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Kunstwart und Kulturwart — 26,2.1913

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Heft 9 (1. Februarheft 1913)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14285#0258

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ein GrauS. Sott sei Dank, daß
er aus."

„Gott sei Dank, daß er aus." Erst
durch ein Couplet wird an der
Donau die Weltgeschichte Welt-
geschichte. Mag es auch vor der
eigenen Türe brennen, der Wiener
fühlt sich unbeteiligt. Nicht mehr
beteiligt, als die Menge, die sich
zusammenrottet, um eine Wasser-
leiche oder einen Hosenrock zu be-
gaffen. Interessiert, neugierig ist
das Straßenauflaufpublikum immer,
aber stets auch von der Wursch-
tigkeit des Nur-Publikums durch-
drungen, bereit auszukneifen, wenn
Eintrittsgelder kassiert werden, oder
wenn man gar helfeud eingreifen
sollte.

Äberhaupt dieser Balkankrieg.
Sozusagen tagtäglich Weihnachts-
festnummer für die Wiener Presse.
Wenn es Fürstenbesuch gibt oder
einen Iubiläumsfestzug oder Stra-
ßentumulte mit Bajonett und blauen
Bohnen, so sind die Gebieter der
Fenster an der Ringstraße gemachte
Leute. Und dem Theaterstück auf
dem Balkan schaut österreich ge-
radezu aus der Proszeniumsloge zu.
Ia — wie man sich wichtigtuerisch,
in angenehmer Aufregung zuraunte
— fast sollte sogar die Schießerei
auf den Zuschauerraum übergrei-
fen; ein alter Zirkustrick, verfehlt
aber seine Wirkung nicht. Aber
auch so: man ließ sich nicht lum-
Pen. Die erste Feuilletonisten-
garnitur ist aufgeboten worden. We-
reschtschagin, der den vorigen Balkan-
krieg mit dem Pathos des tzasses
malte, war auf dem Schlachtfeld
als Soldat auf seinem Platze. Um
tvieviel opferfreudiger ist aber
Schmock, der Mühe, Kosten und
Zeit der Neise nicht scheut, nur um
sich zu einigen Ladenhütern des
malerischen Feuilletonstils den
Postalischen Aufgabestempel an Ort
und Stelle zu verschaffen.

Karl Kraus — aller Werte un»
beschadet. Doch auch ein Wiener
Phänomen, mit der Wiener Tages-
presse in Shmbiose vereint, wie der
Henker mit dem Iuchthaus und der
Narr mit dem Hofe — Karl Kraus
hat einmal hellseherisch den zukünf-
tigen Weltuntergang geschildert: als
Letzter hält der Wiener Reporter
stand, er notiert die Anwesenden,
ihre Orden, ihre Toiletten.

Adolf Iosef Storfer

Kleidet euch einfach!

er deutsche Verband für neue
Frauenkleidung und Frauen-
kultur ersucht uns um Abdruck des
folgenden Aufrufs, und wir brau-
chen kaum hinzuzufügen, daß wir
ihm guten Erfolg wünschen:

Wir machen eine schwere Ieit
durch, eine Zeit der Teuerung und
der Äberfüllung der Berufe. Hun-
derttausende leben in Sorge um
das tägliche Brot. Trotzdem aber
wächst der' Hang zum Luxus, er
wächst ganz besonders in der Klei-
dung der Frau. Gegen Lebens-
mittelteuerung und Wohnungsnot
sucht man — wenn auch noch
in sehr begrenztem Umfange —
durch Gesetze, durch Gründung von
Genossenschaften usw. neuerdings
einzugreifen. In der Bekleidungs-
frage aber können weder Gesetze
noch die Gründung von Genossen-
schaften nühen. Hier hat die Frau
als Hauptträgerin des Verbrauchs
den größten Teil der Verantwor-
tung, und sie muß zeigen, daß
sie die Bedürfnisse für Wohnung,
Nahrung und Kleidung richtig ab-
zuwägen versteht. Die Modeindu-
strie von heute tut aber alles, um
durch überstürzte Anforderungen
die Kosten für dke Kleidung der
Frau in eine Höhe zu treiben,
die in keinem Verhältnis mehr steht
zur sonstigen Lebensführung. Und
was das Schlimmste ist: Die Mode»

i- Februarheft WS 207
 
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