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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 6.1892-1893

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1892)
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Unsere Künste, [2]: zum Überblick
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https://doi.org/10.11588/diglit.11727#0008

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1. Stück.

Lrscbeint

Derausgeber:

zferdtnand Nvenarius.

Kesrcllpreis:
vierteljährlich 2t/z Mark.

6. Zabrg.

Älnsere

Zum ub

AM»U^ollcu wir eincn Überblick über das deutsche
Kuustlebeu gewiuueu, so weuden wir uus
zuuächst der deutscheu Dichtuug zu.
Deun wus wir hier erkeuuen werdeu, ist
iu vieler Beziehung bezeichueud fast für alle audereu
Küuste, so sehr besoudere Verhältuisse eiue jede Kunst
beeinflusseu.

Als die Welleu der großeu Literaturbeweguug
vou Frankreich, Rußland, Skaudinavieu her an unsere
Grenzen schlugen, befand sich die deutsche Dichtuug in
eiuem Zustaude, der nur erklärlich ist bei eiuer inneren
Eutfremdung zwischeu ihr uud dem Teile der Natiou,
der in seiner Entwickluug der Gesamtheit voran-
schreitet.

Es ist stets das „stoffliche Juteresse", die Teil-
uahme am Gegeustaud eiuer Dichtuug, die ihr eiue
größere Zahl von Leseru zuführt. Das uuu war eiu
uuglücklichcr Zufall, daß die Persönlichkeiten gerade
der wahrhaft bedeuteudeu Dichter, die wir auch vor
zwauzig Jahreu hatteu, die Keller, Naabe, Storm usw.,
dem stofflicheu Juteresse wenig boteu. Ju Atem ge-
halten durch das politische und wisseuschaftliche Vor-
wärtsdräugeu der Gegeuwart, faud der Gebildete
gerade bei ihneu die Wiederspiegelung sciuer uumittel-
baren Jnteresseu nicht, die im ruheloseu Heute doch
uoch mehr als au irgeud eiuem Gesteru zu allgemeiuerer
iuuerer Beteiliguug an dichterischen Schöpfuugeu uötig
gewesen wäre.

Bei minderwertigen Schriftstellern dagegeu faud
man schou damals die Behandluug moderuer Frageu,
uud da diese allein iuteressirteu, — so hielt mau die
miuderwertigen zunächst für bedeutend. War dauu
die Teilnahme am behandelteu Gegeustaude befriedigt,
kauute man das Was, war man auf das Wie der
Darstelluug angewiescu, das die Auseiuaudersetzuug
der dichteudeu Persöulichkeit mit ihrem Stoffe zu

Ikünste.

i e r b l i ck.

zeigeu hat uud wahrhaft küustlerische, wahrhaft dich-
terische Bcreicheruugeu uusres eigueu Gesühlslebens
vermittelu kauu — dauu freilich mußte mau seine
Ausprüche wohl uiedrig stellen. Aber man kaunte
doch eben uur diese Schriftsteller und deshalb maß
mau au ihrem Maße die ganze moderne deutsche
Dichtung. llud die Folge war: mau uahm sie über-
haupt nicht mehr erust. Mau behaudelte die deutsche
Poesie der Gegeuwart, wie man in der sogenannteu
guteu Gesellschaft so oft die Frau behandelt: als eiu
Geschöpf, das mau uach Vüter Art sehr hoch zu schätzeu
erklärt uud dem man, selbst wenn es über wichtige
Diuge spricht, auch wohl gern zuhört, weil das gauz
uuterhaltend ist. Nur, versteht sich, ohue ihre
Plaudereien irgeudwie eines tiefereu Eingehens wert
zu halteu. Die lebeude deutsche Dichtuug ward sür
das Bewußtseiu der übermiegeudeu Mehrheit ausge-
schiedeu aus der Neihe der sühreudeu Kulturmüchte.

Ilud jeue Kleiuheiteu, die mau im Salou uud
Boudoir für Größcu hielt, fügteu sich bereitwillig iu
die Rolle. Es. gedieheu jeue „Meister der Erzähl-
kuust", dereu Aktlseu allweihuachtlich mit ueueu Priuzeu
uiederkameu, die dauu die Tageskritik für Wuuder-
kiuder, eiues herrlicher als das andre, erklärte. Es
gedieh mit dem Auspruch, Kulturschilderuugen aus der
Gegcuwart zu bieteu, jeue Literatur, die ohue jedeu
Versuch uach Ergrüuduug der gewaltigeu Tiefeu dcr
Zeit mit ihrcu Kähncheu auf der Oberfläche herum-
schaukelte uud gelegeutlich eiu Netzcheu auswarf, uni
über die gefaugeueu Fischcheu aus tieferen Schichteu
geistreich Einiges zu plauderu. Es gedieh mit dem
Vorgeben, Lyrik uud Epik zu seiu, jeuer Kueip- uud
Liebeleisingsang iu geborgter Maskeugarderobe, der
mit so widerlichem Mauierismus die Beweguugeu dcs
Urwüchsigeu uud der Frische nachahmte. Es gediehcu
jeue Nomauschreiber, die mit Verue uaturwisseuschast-

Lrstes Gktober-Dett 1S92.

Ktbicke i»cs

0NÄ.
 
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