen Ausdrucksmöglichkeiten
nach der verbalen Seite hin zu erweitern. Eine geschärfte
und vertiefte Beobachtung läßt ihn Form und Farbe in
einem besonderen Grade der Bewegtheit, der funktionellen
Tätigkeit erkennen. Die Flächen schichten sich gegen-
einander oder parallel in seiner Darstellung oder sie stauen
oder bäumen sich oder greifen wie Zähne ineinander.
Sie können zerfließen oder sich ballen, beruhigt in sich
selber lagern oder durch den Gegensatz ihres Wesens
sich gegenseitig stützen und tragen. Diese Fähigkeit des
Verfassers, das Zuständliche der Form durch das stilistische
Mittel in das Handelnde zu übersetzen und somit Raum-
kunst in Zeitkunst zu verwandeln, ist bemerkenswert.

Das allen neun Künstlern, die im Bande vertreten
sind, eigentlich Gemeinsame ist als Theorie sehr ein-
fach. Sie alle sind Neuplatoniker, vollgetränkt mit Buddha,
Schopenhauer, Nietzsche, in ihnen spricht sich der Neu-
idealismus aus. Nicht die Erscheinung, sondern ihr
Wesen, das in ihm Waltende ist ihre Sehnsucht. Und
selbstredend haben sie recht, ganz ebenso recht, wie sie
es mit dem schnurgeraden Gegenteil hätten, weil die
Richtung unserer Sehnsucht gleichgültig ist, worauf es
ankommt, ist allein ihre Spannkraft, ihre Intensität, die
Gewaltsumme, mit der diese Sehnsucht in die Wirklichkeit
gezwungen wird, Gestalt gewinnt. Daß der Grad der
Intensität nicht gleichmäßig unter den Mitgliedern der
Gruppe verteilt ist, versteht sich von selbst. Bechtejeff
und Erbslöh ragen gewaltig hervor. Bechtejeff rückt mit
aller Kraft einer männlichen Liniengestaltung jenem Be-
grifflichen näher, das eigentlich außerhalb der Kunst steht.
Er wird deshalb vielleicht eher befremdetes Staunen, viel-
leicht gar Bewunderung erwecken, als Freude, Liebe.
Während Erbslöh uns trotz aller erfreulichen Entfernung
billiger Gefühlsinhalte ein altvertrautes, kerndeutsches
Gemüt enthüllt. Bilder wie »Der violette Schleier« oder
»Komposition« geben dem ganzen Werk Gewicht und
sichern ihm Dauer. r. m.

Inhalt: Archäologische Nachlese. — John Tennielf. — Personalien. — Wettbewerbe: Botschafterpalais in Washington; Reiterstandbild Kaiser
Wilhelms d. Qr. in Stendal. — Ausstellungen in Berlin. — Kaiserlich deutsches archäologisches Institut in Rom. — Das neue Bild.

Verantwortliche Redaktion: Gustav Kirstein. Verlag von E.A.Seemann, Leipzig, Hospitalstraßella
Druck von Ernst Hedrich Nachf., o. m. b. h., Leipzig
 
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