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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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3. Heft
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Steinweg, Walter: Berlin, das große Fremdenhotel
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0085

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Paul Halke: Die Fremden in Berlin. Großer Empfang vor dem Hotel.


Berlin, das große Fremdenhotel.
Von Walter Steinweg.

„Ipnd so eröffnen wir diese Ausstellung, meine Herrschaften, in der Hoffnung,
daß sie sich eines zahlreichen Besuches, namentlich der Fremden, erfreuen möge!"
Zeitungsnotiz: „Mitteilungen aus dem Berliner Statistischen Amt. Im letzten
Monat belief sich die Zahl der in Berlin gemeldeten Fremden auf 114 765."
„Sagen Sie mal, Ober, seit wann wird denn bei Ihnen nicht mehr auf gut Deutsch
gefrühstückt, sondern geluncht?» — „Das ist wegen der Fremden, mein Herr!"
„English spoken.» „On parle frangais.»
Und so geht das fort, auf Schritt und Tritt ... die Fremden! die Fremden!
Versteht sich, natürlich die ausländischen Fremden; die in der Luxuskabine über den
großen Teich gekommen sind; die als Koffer mächtige, mit Messingbändern zusammen-
gehaltene Kisten vors Hotel Vorfahren lassen; die nie eine Treppe steigen, sondern
mit dem Lift direkt ins Bett fahren möchten; die sonst nie einen Ton reden und nur
des Nachts beim Schlafengehen unheimlichen Lärm vollführen; die nur für gut be-
finden, was teuer ist, und die, obwohl sie nicht einen zusammenhängenden Satz
auf Deutsch fertig bringen, dennoch vom gesamten Hotelpersonal bis herunter zum
Groom verstanden werden, weil ihre gewölbte Brieftasche geradezu hellseherische
Wirkung ausiibt.
Man soll sie nur einmal vor den großen Hotels in Berlin Unter den Linden,
am Wilhelmsplatz oder in der Bellevuestraße ankommen sehen. Sie sind angemeldet,
ein Wagenpark voll Gepäck eilt ihnen voraus. Es soll eine internationale Hotel-
portiersprache geben. Sind die mit allen möglichen Hotelmarken aus Nizza, Neapel,
Paris, Hamburg über und über beklebten Koffer da, so werden sie nach den ent-
sprechenden, die Trinkgeldernoblesse ihrer Besitzer enthüllenden Schriftzeichen ab-
gesucht. Das mag Erfindung sein. Tatsache jedenfalls ist der große Empfang mit
dem Direktor des Hotels an der Spitze. Und man staunt, wieviel Chargen es in der
modernen Hotelkarriere gibt. Sechs, sieben Mann bilden Spalier, ja beim Abschied
stehen acht, neun Mann da.

[Nachdruck verboten.]
Großartiger wie in Berlin vollzieht sich der Empfang eines smarten Ausländers
wohl in keiner Kapitale der Welt. Dabei ist Berlin die jüngste Welthotelstadt. Der
reiche Amerikaner kam noch vor zwanzig Jahren, wenn er Europa besuchte, über
Paris nicht hinaus. Paris galt ihm als die luxuriöse und elegante Fremdenstadt.
Auch London und selbst Petersburg, aber nicht Berlin. Vor Berlin hatte man ein
Vorurteil, als wüßte man hier nicht nobel zu leben, als könnte man für wirklich feines
Leben kein Geld ausgeben. Man meinte, gar keinen Komfort zu finden, und dann
traute man der Berliner Küche nicht, an der, mochte sie sich noch so sehr französisch
gebärden, immer etwas Barbarisch-Deutsches hangen blieb. Auch die gesellschaftlichen
Verhältnisse fand man stark zugeknöpft. Es gäbe keine reichen Leute in Berlin, denen
es auf ein Banknotenbündel nicht ankommt, um ein wirklich rassiges, raffiniert teures
Fest zu arrangieren. In Paris hatte man das alles: Oper, Rennen, Ball beim Präsidenten
der Republik. Und die exquisite französische Küche. So steif und schwierig man selber
war, so angenehm war die Pariser Charme. Es war ja alles da, man konnte sie ja bezahlen.
Inzwischen hat sich Berlin herausgemacht; so herausgemacht, daß es die Berliner
nicht wiedererkennen. Berlin ist eines der elegantesten und komfortabelsten Welthotels
geworden. Seit sechs bis zehn Jahren sendet die amerikanische und englische Fremden-
flutwelle ihre Ausläufer auch hierher, so daß der ganze Fremdenverkehr seinen Stil
danach bekommen hat. Der alte „Kaiserhof" hat sich vollkommen danach umge-
modelt; dann kam Adlon, dann Esplanade. Das Hotelviertel, das früher um den
Bahnhof Friedrichstraße herum lag, ist jetzt weiter nach dem Westen gerückt. In
den Berliner Luxushotels kann auch der verwöhnteste Amerikaner, der gewohnt ist,
im Hotelzimmer die neuesten Telegramme durch Scheinwerfer an die Wand fliegen
zu sehen, ein Leben nach all seinen Extravaganzen führen und sein Geld los werden.
Der Präsident Castro von Venezuela trank, wie es heißt, im Hotel Esplanade jeden
Tag eine Flasche Kognak für 125 Mark. Er war verschiedene Wochen in Berlin, aber
der uralte Kognak hätte noch länger gereicht.

XXVIII. 8.
 
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