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Teil II: Philologisch-historische Entwicklung der ars dkfawihn's
Daneben weisen dieselben frühen kommunalen Werke aber auch schon in eine
neue Richtung. Sie gehören unverkennbar nicht mehr wie Alberichs BreuzanMTM dem
monastisch-kirchlichen Umfeld an, sondern sie wurden im Geist der aufkommenden
Kommune geschrieben. Darauf deutet die deutlich modifizierte Stilistik, die weniger
vom Latein der Kirchenväter geprägt war; auch insgesamt nahmen Zitate von kirch-
lichen Autoritäten merklich ab. Stattdessen orientierte sich das Latein stärker an den
Bedürfnissen der kommunalen und merkantilen Alltagskultur. Leitbilder und Leit-
ideen wurzelten nun weniger in den Überzeugungen der Reformkirche als vielmehr
in den Ideen des kommunalen Zusammenlebens? In den Salutationsmustern und in
den Musterbriefen spiegelten sich die alltäglichen Probleme und Kommunikationszu-
sammenhänge der Kommunen wider. Die Regeln für das Abfassen von Briefen wur-
den im Verlauf des 12. Jahrhunderts konkreter, was letztlich zu einer Vereinfachung der
Briefrhetorik führen sollte. Diese Vereinfachung war offenbar für die alltägliche und
merkantile Kommunikation in den Kommunen dienlich. Dieser Hang zu immer stärke-
rer Formalisierung, Konkretisierung und Vereinfachung setzte sich in den Kommunen
im Verlauf des 12. und zu Beginn des 13. Jahrhunderts fort.
Die Rezeption der schließlich deutlich definierten ars dzcfamznzs in Frankreich im
12. Jahrhundert führte dort allmählich zu einer Gegenbewegung und zu einer neuer-
lichen Modifikation, deren Ausrichtung aus dem intellektuellen Umfeld der französi-
schen Kathedral- und Klosterschulen erklärbar wird. Hier war die ars dzcfamhüs nicht
mehr primär das Medium für das Erlernen der politischen Alltags- und Handelskom-
munikation; vielmehr war sie nun nur ein Zweig der französischen Gelehrtenkultur
insgesamt, die maßgeblich durch theologisch-philosophische Studien geprägt wurde.
Deswegen verband sich die ars dzcfamznzs beispielsweise in Bec, Orleans und Chartres
mit der philologischen Renaissance, wo man sich intensiv dem Studium der antiken
Literatur widmete. Im Umfeld klassisch gebildeter Rhetoren, die sich an Cicero und
Quintilian schulten, war es nur folgerichtig, wenn auch die ars dzcfammzs einem klassi-
schen Stilideal angepasst wurden.
Die französischen Innovationen im Rahmen der ars dzcfawmzs wiederum wirkten
sich mit ihren stilistischen Neubewertungen um die Jahrhundertwende auch auf die ars
dzcfamznzs in Italien aus. Die so erfolgte Weiterentwicklung der ars dzcfamznzs im Wech-
selspiel zwischen italienischen und französischen Einflüssen bietet damit ein Muster-
beispiel auf dem Feld der Kulturtransferforschung. Denn in aller Deutlichkeit lässt sich
hier nachzeichnen, dass mit dem Transfer jeweils eine bewusste Umdeutung, Anpas-
sung und Weiterentwicklung des Kulturgutes durch die Rezipienten verbunden war.
Dabei hat die Neudefinition der ars dzcfamznzs in Frankreich teilweise sogar die
Qualität der italienischen ars dzcfamznzs übertroffen? Jedenfalls scheint in Italien gleich-
zeitig die Innovationsbereitschaft auf dem Feld des dzcfamen abgenommen zu haben.
Das kann auch mit den politischen Entwicklungen in Italien zusammen hängen, denn
die Kommunen hatten sich Mitte des 12. Jahrhunderts als feste Ordnung etabliert. Die
ars dzcfamznzs hatte gewissermaßen parallel zur Kommune feste Strukturen erhalten.
Zwar blieben die Kommunen stetig ein Ort sozialer Spannungen, zu deren Einschrän-
Vgl. etwa HARTMANN, Ideal und Identität.
Darin besteht gerade der Schwerpunkt in der Kulturtransferforschung, dass die Rezipienten
nicht als passive Kopisten oder Kompilatoren verstanden werden, sondern in ihrer Fähig-
keit ernst genommen werden, aus dem importierten Kulturgut und dem eigenen Erbe etwas
Neues zu entwickeln, vgl. EsPAGNE/WERNER, Deutsch-französischer Kulturtransfer, S. 306-308;
MmDEL, Von der Wechselseitigkeit der Kulturen im Austausch, mit der Definition von Kultur-
transfer, S. 16; ZwiERLEiN, Komparative Kommunikationsgeschichte.
Teil II: Philologisch-historische Entwicklung der ars dkfawihn's
Daneben weisen dieselben frühen kommunalen Werke aber auch schon in eine
neue Richtung. Sie gehören unverkennbar nicht mehr wie Alberichs BreuzanMTM dem
monastisch-kirchlichen Umfeld an, sondern sie wurden im Geist der aufkommenden
Kommune geschrieben. Darauf deutet die deutlich modifizierte Stilistik, die weniger
vom Latein der Kirchenväter geprägt war; auch insgesamt nahmen Zitate von kirch-
lichen Autoritäten merklich ab. Stattdessen orientierte sich das Latein stärker an den
Bedürfnissen der kommunalen und merkantilen Alltagskultur. Leitbilder und Leit-
ideen wurzelten nun weniger in den Überzeugungen der Reformkirche als vielmehr
in den Ideen des kommunalen Zusammenlebens? In den Salutationsmustern und in
den Musterbriefen spiegelten sich die alltäglichen Probleme und Kommunikationszu-
sammenhänge der Kommunen wider. Die Regeln für das Abfassen von Briefen wur-
den im Verlauf des 12. Jahrhunderts konkreter, was letztlich zu einer Vereinfachung der
Briefrhetorik führen sollte. Diese Vereinfachung war offenbar für die alltägliche und
merkantile Kommunikation in den Kommunen dienlich. Dieser Hang zu immer stärke-
rer Formalisierung, Konkretisierung und Vereinfachung setzte sich in den Kommunen
im Verlauf des 12. und zu Beginn des 13. Jahrhunderts fort.
Die Rezeption der schließlich deutlich definierten ars dzcfamznzs in Frankreich im
12. Jahrhundert führte dort allmählich zu einer Gegenbewegung und zu einer neuer-
lichen Modifikation, deren Ausrichtung aus dem intellektuellen Umfeld der französi-
schen Kathedral- und Klosterschulen erklärbar wird. Hier war die ars dzcfamhüs nicht
mehr primär das Medium für das Erlernen der politischen Alltags- und Handelskom-
munikation; vielmehr war sie nun nur ein Zweig der französischen Gelehrtenkultur
insgesamt, die maßgeblich durch theologisch-philosophische Studien geprägt wurde.
Deswegen verband sich die ars dzcfamznzs beispielsweise in Bec, Orleans und Chartres
mit der philologischen Renaissance, wo man sich intensiv dem Studium der antiken
Literatur widmete. Im Umfeld klassisch gebildeter Rhetoren, die sich an Cicero und
Quintilian schulten, war es nur folgerichtig, wenn auch die ars dzcfammzs einem klassi-
schen Stilideal angepasst wurden.
Die französischen Innovationen im Rahmen der ars dzcfawmzs wiederum wirkten
sich mit ihren stilistischen Neubewertungen um die Jahrhundertwende auch auf die ars
dzcfamznzs in Italien aus. Die so erfolgte Weiterentwicklung der ars dzcfamznzs im Wech-
selspiel zwischen italienischen und französischen Einflüssen bietet damit ein Muster-
beispiel auf dem Feld der Kulturtransferforschung. Denn in aller Deutlichkeit lässt sich
hier nachzeichnen, dass mit dem Transfer jeweils eine bewusste Umdeutung, Anpas-
sung und Weiterentwicklung des Kulturgutes durch die Rezipienten verbunden war.
Dabei hat die Neudefinition der ars dzcfamznzs in Frankreich teilweise sogar die
Qualität der italienischen ars dzcfamznzs übertroffen? Jedenfalls scheint in Italien gleich-
zeitig die Innovationsbereitschaft auf dem Feld des dzcfamen abgenommen zu haben.
Das kann auch mit den politischen Entwicklungen in Italien zusammen hängen, denn
die Kommunen hatten sich Mitte des 12. Jahrhunderts als feste Ordnung etabliert. Die
ars dzcfamznzs hatte gewissermaßen parallel zur Kommune feste Strukturen erhalten.
Zwar blieben die Kommunen stetig ein Ort sozialer Spannungen, zu deren Einschrän-
Vgl. etwa HARTMANN, Ideal und Identität.
Darin besteht gerade der Schwerpunkt in der Kulturtransferforschung, dass die Rezipienten
nicht als passive Kopisten oder Kompilatoren verstanden werden, sondern in ihrer Fähig-
keit ernst genommen werden, aus dem importierten Kulturgut und dem eigenen Erbe etwas
Neues zu entwickeln, vgl. EsPAGNE/WERNER, Deutsch-französischer Kulturtransfer, S. 306-308;
MmDEL, Von der Wechselseitigkeit der Kulturen im Austausch, mit der Definition von Kultur-
transfer, S. 16; ZwiERLEiN, Komparative Kommunikationsgeschichte.