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Weber, Wilhelm; Königliche Museen zu Berlin / Ägyptische Abteilung
Mitteilungen aus der Ägyptischen Sammlung: Text — Berlin, 2.1914

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144

Totengöttin.

III. Die geöffneten Hände seitlich erhebend sitzt mit eingeschlagenen Beinen eine dritte
Frau. Sie ist nackt (219ff.) 5); oder ein Gewand bedeckt ihre Oberschenkel (222) 6), ein Hemd
reicht von den Schultern zu den Knien; über diesem, vor der Brust verschlungen oder von
der 1. Schulter herabhängend, der gleiche Schal, den die stehende trägt7). Gedrehte Bänder
mit Anhängern über der Brust, oder zwischen den Brüsten gekreuzte Ketten 8), Reifen an den
Armen, Hand- und Fußgelenken, zuweilen Kränze9), Ohrringe, sind der Schmuck. Die Frisuren
sind hei allen verschieden, wiederholen aber gewisse modische Typen 10). Das spricht für eine
individuelle Auffassung der Gestalt.
Die Gebärde und Sitzhaltung sind eindeutig: jene ist die des Gebets ]1), diese wird er-
klärt durch Beispiele wie 229, als eine auf einem Polster oder Sopha sitzende i2); beides ist
ungriechisch, eher ägyptisch 13). Ist bei einzelnen besonders stark die Weiblichkeit betont, so
folgt daraus für ihren allgemeinen Charakter nichts; wo alles andere zur Zusammenfassung der
Gruppe nötigt, kann man die bekleideten von den nackten oder halbnackten nicht trennen.
Trägt sie aber manchmal eine Traube und einen Granatapfel 14), steht zuweilen vor ihr eine

5) Auch sonst öfter, z. B. Petrie, Roman Ehnäs, Taf. 50, 102—107; Perdrizet, Coll. Fouquet, pl. XXIV Nr. 66.

6) Andere Beispiele: Schreiber, Schukafa (Sieglin-Exp. I) 222. Auch Hildesheim, Karlsruhe H. 816.

7) Schreiber, a. a. 0. Beibl. V, D, F; Schmidt, Choix de mon. pl. 56, Fig. 144 (deren Frisur zu unserer Nr. 225), Fig. 146
(ohne Arme, Frisur etwa zu Nr. 223), Paris Louvre, Terr. 350.

8) Sehr häufig, dazu Schreiber, a. a.O. S. 224, was kaum zu halten ist ; vgl. zu dem Medaillon Rubensohn, Arch. Jahrb.
1905, 22, Fig. 17.

9) Kranz auf dem Kopf Nr. 228, 229; vgl. auch Karlsruhe H. 816, 3 Kränze m. Blumen übereinander; Paris, Louvre
Terr. J. 349. Schreiber, a. a. 0. Beibl. V, G. (Leiden). Leipzig, Univ.-Slg. Petrie, Ehnäs L, 102, 103. Form, Berlin, Äg. Mus.
10615, 4 Kränze über dem Hemd: Nr. 229, ebenso ein Stück des Musee Guimet Anm. 12, wie der oben S. 29, Anm. 27, be-
sprochene Sarapistypus. Nr. 216 trägt einen Kranz um den Hals (ebenso noch das Koptische Nr. 234), vgl. auch unten
Nr. 365. Das ist wohl zunächst ägyptische Sitte seit alter Zeit, aber auch griechisch. Sappho (fr. 46) bei Athenaeus XV, 674d:
και πολλάς υποθνμίδας\πλεκταις άμπ άπαλα δέρα. Anakreon (ρ. 39) ibid. πλεκτάς δ'νποθνμίδας περί στήΟεσι λωτίνας έθεντο. Vgl. die
Erklärung von ύποθνμιάς, Athen. XV, 688b, c. Die Sitte besteht also bis in kopt. Zeit, wenn das bei 234 nicht mechanisch
reproduziert ist. Ob damit auch die Bekränzung der Frau auf dem Sofa, des Sarapis zusammenhängt?

10) Vgl. die Beschreibungen, auch unten S. 215ff.

11) Z. B. die Darstellungen bei Erman, Rel.2 108, Fig. 77: die Tote vor den Göttern; 162, Fig. 89: „Der Tote betet
zur Morgensonne"; vgl. dann auch den Adorantentypus in den myken.-geometr. Terrakotten (Lit. Collignon, Stat. funeraires
20ff.; ferner van Hoorn, Handel, v. d. 7. Nederlandse Phil.-Congr. 136); Perdrizet, Fouilles de Delphes V, Fig. 58, 60. Mit
hocherhobenen Händen betet man später nach griechischem Schema, auch in Ägypten, Erman, Rel.2 251, Fig. 151. — Vom
Klagegestus (über diesen Collignon, Stat. funeraires 19) kann ich nichts erkennen. Klagen denn alle Heiligen, Oranten, Toten?

12) Auf dem Polster: Berlin, Äg. Mus. 10615 (Form), auch Schreiber, Beibl. V A. Sofa: Nr. 229, vgl. ein Stück des Musee
Guimet, das die Frau in ganz anderer Frisur, sonst völlig übereinstimmend wiedergibt. Form des Sofas vgl. Dattari, Numi
Aug. 3396 (Taf. XXIV), hier Abb. 86, wo Tyche in griechischer Weise gelagert ist; weiter: Petrie, Roman Ehnäs XLVII, 45,
worüber ich bald ausführlicher handle; Daremberg-Saglio III, 1019, 1112 (Amelung, Vat. II, Taf. 58); Geschichte: Studniczka,
Arch. Jahrbuch XXVI, 90 ff.

13) Über den Gebetsgestus s. Anm. 11. Der Grieche lagert bekanntlich wie auch Terr. Nr. 214 zeigt. Das ist dem vor-
ptol. Ägypter unbekannt, von den Griechen aus der Heimat mitgebracht, ein weitverbreiteter Typus geworden (z. B. Edgar,
Greek Sculpt. pl. XVIIIff.; Schreiber, Kom esch - Schukafa [Sieglin-Exp. I] S. 39, Abb. 25. Eine in Indien gef. Schale des
Berliner Vorderasiat. Museums Nr. 2662, wohl ägypt.-griechische Arbeit. Hinweis v. Schaefer.) Vgl. auch an Terrakotten
die gelagerte Tote, Gayet, Annales du Musee Guimet XXX, 2 pl. 3 (die Tote als Göttin unter Göttern); Leipzig, Univ.-Slg. 1101.
(Auch außerhalb Ägyptens kleine Guirlande tragend: z. B. Amelung, Vatikan, Galeria Lap. Taf. 22,47; II, Taf. 58 ; Giardino della
Pigna, Taf. 91 u. 104.) Exemplare von Ruhenden, die in Häusern gefunden sind, haben gelehrt, „daß der Ahnenkult hier seine
Stätte hatte"(Wiegand-Schrader, Priene 334, Abb. 372, 373); der Tote ist also gemeinhin göttlicher Art, Bakchos, Helios in grie-
chischen Kreisen (Rohde, Psyche3 II, 360), wie Osiris bei den Ägyptern. — Der Typus des Sitzenden auf Sofas seit frühhelle-
nistischer Zeit, neben dem anderen hergehend, Thiersch, Zwei Grabanlagen. Zum Sofa vgl. unten Nr. 461. Der Ägypter
sitzt als Toter auf dem Stuhl, freilich nicht mit angezogenen Beinen. Die offizielle Kunst hat das Sitzschema abgelehnt;
nur kraß naturwahre Kunst liebt so niedrige Motive; vgl. z. B. den Schreiber (Schaefer, Äg. Kunst 25, Fig. 7). Hoch-
interessant ist, wie das Schema absolut identisch in der Haltung des Cerunnos, des gallischen Gottes, wiederkehrt. (Abb.
bei Springer-Michaelis9 521, Fig. 944. — Foucher, Rev. archeol. 1912, 341 ff., weist auf Parallelbildungen zwischen Indien
und Gallien hin.) Trotzdem, Verbindungen zwischen dem altägyptischen und dem römisch-gallischen Motiv wird man
schwerlich nachweisen können. Immerhin lohnt das als Beispiel für unabhängige Entstehung gleicher Motive. — Dann
fanden wir das Motiv natürlich beim hockenden Kind Nr. 93, das unserem Schema am genauesten entspricht. — Noch heute
sitzt der Orientale auf seinem Teppich zum mindesten mit untergeschlagenen Beinen, besonders gelenkige oft wie diese Weiber.
Gleichwohl muß es als eine extravagante Stellung gelten. Welcher Grund mag noch mitspielen, das Motiv so zu überspannen?
Vgl. Taf. 26.

14) Vgl. die Bronze, Perdrizet, Coll. Fouquet, pl. XXIV (oben Anm. 5) und Karlsruhe H. 816 (Anm. 6).
 
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