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Kunstwart und Kulturwart — 26,2.1913

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Heft 9 (1. Februarheft 1913)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14285#0251

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tektonische Ausdrucksgefühl soll ent-
wickelt und handwerklich geschult
werden. Zwar erkennt man in den
Schülerarbeiten, das ist ja natür-
lich, noch stark die Abhängigkeit
von der Persönlichkeit des je-
weiligen Lehrers, man fühlt: hier
lehrt Bruno Paul, hier E. R.
Weiß usw., aber es ist nicht ein
Kopieren der fertigen Formen des
Meisters, sondern ein Schaffen aus
demselben Formgefühl heraus. Auch
das Aben nach alten Ornament-
formen ist nicht ein Kopieren von
Vorlagen, der Schüler soll viel-
mehr die Entstehung dieser Orna-
mente mit der Hand nachfühlen
lernen, nachschaffend erleben, wie
die Besonderheit eines Ornaments
aus der Natur seines Handwerks
hervorgegangen ist. Wenn jemand
das aus-dem-Pinsel-geflossen, aus-
dem-Pinsel-geboren-sein eines Or-
naments technisch-gefühlsmäßig er-
fahren hat, so wird er nicht mehr
zum akademischen Formalisten wer-
den und zu einer Unterschätzung
der handwerklichen Grundlagen ver-
führt werden können. Immer wird
die dekorative Phantasie auf Kon-
struktion und Charakter gesammelt
und zur Unterordnung unter den
Raumgedanken erzogen, wie etwa,
daß eine ornamentale Malerei in
ihrer Bewegung die Fläche zu glie-
dern, zu rhythmisieren habe. Nicht
freier Phantasienschwung, sondern
Selbstbeschränkung ist das, was zu-
nächst not tut, das in die Hand über-
gegangene Bewußtsein des Zwecks.
Auf dieser Grundlage wird der
wirklich begabte Kunsthandwerker
von seinen Vorbildern sich allmäh-
lich zu selbständigen echten Werk-
formen durchringen können. Diese
Schülerarbeiten zeigen ein neues
Geschlecht von Kunsthandwerkern
an, in denen Kunst und Handwerk
wieder zu alter Einheit sich zusam-
mengefunden haben.

And das ist für die glückliche
und stetige Entwicklung desKunst-
gewerbes wichtiger, als wenn ein
oder ein paar geniale Künstler
mehr uns mit ihrem kunstgewerb-
lichen Talent beschenken. Ein brei-
tes Fundament tüchtiger, sachlich
gediegener Kunsthandwerker ist das
beste Gegengewicht gegen die allzu
persönliche Note, wie sie der Künst-
ler gar zu gerN auch in diejenigen
Arbeiten hineinträgt, die solche per-
sönliche Belastung nicht vertragen.

Es ist schade, daß die internatio-
nale Kunstgewerbeausstellung, die
man, nach Brüssel, von französi-
scher Seite angeregt und für sM
in Paris geplant hatte, nicht zu-
stande kommen wird. Diese Schü-
lerarbeiten würden für jeden, der
lernen will, sehr lehrreich sein.
Besonders auch für die Franzosen,
die jetzt noch sechs bis sieben Iahre
Zeit beanspruchen, um ihr neues
Kunstgewerbe bis zur Höhe einer
Wettbewerbfähigkeit mit dem aus-
ländischen, das heißt deutschen, ent-
wickeln zu können. Ich fürchte
sehr, sie werden auch dann noch
nicht viel weiter sein, da die fran-
zösischen Künstler die nsuen An-
regungen, wie sie von Deutschland
und England ausgingen, viel zu
formalistisch behandeln, soweit sie
überhaupt reformerischen Drang
fühlen, und damit aus der An-
fruchtbarkeit nicht herauskommen.
Auch finden sie mit dem gour alls-
inanä bei dem großen Publikum,
das mit dem unfruchtbaren Kon-
servativismus des befriedigten
Rentners an seinen historischen
Louis und Henris hängt, keinen
Anklang. Diese alten Stile aber
anders als formalistisch zu kopieren
und das Hergebrachte, statt es da-
mit noch weiter zu versteinern,
wirklich zu beleben und aus ihr
keimfähigen Samen zu ziehen,
haben diese französischen Künstler

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