Zirkustypen.
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Das kann kein Verkäufer sein. Harrt er mit orientalischer Geduld, ob Frau Tyche ihm
seinen Käufer zuführt? Aber wer stellt denn sein bißchen Korn oder Öl auf eine hohe Säule?
Und welcher Markt hätte Ständer für Töpfe und Säcke in so großer Zahl, daß alle Platz finden?
Wir kennen von dieser Figur mehrere Exemplare, sicher der gleichen Fabrik und viel-
leicht der gleichen Form entstammendi); sie zeugen allein dafür, daß der Vorwurf gefiel.
Eine Variante in zwei Exemplaren aber ist wichtig2): bei ihr fehlt die Säule; und der Kopf-
typus ist etwas verändert, während Tracht und Stellung mit jenen identisch erscheinen. Die
Figur war also auch ohne Säule verständlich. Erinnert der Gürtel nicht an die Tracht
der Zirkuslenker? Könnte die Schärpe das Abzeichen der „Person im Dienst" sein? Und
warum steht er so regungslos neben der Säule? Ist er etwa Wärter neben ihr? Ein Auf-
passer überhaupt (da die Säule fehlen kann), der sich nicht von der Stelle rührt, drum, um
sich die Zeit zu vertreiben, mit der Kette apathisch spielt? Was bedeutet die Säule mit
dem Topf?
Die Säule, die den Topf trägt, zeigt die Glieder, Voluten, Blätter, Ringe, Kannelluren
in metallischer Schärfe; unklar bleibt zunächst nur der Fuß; der sieht aus, als sei ein Tuch
um ihn drapiert. Aber Schaft und „Tuch" sind organisch verbunden. So scheint der Verdacht
gerechtfertigt, daß der Töpfer seine Absicht nicht anders zum Ausdruck bringen konnte. Denkt
man nun auch das „Tuch" sich aus Metall und das Feld zwischen ihm nur als der Stabilität
und Sicherheit wegen im Ton gebliebenen Grund (also als Luft vorzustellen und schwarz be-
malt!), so erhält man einen Metallfuß aus drei oder vier geschweiften Zinken, der völlig ent-
sprechend z. B. bei einer Säule mit Topf wiederkehrt, die auf einem geschnittenen Stein erhalten
ist3)- Säule und Topf sind neben den Mann gestellt, sind transportable Geräte (werden darum
das eine Mal fehlen). Wie aber, wenn auch sie fest aneinandergefügt wären? Denkt man nicht
bei der Form des „Topfes" an jene eierartigen Geräte, wie sie auf hohen Gerüsten zu vier
oder acht im Zirkus zu sehen sind4), oder an die vielen ähnlichen auf einfachen Pilastern,
Säulen, Schäften, die als Uhren allein zu verstehen sind5)? Sehen wir nun gar einen siegenden6)
Reiter (Anm. 5) sie davonschleppen; sehen wir hier einen Aufpasser in zirkusähnlicher Tracht
neben ihr, so liegt es am nächsten, mit der Erklärung der Figur im Zirkusgewühle zu bleiben7);
1) Eines in Hildesheim, ein anderes, etwas zerstört, im Musee Guimet. Vielleicht eine Variante in einem Fragment
der Sig. Arndt.
2) Leipzig, Univ.-Slg. 803. Hildesheim 797. Beintracht bei diesem?
3) Reinach, Pierres gravees, pl. 28, 55, 3. Vgl. auch, was unten S. 262 ff. z. Nr. 483ff. gesagt ist.
4) Jordan-Hülsen, Topographie I, 3, S. 139.
5) Robert Zahn, der unabhängig von mir zu ungefähr derselben Erklärung unserer Figur kam, hat mein Material durch
reiche Belege ergänzt: Altmann, Archit. u. Ornam. der antiken Sarkophage, S. 40, Taf. I. Gerhard, Antike Bilder LXI, 2.
Reinach, Rep. I, S. 73. Baumeister, Denkmäler II, S. 1119, 1316. Antiquites du Bosphore Cimmer., Taf. 67, 2 (Reinach,
Text, S. 114, 1). Winter, Typ.-Kat. II, 473, Nachtr. II, 442, 3 = Löschcke, Bonner Jahrb. 1909, 379, 3. Strzygowski, Ka-
lenderbilder d. Chron. v. J. 354, Taf. 24, S. 70: „lunius als nackter Mann neben Sonnenuhr, daneben Korb mit Äpfeln:
nudus membra dehinc solares respicit horas lunius...." Furtwängler, Berl, geschn. Steine 6525, Gemmen III, Taf. 28, 55;
Brit. Mus. Cat. Gems 1624. Cades, Gemmenabdrücke 43, Classe F. Nr. 20, Nr. 70. Benndorf, Forschungen in Ephesos I, 177,
Fig. 108, 109: auf dem Griff ein Reiter, hinter ihm die Sonnenuhr auf Schaft. Coll, d'antiquites grecques et rom. prov. de
Naples, vente du 18 au 20 III. 1901 (coll. Bourguignon), S. 32 Nr. 123: Reiter auf Pferd nach 1., in der L. einen Schaft mit
Sonnenuhr schulternd. (Zwei Ex. davon im Berliner Antiquarium, davon eins aus Südrußland.)
6) So deutet mir Zahn sein Material (Anm. 5): Der sprengende Reiter macht mit der R. den Gestus, der die Zahl
100 bedeutet. Dazu Froehner, Ann. soc. numism. VIII, 1884, 232 ff., Taf. III, s. auch Nr. 333.
7) So mag eine Vermutung gewagt sein, die der Deutung des oben Anm. 3 erwähnten Steins dienlich sein könnte. Reinach,
erklärt: „Serapis, trepied, souris". Wir wissen, daß das Stadion in Alexandrien hinter dem Sarapeion lag. Der „Start" im
Stadion wird durch die Uhr bezeichnet, an der die Zeit genommen wird. An ihrem Schafte klettert ein Mäuschen hinauf und
der Gott sieht ihm zu. Wie einsam und öd muß das Stadion da gelegen haben, wie traurig und entrüstet der Gott gewesen
sein, als das Tierchen das tat. Das wäre ein Witz, besonders für den, der an die Sportwut der Alexandriner denkt.
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Das kann kein Verkäufer sein. Harrt er mit orientalischer Geduld, ob Frau Tyche ihm
seinen Käufer zuführt? Aber wer stellt denn sein bißchen Korn oder Öl auf eine hohe Säule?
Und welcher Markt hätte Ständer für Töpfe und Säcke in so großer Zahl, daß alle Platz finden?
Wir kennen von dieser Figur mehrere Exemplare, sicher der gleichen Fabrik und viel-
leicht der gleichen Form entstammendi); sie zeugen allein dafür, daß der Vorwurf gefiel.
Eine Variante in zwei Exemplaren aber ist wichtig2): bei ihr fehlt die Säule; und der Kopf-
typus ist etwas verändert, während Tracht und Stellung mit jenen identisch erscheinen. Die
Figur war also auch ohne Säule verständlich. Erinnert der Gürtel nicht an die Tracht
der Zirkuslenker? Könnte die Schärpe das Abzeichen der „Person im Dienst" sein? Und
warum steht er so regungslos neben der Säule? Ist er etwa Wärter neben ihr? Ein Auf-
passer überhaupt (da die Säule fehlen kann), der sich nicht von der Stelle rührt, drum, um
sich die Zeit zu vertreiben, mit der Kette apathisch spielt? Was bedeutet die Säule mit
dem Topf?
Die Säule, die den Topf trägt, zeigt die Glieder, Voluten, Blätter, Ringe, Kannelluren
in metallischer Schärfe; unklar bleibt zunächst nur der Fuß; der sieht aus, als sei ein Tuch
um ihn drapiert. Aber Schaft und „Tuch" sind organisch verbunden. So scheint der Verdacht
gerechtfertigt, daß der Töpfer seine Absicht nicht anders zum Ausdruck bringen konnte. Denkt
man nun auch das „Tuch" sich aus Metall und das Feld zwischen ihm nur als der Stabilität
und Sicherheit wegen im Ton gebliebenen Grund (also als Luft vorzustellen und schwarz be-
malt!), so erhält man einen Metallfuß aus drei oder vier geschweiften Zinken, der völlig ent-
sprechend z. B. bei einer Säule mit Topf wiederkehrt, die auf einem geschnittenen Stein erhalten
ist3)- Säule und Topf sind neben den Mann gestellt, sind transportable Geräte (werden darum
das eine Mal fehlen). Wie aber, wenn auch sie fest aneinandergefügt wären? Denkt man nicht
bei der Form des „Topfes" an jene eierartigen Geräte, wie sie auf hohen Gerüsten zu vier
oder acht im Zirkus zu sehen sind4), oder an die vielen ähnlichen auf einfachen Pilastern,
Säulen, Schäften, die als Uhren allein zu verstehen sind5)? Sehen wir nun gar einen siegenden6)
Reiter (Anm. 5) sie davonschleppen; sehen wir hier einen Aufpasser in zirkusähnlicher Tracht
neben ihr, so liegt es am nächsten, mit der Erklärung der Figur im Zirkusgewühle zu bleiben7);
1) Eines in Hildesheim, ein anderes, etwas zerstört, im Musee Guimet. Vielleicht eine Variante in einem Fragment
der Sig. Arndt.
2) Leipzig, Univ.-Slg. 803. Hildesheim 797. Beintracht bei diesem?
3) Reinach, Pierres gravees, pl. 28, 55, 3. Vgl. auch, was unten S. 262 ff. z. Nr. 483ff. gesagt ist.
4) Jordan-Hülsen, Topographie I, 3, S. 139.
5) Robert Zahn, der unabhängig von mir zu ungefähr derselben Erklärung unserer Figur kam, hat mein Material durch
reiche Belege ergänzt: Altmann, Archit. u. Ornam. der antiken Sarkophage, S. 40, Taf. I. Gerhard, Antike Bilder LXI, 2.
Reinach, Rep. I, S. 73. Baumeister, Denkmäler II, S. 1119, 1316. Antiquites du Bosphore Cimmer., Taf. 67, 2 (Reinach,
Text, S. 114, 1). Winter, Typ.-Kat. II, 473, Nachtr. II, 442, 3 = Löschcke, Bonner Jahrb. 1909, 379, 3. Strzygowski, Ka-
lenderbilder d. Chron. v. J. 354, Taf. 24, S. 70: „lunius als nackter Mann neben Sonnenuhr, daneben Korb mit Äpfeln:
nudus membra dehinc solares respicit horas lunius...." Furtwängler, Berl, geschn. Steine 6525, Gemmen III, Taf. 28, 55;
Brit. Mus. Cat. Gems 1624. Cades, Gemmenabdrücke 43, Classe F. Nr. 20, Nr. 70. Benndorf, Forschungen in Ephesos I, 177,
Fig. 108, 109: auf dem Griff ein Reiter, hinter ihm die Sonnenuhr auf Schaft. Coll, d'antiquites grecques et rom. prov. de
Naples, vente du 18 au 20 III. 1901 (coll. Bourguignon), S. 32 Nr. 123: Reiter auf Pferd nach 1., in der L. einen Schaft mit
Sonnenuhr schulternd. (Zwei Ex. davon im Berliner Antiquarium, davon eins aus Südrußland.)
6) So deutet mir Zahn sein Material (Anm. 5): Der sprengende Reiter macht mit der R. den Gestus, der die Zahl
100 bedeutet. Dazu Froehner, Ann. soc. numism. VIII, 1884, 232 ff., Taf. III, s. auch Nr. 333.
7) So mag eine Vermutung gewagt sein, die der Deutung des oben Anm. 3 erwähnten Steins dienlich sein könnte. Reinach,
erklärt: „Serapis, trepied, souris". Wir wissen, daß das Stadion in Alexandrien hinter dem Sarapeion lag. Der „Start" im
Stadion wird durch die Uhr bezeichnet, an der die Zeit genommen wird. An ihrem Schafte klettert ein Mäuschen hinauf und
der Gott sieht ihm zu. Wie einsam und öd muß das Stadion da gelegen haben, wie traurig und entrüstet der Gott gewesen
sein, als das Tierchen das tat. Das wäre ein Witz, besonders für den, der an die Sportwut der Alexandriner denkt.