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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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Otto, Friedrich: Im Fliegerlager
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0024

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MODERNE KUNST.

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Paul Halke: Im Fliegerlager. Fliegertypen.

einmal springt der Motor an. Die Ventile klappern wie Trommelwirbel. Die schräg
abgestutzten Auspuffrohre, die wie kleine Schornsteine über den Motor emporragen,
stoßen ein lautes Gebrüll aus. Ein silberner Lichtkreis wird am Kopf der Maschine
sichtbar. Der Vogel wird lebendig. Er zittert vor Aufregung am ganzen Leibe.
Auf die Erde gekniet und geworfen halten ihn an den Fersen und Fittichen vier
junge Männer fest. Das Flugtier gerät in immer größere Wut. Sein Brüllen
nimmt zu, die vier Menschen können es kaum noch bändigen, ein Wirbelsturm
strömt aus seinem Leib, peitscht den Rasen nieder, wirft den Sand auf, zwingt
die Menschen, sich mit dem Gesicht wegzuwenden und läßt ihnen die Kleider
um den Leib schlottern wie zu weite Gewänder um Iiolzpuppen.
Der schönste und aufregendste Augenblick für den Zuschauer eines Fluges
ist da. Doch die Sensation muß kurz sein, wenn sie wirken soll. Der Flieger
hebt die eine Hand grußartig empor, die vier Menschen lassen die Hände los,
und ab stürmt der große Wundervogel. In ein paar Sekunden ist er die Ablauf-
bahn hinabgestürzt, und nun kommt ein zweiter großer Moment für den, der
zum ersten Male fliegt oder mitfliegt: der Augenblick, wo sich auf einen kurzen
Schlag des Höhensteuers die Räderfüße des Flugzeuges vom Boden lösen, und
der Aeroplan höher und höher steigt
Doch bleiben wir auf der Erde. — Während der eben gestartete Apparat
stiller und stiller wird und nur noch durch ein angenehmes Dröhnen sich in
Erinnerung hält, öffnen sich auch weitere Schuppen. Überall auf dem Flugfeld
wird es lebendig. Denn die Stunden von 5 bis 8 Uhr morgens und 5 bis 8 Uhr
abends sind die günstigsten Flugzeiten des Tages, weil dann die Störung der
Atmosphäre durch die Sonne noch nicht so groß. ist. Am schlimmsten sind die
Mittagsstunden, wenn womöglich noch Wolken abwechselnd den Himmel be-
decken. Um diese Zeit gleicht die Luft, wie mir Direktor Hellmuth Hirth ein-
mal scherzhaft sagte, einem „Schweizerkäs“! Nichts wie Löcher. — Darum heißt
es auch für den Flieger: „Morgenstunde hat Gold im Munde“. Überall werden
die Maschinen aus den dunklen Hallen aufs Flugfeld gezogen. Manche wollen
nur einen Probegalopp machen, ein paar Runden unter der Führung eines er-
fahrenen Fliegers, der begutachten soll, ob eine brauchbare Konstruktion vorliegt.
Wer alle Tage draußen ist auf einem so belebten Flugfeld, wie es das von
Johannisthal ist, sieht mancherlei, was der flüchtige Besucher nicht sehen soll.

Da läuft eine Maschine wie eine kranke Riesenfliege kreuz und quer übers
Feld. Wie irrsinnig. Ihre Flügel schwappen wie Gummi auf und ab. Es
handelt sich um eine Neuerfindung, eine Maschine mit Flügeln, deren Enden
auf und ab schwingen können. Sie kommt nicht hoch, sie gehorcht selbst auf
der Erde nicht genug dem Steuer, und traurig stellt der abgehetzte Konstrukteur
die Arbeit wieder ein. Auch das Tor eines bis dahin ganz geheimnisvoll zu-
gehaltenen Schuppens öffnet sich eines Morgens einmal und mit Staunen sieht
man ein wasserwanzenähnliches Wesen über das Flugfeld stelzen. Vier Propeller,
noch dazu gegenläufige. Ganz sonderbar angeordnete Tragflächen. Dazu ein
Rumpf mit Fenstern, hinter denen man den Flieger aufgeregt sitzen sieht. Wer
Zeit hat, eilt heran, um den kostbaren Moment nicht zu verpassen. Ein Flugfeld-
weiser spricht: Dem passiert nichts, denn der fliegt nicht. Und richtig. Die
Wasserwanze will nicht. Sie bricht in die Knie, als sie ein paar Schritte
machen muß.
Glücklicher die Apparate bewährter Konstruktion. Drei, vier Flugschüler
stehen um einzelne herum, während der Lehrer die Hebel bewegt: Seitensteuer,
Höhensteuer und die seltener anzuwendende Verwindung. Er zeigt auf die
Steuerhebel und ermahnt die Flugschüler mit ernst gefaltetem Gesicht, ja darauf
zu achten, daß diese vitalen Drähte stets in Ordnung seien. Freilich sagt er,
daß auch ein gerissenes Steuerhebel noch nicht den Tod zu bedeuten habe. Ein
moderner stabiler Drachen müsse sogar mit gebrochenen Steuern noch bei
einigermaßen gutem Wetter heil landen können. Immer lebendiger wird es auf
dem Felde, immer mehr Vögel lüften die Schwingen und steigen in die frische
Höhe. Der Lehrer fliegt den Schülern etwas vor, ein paar Schüler zeigen ihren
Lehrern, was sie schon alles können. Einer malt Achten in die Luft, er bereitet
sich auf die Flugzeugführerprüfung vor. Lehrer und Schüler fliegen gemeinsam.
Der Schüler steuert mit der Doppelsteuerung, der Lehrer korrigiert ihn. Kurz,
es herrscht Betrieb auf dem Flugfeld. Irgendwo in der Ferne auf dem andern
Ufer des Flugfeldes kommt einer zu schnell herunter und bleibt nach der
Landung eine Weile staubumhüllt. Es war aber nur Kleinholz. Der Flieger
selbst steht verdutzt, aber unverletzt abseits. Er hat eine Lehre seines Meisters
nicht befolgt, weil er es besser zu verstehen glaubte und der „Rattenzahn der
Reue“ nagt sofort an seiner Seele. Es wird 7 Uhr. Hin und wieder stößt eine

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