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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 6.1892-1893

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Heft 7 (1. Januarheft 1893)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11727#0112

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elegaiite Fran tanzell, wilti'iirzündet nnd perlenden Anges, ^
ihren eleganten „Lebe"-Mann herunter. Der sitzt da — nun,
wie denn? Ohne Ausdruck, obwohl scheinbar die Mienen sich
vcrzerren und äußerlich die Fäuste sich ballen. Der Kopf ist
derart gezeichnet, daß er für die Anschanung gar keine Knochen
hat, sondern sich wie ein wachshastes Gebilde giebt. Und die
andere Ehehälste? Das Haupt ist gleichsain angesetzt und
ohne den Ausdruck schlichter Menschlichkeit die heftige
Gemütserregung ist erheuchelt, nicht gestaltet. Was nützen da
vereinzelte koloristische Feinheiten? Die künstlerische Gesamt-
wirkung hat Block verscherzt. Naivetüt, Naivetät nnd noch-
mals Naivetät! Er sammle sich, in Rnhe nnd Stetigkeit, da-
mit cr endlich der Kunst sroh werde, und nicht uur Beisall
ernte, sondern anch verdiene. Was nützt es, Andern viele
Werke hiuzuwcrfen, wcnn man für sich selbst kaum eines ge-
schaffen hat?!

Wie Dämmerstnnden, La Menschen sich vollig ihren
inneren Wallungen überlassen, — wie diese gemalt werden
müssen, ganz aus ungeteiltcr Naturempfindung heraus, das
konnte dieses Mal recht wohl Ernst Oppler lehren. Sein
rechtschaffenes, gerades, kindliches Talent hat sich am großen
Whistler gebildet, technisch nnd psychologisch. Er malt dnnkel,
sehr dunkel, — doch seine Farbe hat keinc asphaltische Starr-
heit, sie ist vielmehr flimmernd nnd luftig. Es ist die Dunkel-
malerei, die nnr ans der Schule des Pleinairismus hervor-
gehen konnte. Jn diesem Dunkel lebt, webt und atmet es.
Das vertrauliche Düster, da Herzen aufspringen nnd ein
elegischer Ernst, sanst erregend, waltet. Es ist etwas rein
Menschliches, das dieser Oppler herausstellt, — nnd gerade
deswegen etwas überans Einsaches und Bescheidenes: Schlanke
Franen von schöngeschwungenen Körperformen - sie trünmen
in scheuen, ausgelösten Empfindungen - ans dem wcichen
Schwarz des Kleides das rätselhaste Rot einer Rose; Ler
Iveiße Farbensteck des Bildes an der Wand, eine diskret bunte
Base geben geschmackvolle koloristische Rcize. Oder im warmen,
tiefeu Raume ein vertrantes Paar; ein bedentungsvoller Zu-
sammenhang der Seelen. Es ist, als ob Musik in schwebenden,
zitternden Tönen ausklinge ....

Ebensalls so reis und abgernndet ging Theodor
Hummels herbe, junge Begabung aus dem Wettstreite des
letzten Jahres hervor. Menschenart und Menschengeschick be-
stimmen auch seine sichere Kunst. Und er arbeitet nnr für die
Knnst als eine große Angelegenheit. Nicht die Spur eines
gesälligen Entgegenkommens. Wohl ist das „Totenbett der
Mutter" malerisch, doch nicht im landläufig-sentimentalen
Sinne. Er malt das Elend, iveil es der künstlerischen An-
schauung etwas durchaus Charakteristisches darbietet. Ein
granes dnmpfes Gemach, alles ties nnd streng: Aus dem
Lager ein welker Menschenleib und davor, dem Beschauer halb
init dem Rücken zugekehrt, ein zerknirschter Ncann, eine breite,
dunkle, schweigende Tonfläche. Und dann noch ein Licht, —
die spitze, schwälende, züngelnde Flamme einer Stearinkerze,
die einen gepreßten, ängstlichen Schimmer durch den armen
Rauni breitet. Ferner stellt Hummel das „Porträt" eines
Buckligen ans. Hier im Tone eine graue, nervöse Grund-
schwingung. Nicht etwas, das die meisten Leute „schön"
nennen, doch etwas überaus schön Gemachtes. Eiue schöne,
edle Schöpserkrast. Das blaue Muster des Theegeschirres
auf dem Tischc, der goldgelbe Rahmen eines Gemäldes,
Lrücken allerlei blitzende Farbenwirkungen dem Motive ein.
Bereinigen sich in Hnmmel die Fertigkeiten des Löfftz, dessen
Schüler er gewesen, und Jsraelssche Anregungen - zu durch-
aus eigenartiger und selbständiger Arbeit, so gehen Hans
Borchardt und Hermann Nenhaus mit den Wnrzeln

j ihrer Krast ans Fritz von llhde znrück. Jcner hat nls Ber-
liner Kind die preußische Akademie der Künste durchlaufen,
bis er der Schablone satt war nnd eine sreie Lehrc begehrte.
Und so wanderte er nach München, nm bei Uhde zu studiren:
die Helle. Nicht solgte er seinem Meister anf die Höhe
religiöser Erregungen, sondern er wendete sich der anderen
Seite von Uhdes genialer Doppelnatur zu: der Empfänglich
keit sür die Bedürsnisse und Forderungcu der Menschen. Da,
ivohin Jbsens „Baumeister Solneß" erst gclangen mußte durch
Seeleuqual: Menschenwohnungen zu bauen nnt hohcm Turmc,
der „emporzeigt, frei in die Luft hinauf", da stand Uhde von
Ansang an. Borchardt malt sehr geschmackvolle bürgcrliche
Jnterieurs — alles mild, dustig, vou sonderbareni Licht durch-
wogt: Hier eine einsame Greisin, die so klar und luftig nm-
rissen im Raume steht, dort am kristallhellen Wintertage weih-
nachtlicher Aufbau, ein Nachhall kindlich dnrchspielter Stunden.
Neuhaus dagcgen rückte seinem Lehrer stofflich näher: 1891, „der
verlorene Sohn", ein weitschichtiges, wenig naives Bild, das jetzt
zum Schaden des Künstlers die Reise durch Deutschland mackit,
- in diesem Jahre das „Liebe deinen Nächsten wie dich sclbst",
Las künstlerisch einen rechtschaffenen Fortschritt bezeugt. Auch
hier ein novellistisches Streben — im Schnee liegt ein Halb
toter, ein barmherziger Banersmann findet ihn und errettet
ihn — doch die Erzählung schreibt sich in ein breites, ernst-
hast angeschautes nnd charakteristisch empfundenes Stück Wirk-
lichkeit ein. Jm Schnee reflektirt noch der entschwnndene Tag
zicmlich start, — eine Stalllaterne leuchtet dem Rettuugswcrke,
sehr weit durch die Landschast. Hier erscheint eine entschiedcne
Fühigkeit, die Dinge koloristisch zu ersassen, und daranf
eben beruht der Fortschritt.

Durchaus ihren entschiedenen und starken Empstndungen
sür die Farbe als den künstlerischen Beweger, naiv und willig,
überlassen, kam eine ganze Reihe jnnger Krüste heraus, die
alterdings bedenklich die sesten Posten älterer Geschlechtcr be-
drohen. Da ist vor nllen Julius Exter, ein ungebundener,
heftiger Arbeiter, ein Farbendi chter wie wenige in Deutsch-
land. Tie Poesie des Lichtes, das die Farbe erzeugt, geht
ihm überall erhebend auf, wohin anch seine tresflichen Augen
schauen. Und das ist das deutsche an ihm: Die Seele, die in
Licht und Farbe träumt und phantasirt und verdämmert. Mnn
hält ihm seine Vorliebe sür den Besnard entgegen, aber er hat
Besnard nun schon in sich überwunden. Die Ausstellungs-
kommission war überaus zart und rücksichtsvoll gegen dicsen
überlegenen Nenerer, indem sie seinc Bilder gar dort auf-
hing, wo nach eines berühmten Gewährsmannes Bericht der
Menschen „ewige Rechte" hüngcn sollen: unter dem Himmel.
Nur mühselig konnte man Exters Hanpt- und Glanzwerk „D i e
Welle" erspähen, ganz oben, der Decke unmittelbar nahe. Jm
violetten Dunst und Dust des heranschreitenden Abends, ans
rötlich flimmerndem Wogengemisch enthüllt sich der blendende,
menschliche Körper eines schönen Fabelweibes: nicht weit davon,
schattenhast, entsteigt ein anderer Frauenleib dem Elemente.
Glitzernde Perlen gleiten am langen, seidenen Haar herab.
Ein wonniges Schaudern geht durch den Körper. Der Abend
stimmt das Seegebiet in so magischen Farben, daß man
nicht in Wirklichkeit mehr zu schauen glaubt. Und sie haben
thatsüchlich daran gezweiselt, ob die Natur solche koloristische
Noten besüße. Zweisel hegc, wer nic am Meere gelebt hat. Jch
sah das Wasser so, noch jetzt, in diesen Sommermonaten, als
die Sonne hinter den vorgestreckten Höhen von Saßnitz schwand
und ihr Nachglanz die Bncht von Binz und Sellin einhüllte.
Und Exters „Wellc" stand, wohl eine halbe Stunde lang, vor
dcs Weggenossen nnd meinen Sinnen.

Exters geniale Anlagen lvaren in kundigen Kreisen längst
 
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