Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914
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BEILAGE ZUR „MODERNEN KUNST“.
gesprochen, sogar die Damen vom Ballett
stimmten ihm zur Wahrung der guten Sitte
bei, und als der Künstler sich weigerte, die ver-
pönte Schöpfung durch eine dezentere zu er-
setzen, wurde beschlossen, mit der Ausführung
einer Ersatzgruppe den Bildhauer Gumery zu
betrauen. Aber der Fanatismus ging noch
weiter, verstieg sich zu einem abscheulichen
Attentat — in der Nacht vom 27. zum 28. August
1869 wurde gegen die Gruppe von unermittelt
gebliebener Hand eine Flasche mit Tinte ge-
schleudert, wobei die Flasche in tausend
Scherben zersplitterte, die Tinte den Unter-
körper der von vorn gesehenenTänzerin furcht-
bar besudelte und mit zahllosen Spritzern auch
die daneben befindlichen Gestalten verun-
reinigte. Nur mit Mühe gelang es der chemi-
schen Kunst, die schwarze Sintflut bis auf
einen jetzt nicht mehr erkennbaren grauen
Schimmer zu beseitigen. Die Gruppe ist an
der Fassade der Großen Oper bis auf den
heutigen Tag geblieben, da Gumery starb, be-
vor er die Ersatzgruppe vollendet hatte.
Noch eine andere Erinnerung verbindet
sich mit Carpeaux’ Schöpfung. Für die Züge
der Hauptfigur seiner Gruppe — den Genius
des Tanzes — soll ihm Helene von Doenniges,
die Braut Ferdinand Lassalles, um derent-
willen der Organisator der deutschen Sozial-
demokratie bei einem Duell mit dem rumäni-
schen Bojaren Rakowitza im Jahre 1864 den
Tod fand, Modell gestanden haben. Carpeaux
weilt längst nicht mehr unter den Lebenden
— tief bekümmert und gebrochen von einer
furchtbaren Krankheit, starb er am 12. Oktober
1875 in Courbevoie bei Paris. Erst die Nachwelt
ist seinem Schaffen in vollem Maße gerecht
geworden. Helene von Doenniges hat vor drei
Jahren in München durch Selbstmord geendet.
Die Episode im Leben der blendend schö-
nen Frau, da Lasalle um sie warb, und sie
der Anlaß seines Todes wurde, schildert aufs
fesselndste Alfred Schirokauers Roman „Las-
salle, Ein Leben für Freiheit und Liebe“, der
in der Serie „Romane berühmter Männer und
Frauen“ erschienen ist. (Verlag von Rieh. Bong,
Berlin W 57, Preis brosch. M. 4.—, geb. M. 5.—)
Der Feuergeist Ferdinand Lassalle und das
Berlin der sechziger Jahre mit seinen führenden Männern
und geistreichen oder schönen Frauen leben vor dem
Leser in voller Klarheit auf.
Jean ßaptiste ßafpeaux, Def Tanz.
Bei der Versteigerung von Kunstwerken
in der Galerie Georges Petit zu Paris ist Car-
peaux’ vielumworbene Terrakottagruppe „Der
Tanz“ für den kolossalen Preis von 230000 Fr.
in den Besitz der Glyptothek von Kopenhagen
gelangt. Der hohe Preis wurde wesentlich
durch das steigende Angebot der um den Be-
sitz der Gruppe hartnäckig kämpfenden Ame-
rikaner hervorgerufen. Billiger, und zwar für
90000 Fr., erwarb die Glyptothek den Ugolino,
ein jüngeres Werk des Künstlers. Das Ori-
ginal, ein Bronzeguß, stand früher im Tuile-
riengarten und wurde später in die Salle
Carpeaux des Louvre übergeführt — es stellt
nach dem 37. Gesänge in Dantes „Inferno“ die
erschütternde Episode des Grafen Ugolino
Gherardesca und seiner vier Söhne und Enkel
dar, wie sie zur Strafe für ihre Missetaten von
den Qualen des Hungers in furchtbarer Weise
gefoltert werden. Ungleich bedeutender ist die
in den Jahren 1866 bis 1868 für Garniers Große
Oper geschaffene Gruppe des Tanzes, die mit
drei andern Gruppen, denen von Guillaume,
Perraud undjouffroy, den Risaliten der Fassade
des Baues vorgesetzt ist. Das Tonmodell der
Gruppe ziert wie der Bronze-Ugolino eben-
falls den Carpeauxsaal im Louvre.
Das Genie des Meisters, dessen ganze
Kunst ein Schrei nach Leben war, gelangt in
der Gruppe des Tanzes am gewaltigsten zum
Ausdruck. Großartigeres hat der Naturalismus
der modernen französischen Plastik nicht her-
vorgebracht. Hinreißende Bewegung, Feuer,
Leidenschaft, Lust, alles vereint sich zur
faszinierendsten Wirkung. Der geflügelte Tam-
bourinschläger, als Genius des Tanzes ge-
dacht, ist der allmächtige Herrscher, nach
dessen Willen die Tänzerinnen sich freude-
trunken im Reigen drehen. Meisterlich im Auf-
bau der Komposition, in Form und Ausdruck
der Gestalten und im fließenden Rhythmus
der Linien, weckt das ausgezeichnete Werk
die Erinnerung an die von hellenischen Künstler-
händen geformten Bacchanalien des klassi-
schen Altertums.
Und doch fand Carpeaux' Schöpfung Wi-
derstand, Tadel, Verdammung. Der Bannspruch lautete
auf Immoralität . . . Die Moral war während des zweiten
Kaiserreichs in der schönen Lutetia nicht weit her, um
J. B. Carpeaux: Der Tanz.
so merkwürdiger das vernichtende Urteil über ein Werk,
das, mit reinen Augen angesehen, nur Bewunderung
und Freude erregen kann. Aber das harte Urteil war
Pneumatic ist und bleibt ein vorzügliches Produkt deutschen Gewerbefleißes
Hannov. Gummiwerke „Excelsior"A.-G.
Hannover-Linden
gesprochen, sogar die Damen vom Ballett
stimmten ihm zur Wahrung der guten Sitte
bei, und als der Künstler sich weigerte, die ver-
pönte Schöpfung durch eine dezentere zu er-
setzen, wurde beschlossen, mit der Ausführung
einer Ersatzgruppe den Bildhauer Gumery zu
betrauen. Aber der Fanatismus ging noch
weiter, verstieg sich zu einem abscheulichen
Attentat — in der Nacht vom 27. zum 28. August
1869 wurde gegen die Gruppe von unermittelt
gebliebener Hand eine Flasche mit Tinte ge-
schleudert, wobei die Flasche in tausend
Scherben zersplitterte, die Tinte den Unter-
körper der von vorn gesehenenTänzerin furcht-
bar besudelte und mit zahllosen Spritzern auch
die daneben befindlichen Gestalten verun-
reinigte. Nur mit Mühe gelang es der chemi-
schen Kunst, die schwarze Sintflut bis auf
einen jetzt nicht mehr erkennbaren grauen
Schimmer zu beseitigen. Die Gruppe ist an
der Fassade der Großen Oper bis auf den
heutigen Tag geblieben, da Gumery starb, be-
vor er die Ersatzgruppe vollendet hatte.
Noch eine andere Erinnerung verbindet
sich mit Carpeaux’ Schöpfung. Für die Züge
der Hauptfigur seiner Gruppe — den Genius
des Tanzes — soll ihm Helene von Doenniges,
die Braut Ferdinand Lassalles, um derent-
willen der Organisator der deutschen Sozial-
demokratie bei einem Duell mit dem rumäni-
schen Bojaren Rakowitza im Jahre 1864 den
Tod fand, Modell gestanden haben. Carpeaux
weilt längst nicht mehr unter den Lebenden
— tief bekümmert und gebrochen von einer
furchtbaren Krankheit, starb er am 12. Oktober
1875 in Courbevoie bei Paris. Erst die Nachwelt
ist seinem Schaffen in vollem Maße gerecht
geworden. Helene von Doenniges hat vor drei
Jahren in München durch Selbstmord geendet.
Die Episode im Leben der blendend schö-
nen Frau, da Lasalle um sie warb, und sie
der Anlaß seines Todes wurde, schildert aufs
fesselndste Alfred Schirokauers Roman „Las-
salle, Ein Leben für Freiheit und Liebe“, der
in der Serie „Romane berühmter Männer und
Frauen“ erschienen ist. (Verlag von Rieh. Bong,
Berlin W 57, Preis brosch. M. 4.—, geb. M. 5.—)
Der Feuergeist Ferdinand Lassalle und das
Berlin der sechziger Jahre mit seinen führenden Männern
und geistreichen oder schönen Frauen leben vor dem
Leser in voller Klarheit auf.
Jean ßaptiste ßafpeaux, Def Tanz.
Bei der Versteigerung von Kunstwerken
in der Galerie Georges Petit zu Paris ist Car-
peaux’ vielumworbene Terrakottagruppe „Der
Tanz“ für den kolossalen Preis von 230000 Fr.
in den Besitz der Glyptothek von Kopenhagen
gelangt. Der hohe Preis wurde wesentlich
durch das steigende Angebot der um den Be-
sitz der Gruppe hartnäckig kämpfenden Ame-
rikaner hervorgerufen. Billiger, und zwar für
90000 Fr., erwarb die Glyptothek den Ugolino,
ein jüngeres Werk des Künstlers. Das Ori-
ginal, ein Bronzeguß, stand früher im Tuile-
riengarten und wurde später in die Salle
Carpeaux des Louvre übergeführt — es stellt
nach dem 37. Gesänge in Dantes „Inferno“ die
erschütternde Episode des Grafen Ugolino
Gherardesca und seiner vier Söhne und Enkel
dar, wie sie zur Strafe für ihre Missetaten von
den Qualen des Hungers in furchtbarer Weise
gefoltert werden. Ungleich bedeutender ist die
in den Jahren 1866 bis 1868 für Garniers Große
Oper geschaffene Gruppe des Tanzes, die mit
drei andern Gruppen, denen von Guillaume,
Perraud undjouffroy, den Risaliten der Fassade
des Baues vorgesetzt ist. Das Tonmodell der
Gruppe ziert wie der Bronze-Ugolino eben-
falls den Carpeauxsaal im Louvre.
Das Genie des Meisters, dessen ganze
Kunst ein Schrei nach Leben war, gelangt in
der Gruppe des Tanzes am gewaltigsten zum
Ausdruck. Großartigeres hat der Naturalismus
der modernen französischen Plastik nicht her-
vorgebracht. Hinreißende Bewegung, Feuer,
Leidenschaft, Lust, alles vereint sich zur
faszinierendsten Wirkung. Der geflügelte Tam-
bourinschläger, als Genius des Tanzes ge-
dacht, ist der allmächtige Herrscher, nach
dessen Willen die Tänzerinnen sich freude-
trunken im Reigen drehen. Meisterlich im Auf-
bau der Komposition, in Form und Ausdruck
der Gestalten und im fließenden Rhythmus
der Linien, weckt das ausgezeichnete Werk
die Erinnerung an die von hellenischen Künstler-
händen geformten Bacchanalien des klassi-
schen Altertums.
Und doch fand Carpeaux' Schöpfung Wi-
derstand, Tadel, Verdammung. Der Bannspruch lautete
auf Immoralität . . . Die Moral war während des zweiten
Kaiserreichs in der schönen Lutetia nicht weit her, um
J. B. Carpeaux: Der Tanz.
so merkwürdiger das vernichtende Urteil über ein Werk,
das, mit reinen Augen angesehen, nur Bewunderung
und Freude erregen kann. Aber das harte Urteil war
Pneumatic ist und bleibt ein vorzügliches Produkt deutschen Gewerbefleißes
Hannov. Gummiwerke „Excelsior"A.-G.
Hannover-Linden