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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 6.1892-1893

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1892)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11727#0017

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es von einer fnlschen Frngestellung zcugte, tvenn sich Jcmnnd
einem Oelbilde gegenüber darnach erknndigen wollte, ob durch
das Gemälde denn auch das Oel der Farbe gekennzeichnet sei.
Die Maler, die hier in Frage kommen, benutzen auch guten
Aiutes verschicdene Techniken anf dcn nämlichcn Bildern mit
einander, und sie haben ein Recht dazu, da das Material sür
ihre ganz von ihm abliegenden künstlerischen Zwecke in ge-
wisscm Sinne nur die Bedeutnng des „Zufälligen" hat.

Das mächtige Anwachsen der zweiten Richtung der Aqua-
rell-, der Gouache- und Pastcllmalerei, die jetzt von außer-
ordentlich vielen Malern technischer Erleichternng wegen neben
der Oelmalerei benutzt werden, ist Ursache davon, daß die
Dresdner Aquarellausstellung schlechthin wie eine Jllustration
der allgemeinen Geschichte der zeitgenössischen Malerei über-
haupt wirkt. Eine eigentliche Kritik über sie müßte eine Kritik
über diese sein — und zu einer solchen bietet sich ans anderen
Ausstellungen denn doch weit reichhaltiger der Stoff. Wir
müßten gar zu sehr Stückwerk bringen, wollten wir bei dieser
Gelegenheit z. B. über die Schotten schreiben, deren herrliche
aber wenig zahlreiche Gaben sreilich das Entzücken der kunst-
freundlichcn Bcsucher erregten, oder über die Franzosen, von
denen einige kleine aber bewunderungswürdige Stndien von
L'hermitte und sehr interessante Bilder von andcren zu sehen
warcn. Oder über die Jtaliener, die, übrigens noch vielfach
nn der alten Aqnarellauffassung festhaltcnd, in ihrer Mehrheit
doch nur wieder die bekannte hvchst geschickte Mache einer seelen-
armen Markt- nnd Kenncrknnst zeigten, während der bedeutendste
Vertreter ihrer künstlerisch ernsteren Minderheit, Segantini,
diesmal wenig zur Geltung kam. Oder über die dentschen
Schulen, übcr München, Düsseldorf, Berlin, Dresden, die zudem,
als Schulen betrachtet, nichts erkennen ließen, was die Leser
dieses Blattes nicht lüngst schon wüßten. Allgemeinere Züge
an Beispielen aufzuweiscn, bieten, wie gesagt, die großen Aus-
stellungen, die auch Oelbilder in Menge zeigen, allein ge-
nügendes Material. Zu einer shstematischen Besprechung der
Bilder fehltc also die Möglichkeit, nnd eine bloße Namenanf-
führnng ist nicht Sache dieser Blätter.

Das aber ist nicht zn vergessen: tritt wirklich Unge-
wöhnliches zum ersten Male auf den Plan, so soll man
stets darauf aufmerksam machen, denn cin nener echter Künstler
ist für die Genußfreudigen ein neuer Freund. Deshalb und
weil es sich um ein paar Lente handclt, die auf den großen
Ausstellungen leicht uberschen werden können, wollcn wir heute
den Thürstcher spielen, der die Namen einiger neuer Güste
ausruft, die anf der Dresdncr Ansstellung in die große Kunst-
gesellschaft der Gegenwart eingetreten sind. Da ist znnächst
der Dresdner Alexander Stichart, ein bescheidenes aber
echtes Talent, das sich iu Geistesvcrwandtschaft zu Ludwig
Richter anf das Erfreulichste entfaltet hat. Sein großes
Aquarell „Hänsel und Gretel" ist wieder einmal ein echt
deutsches Märchenbild voller Gesühlsfeinheit, schlicht und
herzlich, anmntig und einfach, eine Frende für jeden, dem über
dem berechtigten Gennß am Modernen die Augen sür Schön-
heiten andercr Weltcn nicht trübe geworden sind. Modern,
höchst modern ist dagegen der Münchner C. Strathmann,
dessen künstlerische Persönlichkeit der Sticharts gerade entgegen-
gesetzt ist. Jch verhehle auch nicht, daß sie meinem Empfinden
weit weniger zusagt —, zu beachten aber wird sie in Zukunft
sein. Jn Strathmann tritt ein Karikaturenmaler anf, der
von sern an Stuck, Meggendorfer, Schließmann erinnert, aber
doch eine sogar schon manieristisch stark hervortretende Eigenart
zeigt; dabei sind seine japanisch grotesken Schildereien zu
eigentümlichen Bildwirkungen zusammengesehen. Der be-
deutendste der „neuen Leute", die ich nenneu möchte, ist einer,

dessen Schasfensgebiet nach den hier ausgestellten Bildern im
Gegensatze zn dem der beiden Gcnannten der düsterste Ernst
ist: G. Lührig in Göttingcn. Seine füns Kreidezeichnungen
zu eiuem Totentanz sind, trotzdem in der Zeichnung noch
nicht alles sicher ist, künstlerischc Thaten und stellen meiner
Überzeugnng nach den jnngen Zeichner in die erste Rcihe
unserer Phantasiemaler neben Klinger. Jch weiß, wie vicl
ich damit sage, aber ich sag es eben doch. Und wer sich
darein versenkt hat, mit welch großgeartetcr Anschauungskraft
hier Lührig das Landschaftliche wiedergeschaffen hat, mit
welcher Fülle scharf rcalistischer Beobachtungen dort seine
Phantasie srei herrschend schaltet, und wie in den besten
Bildern das Ganze in traumhast-visionärer Stimmung zu
einer Einheit zusammengeschmolzen ist, der wird gleich mir
das Höchste von diesem Künstler erhoffen. Und er wird ein
Gefuhl stärkster Verwunderuug daruber nicht unterdrücken
können, daß das Preisgericht der Ausstellnng unter seinem
halben Hundert von Anszeichnungen keine für diesen malenden
Dichter übrig gehabt hat. —r.

« Ikunst-Literatur i.

Allgemeine Kunstges chichte von I)r. Albert
Kühn, O. 8. U. Einsicdelu und Waldshut, Benziger 8c Co.
25 Lieferungen zu je 2 Mk.

Von diesem Werke, dessen Widmung Papst Leo XIII. am
genommen hat, licgen nns die ersten Lieferungen vor. Der
Verfasser vertritt neben dem historischen Standpnnkt auch das
Recht der ästhetischen Betrachtungsweise, schickt daher der
eigentlichen Kunstgeschichte eine üsthctische Vorschule voran,
und ebenso läßt er den drei Hauptabschnitten, der Geschichte
der Architektur, der Plastik und der Malerei, ästhetische Ein-
leitungen vorrangehen. Schließlich widmet er auch der Technik
jeweilig die gebührende Ausmerksamkeit. Diese Einteilung ist
durchaus lobenswert. Sehr erfreulich ist es auch, daß der
Verfasser allenthalbeu für Echtheit und Wahrheit in dcr Kunst
eintritt, Jmitationen u. s. w. als untünstlerisch verwirst.
Der ästhetische Standpunkt Kühns ist eine Art Jdeal-Realismus.
„Jm Schönen müssen Jdee und Form zu einer vollen leben-
digen Einheit, zu einem geschlosseneu, sertigeu Ganzen ver-
bnnden sein, weil die Jdee die formgebende nnd gestaltbildende
Seele ist, und die Form somit als eine gegebene, bestimmte
und notwendige erscheint." „Alles echt Schöne ist auch
gut und wahr." „Das Schöne ist in seiner Quelle tief-
religiös." Bon dem christlich-religiösen Standpnnkt aus
würdigt der Verfasser in seiner ästhetischen Betrachtung z. B.
auch die ägyptischen und griechischen Kunstwerke, iudem er die
ihnen zu Grunde liegenden heidnisch-religiösen Auschauungen
verurteilt. Als Aufgabe der Plastik bezeichnet er es, eine
Jdee, ein Geistiges in entsprechender Form zu versinnlicheu;
eine wesentliche Fordernng der Plastik ist nach ihm die
Schönheit der Linien und Umrisse und der ganzen plastischen
Erscheinuug. Trotzdem will er nicht auerkenneu, daß die Dar-
stellung dcs Nackten die höchste Aufgabe der Plastik sei oder
bei den Griechen gewesen sei. Es läßt sich begreifen, daß dcr
Vcrfasser bei solchen Ansichten sür die charakteristische Kunst
wcnig Neigung übrig hat; Rembrandt steht ihm weit unter
Raffael; ebenso spricht er gegen übertriebene Subjektivitüt.
Der katholische Standpuukt offeubart sich in seiuer entschiedenen
Vorliebe sür die Gotik. Man ersähe aus atledem, daß die
Ansichteu des Verfassers keineswegs voraussetzungslos sind,
wüßte man dics nicht aus seiner Mitgliedschaft am Benediktiner-
orden ohnehin. Abcr für anders denkende und empfindcude Lcser
tritt der Standpunkt Kühns bis jetzt nur in den ästhetischen
Erörterungen daun und wann störend hervor. Es muß im
übrigen anerkannt werden, daß er seinen Stoff klar und an-
 
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