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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 6.1892-1893

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Heft 16 (2. Maiheft 1893)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11727#0259

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aus Athen und Florenz, so ist die Lehre der Geschichte
eine andere. Ohne Zweifel war das Geld der Mediceer
nötig, um Paläste und Kirchen zn Lauen, um Malern
und Bildhauern Gelegenheit zum Schaffen zu geben. Es
war der befruchtende Regen, der mit dem Sonnenschein
verständnisvoller Teilnahme den Baum der Kunst zur
reichsten Entfaltung Lrachte. Aber den Baum selbst haben
sie nicht gevflanzt. Er war schon groß und mächtig, als
die Medici noch klein waren, und seine Wurzeln reichen
weit zuriick in die bescheidenen Anfänge des Florentiner
Bürgertums. Schon in dem anmutigen Bau von San
Miniato auf der Höhe fühlen wir die stille Arbeit des
toskanischen Geistes. Hundert Jahre später hat Giotto,
der Freund des strengen Dante, die große Malerei be-
gründet und, als zu Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts
Ghiberti, Brunelleschi und Masaccio in freier Schönheit
ihre herrlichen Werke schufen, stand das Florentiner Volk
leiblich und geistig auf der Höhe seiner Kraft. Denn ein
gesundes Volk bildet feine Kräfte gleichmäßig aus. Diefelbe
harte Arbeit, die den wirtschaftlichen Fortschritt begründet,
sichert auch dem künstlerischen Streben dauernden Erfolg.
Kunst und Reichtum wachsen auf demselben Stamm.

Es ist kein Zufall, daß die Pflege des Oelbaumes
in Attika wie in Toskana heimisch ist. Denn das Geschenk
Athenes gedeiht bei einem Volke, das mäßig, fparsam und
geduldig einem kargen Boden seine Nahrung abgewinnt.
Die Griechen nannten die Armut nicht nur die Mutter
der Gesundheit, sondern auch die Lehrmeisterin aller Künste.
Man wird mir sagen: unter diesen Künsten verstanden
die Griechen alle nutzbringenden Thätigkeiten. Technitcn
oder Banausen waren Alle, die um des Erwerbes willeu
arbeiteten, Handwerker und Tagelöhner, aus die der wohl-
habende Bürger, der seine Muße der Geistesbildung, dem
Kriegswesen und der Politik widmete, vornehm herabsah.
Aber auch was wir Künstler nennen, Architekten, Bild-
hauer, Maler und Musiker gehören zu den Banausen.
Bekannt ist, wie bei Luzian die Bildhauerkunst und die
Wissenschaft um einen Jüngling streiten. Jene erscheint
im schmutzigen Aufzug, mit Marmorstaub bedeckt und mit
Schwielen in den Händen. Sie verspricht ein reichliches
Auskommen und einen starken Körper und erinnert an den
Ruhm des Phidias und Polyklet. Die Wissenschaft sagt
dagegen: »als Bildhauer bist du ein Handwerker, ruhmlos
und von gemeiner Gesinnung, einer aus dem großen
Haufen. Würdcst du auch ein Polyklet oder Phidias sein
und Bewunderungswürdiges leisten, so würde zwar Jeder
deine Kunst bewundern, aber kein Vernünftiger wünschen,
an deiner Stelle zu sein, denn wie geschickt du auch sein
möchtest, du wärst doch immer nur ein Handwerker, ein
Lohnarbeiter.« — Diese Sprache ist uns fremd. Wir
sind gewohnt, in unserer Literatur von der Herrlichkeit der
Kunst in hohen Tönen reden zu hören, und der gott-
begnadigte Künstler wird als ein feiner organisirtes Wesen
gepriesen. Bei den antiken Schriftstellern würde man nach
solchen Aussprüchen vergebens suchen. Jch glaube aber
nicht, daß Jemand den alten Griechen deshalb den Sinn
für Kunst absprechen möchte, wie man ihnen aus ähnlichen
Gründen das Naturgefühl abgesprochen hat. Vielmehr
erkennen wir aus dieser scheinbar niederen Stellung, daß
die Kunstübuug in Griechenland wie jede andere gemein-
nützige Thätigkeit aus dem Bedürfnis hervorgewachsen ist,
und darum stand sie auch so sest und tief im Leben des
Volkes. Übrigens war die gesellschaftliche Stellung der
großen Künstler in Athen keine andere als bei uns.

Luzian würde nicht so verächtlich davon reden, wenn er
zu ihrer Zeit gelebt hätte. Wenn der Schwester Kimons,
Elpinike, ein Verhältnis zu dem großen Maler Polygnot
nachgesagt wurde, muß dieser wohl in dem vornehmsten
Hause von Athen verkehrt haben, und Phidias war ein
vertrauter Freund des Perikles. Jn Athen hat die all-
gemeine künstlerische Bildung, wie in Florenz und später
in Paris, einen wesentlichen Anteit an der Begründung
des Wohlstandes. Das Formgefühl des attischen Töpfers,
das wir in den griechischen Vasen unserer Museen be-
wundern, gab seinen Produkten den Handelswert, der ihren
Epport nach Ost und West, von der Krim bis Jtalien
ermöglichte. Jn der Zeit des Kimon, die doch sicher keine
Epochc des Verfalls und der Versumpsung war, ist die
große Kunst emporgewachsen, und als Perikles die Ein-
künfte des Bundesstaates dazu verwandte, die Akropolis
zu einem Weihgeschenk für Athene zu gestalten, da sand
er die Künstler, die er brauchte, und das Volk, das sie
verstand. »Wir lieben das Schöne, aber nicht den Luxus«,
sagt er in seiner Rede auf die Gefallenen. Und wahrlich,
es war kein Volk von Schwelgern und Müßiggängern,
das sich selbst wiedererkannte in den würdigen Männern,
den blühenden Mädchen und den slotten Reitern am Fries
des Parthenon.

Wenn wir freilich von dem attischen Volke reden, so
dürsen wir nicht vergessen, daß dabei die Tausende nicht
mitgerechnet sind, die als Sklaven in den Fabriken und
Bergwerken arbeiteten. Man glaubte, daß ihnen mit der
Freiheit auch die Liebe zur Geistesbildung geraubt sei.
Dafür hat das Licht der Schönheit, das in Athen aufge-
gangen war, sich im Laufe der Jahrhunderte über die
ganze antike Welt verbreitet und seine letzten Strahlcn
vergolden noch in römischer Zeit jede Thonlampe und
jeden Bronzegriff — auch in der ärmsten Hütte.

Wir glauben heute nicht mehr an die Lehre, daß ein
Teil der Menschheit zu mechanischer Arbeit verdammt sei,
damit ein anderer Teil zn höherer Geistesbildung gelangen
könne. Bei uns ist auch der Arbeiter nach dem Gesetz ein
freier Bürger, dessen Stimme mit entscheidet über die Ge-
schicke des Staates. Wir müssen wollen, daß er auch be-
fähigt sei, sich als ein lebendiges Glied der Gesamtheit
zu fühlen. Das kann er aber nur, wenn er Teil nimmt
an den Gedanken und Gesühlen, welche die Besten des
Volkes beseelen. Ein jedes Glied muß absterben, wenn
es nicht den Herzschlag spürt, der dem Ganzen Leben und
Empfindung giebt. Wenn die Athener des Perikles ihre
Sklaven von jeder höheren Bildung wie von der Pflege
der Kunst ausgeschlossen haben, so ist die natürliche Folge
gewesen, daß in der Kriegsgefahr Zwanzigtausend von ihnen,
meistens Fabrikarbeiter, zum Feinde übergegangen sind.

Von allen Künsten ist am verständlichsten für Jeden
die Musik. Bei den Griechen galt sie als das vornehmste
Mittel, den Sinn sür Harmonie und Rhythmus auszu-
bilden. Jn Deutschland ist sie die einzige Kunst, die Jeder
übt. Wir haben nur einen aussterbenden Volksstamm, der
nicht singt. llrisia. NOII cuntut. Die Friesen singen nicht.
Die hat die Nordsee ftumm gemacht. Auch ganz Nieder-
sachsen ist nicht so liederreich wie Thüringen und der Rhein.
Aber die Freude an der Musik ist überall zu finden. Wenn
eine Drehorgel sich aufs Land verirrt, so legen die Schnitter
in der Ernte ihre Sensen nieder um zu lauschen. Jn den
kleinen Städten, wo vor dreißig Jahren jede andere Künst-
übung erloschen war, gab es Gesangvereine und Konzerte

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