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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

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Heft 8 (Maiheft)
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Spunda, Franz: Ritt über den Taygetos
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https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0113

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netle Mädchen mil gutmüügen Zügen, deren melanchoüsche Augen einen slawischen
Einschlag verralen.

Unler diesen Gesprächen, von häusigen Daj- und Eh!-Rufen unterbrochen, kommen
wi'r auü der fruchkgesegnelen Ebene herauS ins karstige Buschland, von wo auS
Misträ, breit am BergeShang hingelagert, mit seinen unzähügen Zinnen und Tür-
men einen ganz phantastischen Eindruck erweckt. JedeMinute des gcstrigcn Tags steht
lebendig vor meinen Augen und klar in meiner Seele wie ein Bück in einen kristall-
hellen Ouell. Was sich gestern in Einzelerlebnissen auslöste, kann ich jetzt zu ciner
Einheit zusammensassen, zu einer Gleichzeitigkeit, die das als Romantik Empsundene
zur klassischen Objektivität erhöht. Von unten ist der Taygetos noch surchtbarer als
gestern, unersteigüch, unüberwindlich. Aber nach einer Wendung auswärts wird eine
tiese Ouerschlucht sichtbar, die Langada, die wie eine schwarze Wunde in das breite
Massiv eingeschnitten ist.

Nun geht es aus ausgetretenem Pfad immer steiler aufwärts. Viele Reiter mit
Ballen — Kokons sind darin, sagt mir der Agogiat — kommen uns entgegen. Der
Weg spottet jeder Beschreibung. Wie er zur Zeit der spartanischen Könige war,
so ist er noch heute, niemand kümmert sich um seine Jnstandhaltung. Wozu auch?
Zu Fuß geht ohnehin niemand, und die Maultiere und Esel suchen sich ohnehin
jede Stelle aus, woraus sie den Fuß setzen können. Manchmal gibt es Risse und
Spalten, mehrere Meter ties. Dann muß man absitzen und sich hinüberturnen, so
gut es geht. Das sind „Rhevmata", Bette von Gießbächen, welche die Wasser-
sluken zur Zeit der Schneeschmelze in die lehmige Landschast reißen. Tägüch
reiten wohl mehr als hundert Leute hindurch, aber niemandem sällt es ein, eine
Brücke darüber zu schlagen. Holz ist recht teuer — würde übrigens sofort gestohlen
werden — und eine soüde Brücke zu bauen, wäre unsinm'g, denn jedes Frühjahr
surcht andere Rhevmata aus.

So geht es mehreremale aus und nicder. Zur Regenzeit muß Griechcnland recht
unerquicklich sein; und ich bedauere Gustavc Flaubert, der die unglückselige Jdee
hatte, das Land im Winter zu bereisen und da natürüch keinen ersreuüchen Ein-
druck gewinnen konnte.

Schon glüht die Augustsonnc hoch herab. Am Abhang des am wcitesten in die
Ebene vorgeschobenen Berges klettert der Pfad durch gelbes Distelgebüsch in Zickzack-
wendungen empor über Steinmoränen, Runsen, Schutthalden und ausgewachsene
Felsplatten, hart am Abhang vorüber. Es ist staunenswert, wie leicht das Tier
immer den richtigen Stein trisst, auf den eS den Fuß setzen kann: immer gleich-

mäßig wie eine Maschine windet es sich durch die Felstrümmer, wic wenn cs

aus ebenem Gelände ginge. Der gute Lamprenos keucht hintendrein, das Daj-
und He-Rufen ist ihm mit dem Aufstieg vergangen. Jn einem Steinkcssel vcr-
sängt sich die Sonnenglut, die Lust brodelt wie in einem Feuerhcrd. Der Nanö
triesen Rieselbäche von Schweiß über das graue Fell, von meiner Stirn tröpselt
eS in regelmäßigen Jntcrvallen. Und eS ist erst neun Uhr früh! Gottlob, wir
kvmmen endlich doch ins Freie aus eine Anhöhe, wo der frischc Bergwind unS
srcudig anspringt. Ein Kirchturm und einige Häuser lugen aus einem Laubwald
hervor: das Dors Trypi, das wir im langsamen Trott allmählich erreichcn. Die
Lungen füllen sich mit kühlen Lüften, daS Blut wird frcicr und der Geist atmet
hell. Noch einen Bück nach Misträ, das in verkürzter Perspektive cin Chaos von
Zackcn ist, noch einen Bück nach Sparta zurück — und schon sind wir in cinem

dichten Eichwald, vor uns üebüche Aucn, von serne Herdengeläut: das Wunder-

land in ArkadienS Nachbarschast, wo Fanst mit Helena im Liebesbund sich
vereinigt:

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