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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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2. Heft
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Ertel, Jean Paul: Das "absolute Gehör"
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0063

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MODERNE KUNST.

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Hans Meid: Die drei Masken. Aus Hans Meids Don-Juan-Zyklus. Verlag Paul Cassirer, Berlin W.

nicht zu haben braucht, und dennoch eminent „musikalisch" sein kann. Freilich
ist es für den Musiker besser, wenn er die beiden getrennten Fähigkeiten, näm-
lich das Tonerkennungsvermögen mit dem eigentlichen musikalischen Talente
vereinigen kann. Es liegt klar auf der Hand, daß damit ungezählte Vorteile
verbunden sind. Der Geiger ist beim Stimmen seines Instruments z. B. vom
Klavier völlig unabhängig, wenn er das eingestrichene a im Tonbewußtsein hat.
Der Gesangvereinsdirigent, der Kapellmeister, der Sänger vor allem, sie ver-
bessern bedeutend ihre Position, wenn die Natur sie mit dieser Gnade beschenkt
hat. Freilich wird Wohltat auch hier zuweilen Plage. Jeder mit dem absoluten
Tonbewußtsein Begabte weiß nämlich, wie nervenzerrüttend diese Fähigkeit

werden kann, wenn er längere Zeit Musik (Opern, Konzert) hört. Von Akkord
zu Akkord, von Takt zu Takt verfolgt er, gewissermaßen gegen seinen Willen,
die fortwährenden Modulationen, die bekanntlich bei allen Komponisten der
neueren Zeit einen Hauptfaktor bilden. Die Folge dieses gewaltsamen Verfolgens
aller Tonveränderungen ist eine natürliche Nervenabspannung. Ich, der ich
selbst mit dem absoluten Tonbewußtsein begabt bin, habe das oft genug am
eigenen Leibe erfahren.
Im weiteren sind mit dieser Gehörsabnormität leider viele schwierige
Fragen verbunden. Zunächst wird man sich darüber wundern müssen, daß man
einen Ton von bestimmter Höhe auch genau so bestimmt erkennen kann. Ist
 
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