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Weber, Wilhelm; Königliche Museen zu Berlin / Ägyptische Abteilung
Mitteilungen aus der Ägyptischen Sammlung: Text — Berlin, 2.1914

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Horos.

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allein — ihr Inhalt ist oft nicht allzu verschieden. Sie sind die Abbilder der Wechselwirkung
zwischen Hoch und Niedrig, Laien und Priestern, Gruppen und Volk, mit all ihren Bedürf-
nissen, Trieben, Kräften und ihrem Fassungsvermögen, und, werden sie dargestellt, behalten
sie ihre einfache Form oder bringen durch Wechsel der Attribute, Häufung von Charakteristika
die oder jene Eigenschaft schärfer zum Ausdruck.
Der natürlichen Grundform „Kind" und „Knabe", die trotz ihrer Göttlichkeit der Obhut
anderer anvertraut sind, entwachsen sie inhaltlich leicht; denn sie nehmen, einfachem religiösen
Denken gemäß, die eigene göttliche Kraft vorweg und helfen auch als göttliche Kinder in
allen Lagen des Lebens. Nur so kann die Religion des Kindes zu der Bedeutung vor allem
im niederen Volk gekommen sein und sich dauernd bis in die späteste Zeit in Ägypten er-
halten haben, wie ein Blick auf die Tafeln 4—14 zeigt. Nirgends, soweit mir bekannt ist,
leben und krabbeln und wirken so viele göttliche Kinder als im griechischen Ägypten, selbst
nicht in der reich gespaltenen griechischen Religion.
Es ist interessant zu sehen, wie die Griechen geordnet, wie sie aus ihrer Distanz die
wesentlichen Züge des Portraits dieser Kinderreligion vereinfacht, herausgearbeitet haben.
Nachdem sie, Herren des Landes, die ägyptische Religion in Alexandrien aufgenommen hatten,
war es in allererster Linie der Kreis des Osiris, der Gottesmutter und ihres Kindes, die ver-
einfacht, verständlicht, von hier aus hinauszogen bis an die Grenzen der Welt. Die Mutter mit
dem Kind, der Erosbube, der kleine Apollo, der Genius mit dem Füllhorn sind die geläufigen
Typen8). Sind das nicht allgemeine künstlerische Motive der hellenistischen Epoche, die sie
da aufgegriffen? Für sie war Horos das Sonnenkind, der Sohn der Isis-Hathor, der bekann-
teste göttliche Knabe, für sie vor allem das Kind der ersten Schützer Alexandriens, der
schlangengestaltigen άγαθοΙ δαίμονες (S. 44), also selbst auch von chthonischer Art, ein Frucht-
barkeitsgott wie die Eltern 9).
Und wie sie dann im Land festwurzelten, umgeben von all den lokalen Arten und Formen,
da bereicherte sich ihr Bild und sie erschlossen sich noch mehr einzelne Vorstellungen und
übertrugen sie in ihre Sprache10). Blieben sie in ihrem Griechentum stark, dann behielten sie
immer jene ersten griechischen Prägungen im Sinn; je mehr sie aber an die Spender jener
Religion kulturell heranrückten, je länger der Verschmelzungsprozeß dauerte, desto mehr glichen
sie Gegensätze aus, schon um auch für sich die Gottheiten zu gewinnen, denen der Boden
seinen Segen verdankte. So tauchen in diesen Kinderbildern Züge auf, die mit dem Kindes-
charakter nach innen und außen unvereinbar, den Abstand von jenem knabenhaften griechi-

8) Der Knabe mit Füllhorn: typisch für die Darstellungen im Röm. Reich, z. Β. der kapitolinische Knabe; der Eros;
vgl. die hellenistischen Terrakotten aus Kleinasien, z. B. Winter, Typ.-Kat. II, 314, 7; 357, 7; 356, 7; Ant. Ercol. VI, p. 343;
Drexler, Isis (Roscher, s. o.) 498; der Apollinische z. B. oben Nr. 12. Außerhalb Ägyptens scheint, soweit ich das Material
kenne, Horos, der große Gott, nur in der altäg. Tempelstatue aus dem Röm. Iseum, v. Bissing-Bruckmann, Taf. 53 und in
einem röm. Fragm. des Berl. Museums 16787, ferner in dem S. 142 Anm. 22 genannten vorzukommen. Das wäre funda-
mental. Die Darstellung auf dem Lotos ist mir außer bei Schriftstellern (s. unten S. 62 ff.) und in Dekorationsstreifen mit
ägyptischen Motiven (nach der Art des III. Stils) in sicher nicht ägyptischer, ägyptisierender Darstellung außerhalb Ägyptens,
nicht erinnerlich.

9) Das ist besonders zu betonen. Horos ist Kind; ein Kind verkörpert an sich keinen Fruchtbarkeitsgott; es wird
erst zu diesem, entweder weil die Eltern es sind, oder weil von seiner Grundeigenschaft (Sonne) diese Kraft gelöst werden
kann. Daß er Fruchtbarkeitsgott ist, zeigen die einzelnen Stücke s. unten S. 59 ff. Der Grieche fand eine seiner Vorstel-
lungen vom Segensgenius darin; vgl. den Plutos-Knaben, Sosipolis, Triptolemos. Dazu verbinden klare Bilder den Harpo-
krates mit dem Osiris-Agathosdaimon s. S. 44, Nr. 48; vgl. auch die Gebete, Reitzenstein, Poimandres S. 26ff., unten S. 64.

10) Ich halte es deswegen für ein nahezu aussichtsloses Unternehmen, den verschiedenen kleineren Gruppen bestimmte
Namen zu geben, wiewohl ich für einzelne mir solche beinahe erpressen wollte. Selbst wenn einzelne Stücke einmal einen
Namen tragen sollten, beweist es nur für die zweifellosen Dubletten etwas und für solche, die dem gleichen Kreis entstammen.
Für die griech. Entwicklung des Kindertypus genügt der Verweis auf D. Heubach, Das Kind in der griechischen Kunst 1903.
 
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