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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 25.1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.6191#0317

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6i5

Literaiur

616

Gericault bekam hier ein eigenes Kapitel neben Daumier.
Das dritte Buch heißt jetzt »Die Landschaft«. Turner, Con-
stable, die Schule von Barbizon, Corot, Courbet sind die
Überschriften der Kapitel, die früher Millet, Segantini,
van Gogh, Meunier gewidmet waren.

Leider ist nicht eine Inhaltsübersicht des ganzen Buches
vorangestellt, die schon jetzt von den weiteren Verände-
rungen des Orundplanes eine Vorstellung gäbe. Wir werden
nach Erscheinen des zweiten und dritten Bandes auf das
Werk zurückkommen und möchten auch eine Beurteilung
bis zum Abschluß des Ganzen vertagen. Vorläufig will es
scheinen, als habe die Disposition nicht an Übersichtlichkeit
gewonnen. Aber man kann sich denken, daß der Sinn der
Linien durch die Richtung ihres weiteren Verlaufes sich klärt.
Mit der ersten Auflage jedenfalls hat das zweite und dritte
Buch des ersten Bandes nur wenig mehr gemein. Und auch die
Abbildungen sind so reich vermehrt, daß der geringe, frühere
Bestand in der Zahl beinahe verschwindet. Statt früher
200 wird das ganze Werk nun 600 Illustrationen enthalten.
So finden die Freunde des Autors unter dem alten Namen
ein neues Buch. Sie werden den Inhalt mancher Kapitel
wiedererkennen aus Einzeldarstellungen,die in derZwischen-
zeit erschienen. Hier stehen sie in einem Zusammenhang,
dessen Sinn noch nicht immer deutlich wird, aber mit den
folgenden Bänden hoffentlich zu einem überschaubaren
Ganzen sich verbinden wird. aiaser.

Emile Magne: Nicolas Poussin. Premier peintre du roi
(Documents inedits). Bruxelles, 1914.

Seitdem das »Kunstwollen« mit einem ganz ersicht-
lichen Ruck umgeschwenkt ist, werden in den Pariser
Künstler-Ateliers und -Schulen nicht mehr Velasquez, Rubens
oder Frans Hals als leuchtende Vorbilder aufgestellt und
ihnen Altäre errichtet. In jeder Vorrede zu einer Aus-
stellung von den peintres cubistes bis zu den zahmen Ly-
rikern der Denis-Schule trifft man unweigerlich einen wohl-
bekannten, wenn auch bereits scheinbar weit unter die
Bewußtseinsschwelle gesunkenen Namen: Nicolas Poussin.
Ihn, den Begründer der französischen historisch-heroischen
Malerei, den großen Vorläufer der Akademiker, hatte man
im Zeitaller des Impressionismus selbst zu den Akademikern
gerechnet und damit verworfen. In einer Epoche aber,
die, wie die unsere, wiederum nach Form, Zusammenhang,
Gesetz strebt, tauchte Poussins Kunst wieder empor, natür-
lich meist in Kreisen, die es innerlich anging, bei den
Künstlern. Langsam besinnt sich nun auch die nachhinkende
Wissenschaft, daß sie hier eine Schuld abzutragen hat, denn
seit geraumer Zeit ist nur wenig oder Unbedeutendes ge-
schaffen worden, was über die liebevollen Lebensbeschrei-
bungen der Zeitgenossen Poussins, Bellori und Felibien
hinausging oder über den (für seine Zeit) ebenfalls treff-
lichen Catalogue raisonne von Smith (1837). Als ob nun
auf einmal der Bann gebrochen wäre, erscheinen in diesem
Jahre 1914 drei größere oder kleinere Biographien des
Meisters (auch der Referent hat seinenTeil dazu beigetragen).
Die dem Format nach bedeutendste, ein wahres Pracht-
werk an Umfang und Ausstattung (auch nur in beschränkter
Anzahl von Exemplaren gedruckt) ist die zuerst erschienene
Biographie Poussins von Emile Magne.

Der Verfasser ist, wie aus dem vorgedruckten Ver-

zeichnis seiner früheren Werke ersichtlich, ein guter Kenner
der französischen Gesellschaft des 17. Jahrhunderts. Er hat
über Scarron, Ninon de Lenclos, über das Hotel de Ram-
bouillet und ähnliche Themen Monographien veröffentlicht.
Das kommt auch seinem Poussin zugute. Er kennt und
zitiert eine erstaunliche Fülle von Literatur, z. T. sehr ent-
legener, weiß in den Lokalschriften über den Heimatsort
Poussins Les Andelys so gut Bescheid, wie über die Streit-
schriften und Satiren der »Rubenistes et Poussinistes«;
über die schon veröffentlichten archivalischen Belege hinaus
bringt er eigene Forschungen aus den »archives du ministere
des affaires etrangeres«, die eingehende und z. T. amüsante
Aufschlüsse geben über die Vorgänge vor und während
der Berufung Poussins an den Hof zu Paris (Poussin selbst
bleibt dabei freilich im Hintergrunde, es handelt sich nur
um die Agenten, die in Rom mit der Affäre zu tun hatten).
All das wird in einer klaren Sprache (mitunter freilich etwas
weitschweifig) vorgetragen, und so gewinnt man ein gutes Bild
von dem »ambiente« Poussins. Es werden gewissermaßen
immer mehr und mehr konzentrische Kreise um einen Mittel-
punkt gezogen, und es fehlt nur eins zur Lösung der Auf-
gabe, das X, das Zentrum selbst, das Problem: Poussin
und seine Kunst.

Vielleicht ist es unrecht, von einem Werke dieser Art
zünftig Kunsthistorisches zu verlangen. Aber da der Ver-
fasser nun einmal einen großen »catalogue raisonne« des
Gesamtwerkes Poussins im Anhang gebracht hat (was hier
niemand verlangt hätte), so wäre eine gewisse Kenntnis
kunstphilologischer Methode doch wohl wünschenswert
gewesen. Es geht doch nicht an, fast jedes Werk, das
in irgend einem Museums- oder Auktionskatalog als Poussin
verzeichnet steht, als ein solches zu nehmen ohne wenig-
stens einen Versuch, sei es ästhetischer, sei es quellenmäßiger
Kritik. Das Dresdener Exemplar der »Anbetung der Könige«
hat vor den anderen in Paris und Dulwich den Vorrang
der genauen Signierung und Datierung (was der Verfasser
nicht erwähnt), die Louvre-Taufe entspricht nicht dem von
Bellori beschriebenen Bibliotheksbild für Pozzo (das sich
vielmehr in England, Belvoir-Castle, befindet) und so noch
vieles. Von einer auch nur ungefähren chronologischen
Anordnung ist nicht die Rede. Auch die z. T. schönen
Tafeln sind weder chronologisch, noch dem Texte folgend
geordnet, sondern wahllos durch das Buch zerstreut. Auch
hier hätte schärfere Kritik manches ausmerzen können, z. B.
halte ich weder die Pest zu Athen (bei Cook, Richmond),
noch den Triumph der Venus (Duke of Devonshire), noch
die Kinderszene (Pal. Spada, Rom) für Werke Poussins. Da-
gegen ist es sehr anzuerkennen, daß vielen Gemälden die
dazu gehörigen Zeichnungen beigegeben sind (freilich
können auch bei diesen öfters Zweifel laut werden), denn
gerade bei Poussin lösen mitunter die Zeichnungen das
in der Ausführung Entfremdend-Starre und lassen uns diesen
großen Künstler intimer kennen und lieben.

Ob das Dresdner Porträt Poussins von 1640 (mehrfach
besprochen und auch photographiert, daher nicht »generale-
ment inconnu«) von der Hand des flämischen Porträtisten
Ferdinand Elle ist (es ist V. E. signiert), wie man bisher
annahm, erscheint nunmehr nach einer Anmerkung des Ver-
fassers (p. 51) sehr zweifelhaft. Dies noch als positives
Ergebnis. w. F.

Inhalt: Johann Sperlf. — Änderung in der obersten Leitung der bayrischen Galerien.— Ausstellungen in Berlin, Wien, München, Lyon, London. —
Dresdner Galerie; Grosvenor Galerie in London. — Drei frühe,Werke von Ferdinand Bol.— National Art Cojlections Fund in London. —
J. Meier-Graefe, Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst; Emile Magne, Nicolas Poussin.

Verantwortliche Redaktion: Gustav Kirstein. Verlag von E.A.Seemann in Leipzig, Hospitalstraße IIa
Druck von Ernst Hedrich Nachf., o. m. b. h., Leipzig
 
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