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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 25.1914

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Uhde-Bernays, Hermann: Albert von Keller
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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXV. Jahrgang 1913/1914 Nr. 33. 8. Mai 1914

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.

ALBERT VON KELLER
Von Hermann Uhde-Bernays

Ein nachdenkliches Fest, welches die Münchener
Sezession am 27. April begangen hat. Ihr Führer,
weit weniger auf den stillen Pfaden künstlerischer
Arbeit, als vielmehr ihr Repräsentant im Reiche der
Verpflichtung des Auftretens nach außen, feierte seinen
70. Geburtstag, und über der Tatsache, daß jetzt das
Alter der Patriarchen Jene ergreift, die uns jungen
Studenten vor zwanzig Jahren wie gleichaltrige Ge-
nossen erschienen, da sie als Leiter freiheitlicher
Bewegungen zur Schlacht riefen, fühlt eine ganze
Generation die beginnenden grauen Haare mit ge-
doppeltem Gewicht. Wahrhaftig, die Helden der
Sezessionen, deren Lebenskraft im Fortschreiten der
Jahre alraunisch zusammenschrumpfte, stehen nun alle
der obligaten Ehrenpforte so nahe, daß das Leuchten
der goldumsponnenen Gewinde ihre Schläfen streift.
!n gesichertem Besitz ruhmvoll gewonnener Daseins-
freudigkeit denken auch sie vielleicht mit milder
Resignation aus der Dämmerung des sinkenden Tages
an den Zenith ihres Aufstiegs. Sie haben gesiegt
und werden »verehrt« — aber in der lautlos wach-
senden Kluft zwischen ihnen und uns verschwindet
denen ein Höheres, trotzdem minder Ersehntes: die
Liebe, welche im Banne der heiligen Sache die Per-
sönlichkeit gleichsam symbolisch ergriff. Die wir den
Kriegswagen der Kunst umdrängten, uns waren Lieber-
mann und Trübner solche Symbole, wie unseren
älteren Brüdern unter dem Panier der Dichtung Ibsen
und Hauptmann.

In München konnte man in den ersten Jahren der
Sezession ganz deutlich die verschiedenartige Richtung
der Sympathien feststellen, und der Gegensatz ist
niemals ganz verschwunden, der sich zwischen Pigl-
hein und Stuck hier, Uhde und Keller dort ausbildete.
Jenen, den Robusten, gehörte die Zustimmung einer
mehr aus Einheimischen gebildeten Gruppe, während
diesen, den Aristokraten, eher die Zugewanderten
huldigten. Keller ist nur selten aus seiner Zurück-
haltung hervorgetreten, so daß Habermanns Namen
bald häufiger an seiner Stelle genannt zu werden pflegte,
bis die große Keller-Ausstellung von 1908 den Aus-
gleich herbeiführte. Aber Keller ist auch derjenige
Künstler unter den Begründern der Sezession, der bei
allem Streben nach malerischer Freiheit dem konser-
vativen Grundgedanken der Münchener Kunst und
der Fortführung ihrer geheiligten Ateliertradition am
treuesten geblieben ist. Er vertritt die Kultur dieser
Tradition unter den lebenden Münchner Künstlern
einer nur scheinbar impressionistisch zu deutenden
Form und bestätigt, je nach Laune realistisch gewen-
det oder romantisch, die Fortdauer einer angeblich

mit Piloty abgeschlossenen Malweise, obgleich Keller
der Beschränkung dieser Schule im inhaltlichen Sinne
ihrer Darstellungen durchaus fern steht. Eine Be-
trachtung der wesentlichen Bedeutung dieses Künst-
lers wird stets auf der erwähnten Basis fortzuschreiten
haben und aus der Erkenntnis des Zusammenhanges
seiner Kunst mit Rambergs und Pilotys Atelier, deren
Formel gewinnen, die andererseits durch Abstammung,
Erziehung und vielfache Einflüsse Veränderungen
erfahren hat, wie sie nur sich zusammenzufinden
möglich waren, um ein Produkt von größter Diffe-
renzierung zur Reife zu bringen. Schon aus diesem
Grunde wird Keller niemals zu den ersten Meistern
der Kunst des 19. Jahrhunderts zu zählen sein, ob-
wohl er — das anzumerken muß mit besonderer
Betonung geschehen — in seinen Darstellungen be-
stimmten Ausdrucksformen der gesellschaftlichen De-
kadenz am Ende der genannten Epoche mit illustrie-
rendem Deckvermögen entspricht. Das Werk Albert
von Kellers gleicht kostbaren Pflanzen, die durch
sorglichste Pflege erstehen und gedeihen, ferne der
Natur, deren Liebe und Rauheit sie mit eigenem
Lebenswillen entgegenzureifen nicht vermögen. Wir
betrachten und staunen, rühmen Pflege und Kultur,
aber preisen andere glücklicher, die Sonne und Wind
zu trotzen aus sich selbst veranlagt waren ■— Kinder
der Scholle, nicht Blüten des Treibhauses.

Es ist bezeichnend, daß das erste und bedeutendste
Werk aus Kellers Jugendzeit den Titel »Chopin« führt.
Die ganze frühe Hälfte des Kellerschen Werkes könnte
unter diesem musikalischen Titel zusammengefaßt wer-
den. Die Empfindsamkeit, der Rhythmus, der Klang,
von dessen Email auch im musikalischen Wert ge-
sprochen wird, die spielerische und doch ausdrucks-
volle Grazie und Leidenschaft der Impromptus des
in sich selbst sich verzehrenden Polen finden wir in
allen den kleinen Bildern des Schweizers wieder, bei
denen im Vergleich mit den »frühen Menzels« der
Ehrentitel der »frühen Keller« geläufig wurde, und
die nunmehr endlich einen eigenen Saal in der neuen
Münchener Pinakothek erhalten haben. Keller ist hier
reiner Maler, wie jener reiner Musiker war, mit einem
Temperament, dessen nervöse Überstürzung keine
Eindämmung duldet, mit einem Talent, dessen Rich-
tung durch Abstammung von einer geistig hochstehen-
den Familie und eine auf ästhetische Rücksichten all-
zu bedachte Erziehung bestimmt wird. Keller darf
in dieser Beziehung mit Anselm Feuerbach verglichen
werden — aber wie unendlich viel leichter und glück-
licher vollzog sich Kellers Entwickelung, von materi-
ellen Fragen und der Publikumsgunst abgesehen, in-
dem sich ihm durch seine philosophisch-spiritistischen
Interessen psychische Möglichkeiten des Ausspannens
 
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