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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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3. Heft
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Buss, Georg: Fedinand Steiniger
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MODERNE KUNST.

Geselschap in der Ruhmeshalle des Berliner Zeughauses geschaffenen Wandgemälden
„Krieg“ und „Frieden". Dasselbe gilt für den Holzschnitt — das tonige, malerische
Prinzip in Linien, in Zeichnung ist sein Lebenselement.
Ferdinand Steiniger bekennt sich als Anhänger der reinen Radierung. Daher
sind vorstehende Bemerkungen vorangeschickt. Ob rein oder unrein, die Hauptsache
ist die gute Wirkung. Erfreulicherweise hat er sie ohne die verhaßten „Mätzchen“
erreicht. Seine Leistungen sind interessant. Er ist Landschafter. In manchen Schil-
derungen hat er mit einem geradezu verblüffenden Minimum von Mitteln eine
Stimmung von höchster Kraft erzielt. Sein „Stilles Dörflein" mag als vornehmstes
Beispiel dienen. Die Einsamkeit und Stille, die das in der Bodenfalte geduckte Nest
umgeben, und die satte Ruhe auf den Feldern muten insgesamt an wie die Poesie der
Idylle und erinnern an de6 Horaz sehnsuchtsvolle Verse:
Ländliche Flur, wann werd’ ich dich schaun, wann wird mir's vergönnt sein,
Fern vom Treiben der Welt, die Bücher der Alten zu lesen,
Süße Vergessenheit schlürfend des viel bekümmerten Daseins?
Auch der „Blick auf Dresden“ löst tiefes Empfinden aus. In der großzügigen
flachen Elblandschaft mit ihren einsamen, dichtbelaubten Bäumen der Gottesfriede,
und weit hinten am Horizont die Spuren der großen Stadt, kaum sichtbar und doch
die Phantasie anregend
und auf das Drängen und
Hasten, Jagen und Wün-
schen, Leiden und Hoffen
Tausender hinweisend. Es
ist eine tüchtige, starke
Schöpfung, voll Sonnen-
licht und erfrischender
Klarheit. Und ebenso
stimmungsvoll und echt
„malerisch" ist „ Der Bach
im Fichtendunkel“, ein
treffliches Waldbild mit
geheimnisvollem Dunkel,
das die Vorstellung weckt,
als ob Nixen und n _ie
unbelauscht sich m stillen
Freude1’ ergehen. Was
der edle Walther von der
Vogel weide von dem herze-
lieben Frouwelin und
ihrem Schatz im Walde
sang, wird lebendig —
„Was wir da pflagen,
keiner, keiner
erfahre das, als er und ich
und ein kleines Vögelein,
— tandaradei —
das wird treu und ver-
schwiegen sein."
In der köstlichen Zeich-
nung„Waldtälchen" mit
der Tannenschonung, aus
der sich Laubbäume mit

ihrem Geäst emporrecken, und mit dem Bächlein, das sich durch den Grund schlängelt,
ist ein Idyll gegeben, das gleichfalls für den engen Zusammenhang des Künstlers mit
der Natur erfreuliches Zeugnis ablegt.
Die Dresdner Künstlerschaft umschließt vorzügliche Kräfte. Die Poeschmann,
Leiteritz, Jahn, Hellmgrath, Claus, Berndt und manche andere haben auf der Großen
Berliner Kunstausstellung schon manche schöne Leistungen in Radierung, Holzschnitt
und Zeichnung vorgebracht. Zu den Dresdnern gehört auch Ferdinand Steiniger,
geboren 1882 in Leipzig und vorgebildet auf der Kunstgewerbeschule und Kunst-
akademie in Elbflorenz. Das Wirken hervorragender Lehrer, wie Richard Müller,
Arthur Zweiniger und Eugen Bracht, dessen Abzug nach Dresden für die Berliner
Akademie ein schmerzlicher Verlust war, hat bedeutenden Erfolg erzielt. Ihnen ver-
dankt Steiniger außerordentlich viel, hat er doch in Brachts Meisteratelier für Land-
schafter neun Semester gearbeitet, stets gefördert und nie in der Freiheit seines Schaffens
behindert. In der Zeichnung ist er vorwiegend bei Richard Müller erstarkt, zu dessen
Klasse er nach dem Verlassen von Brachts Atelier zurückkehrte, um noch Akt und
Porträt zu radieren.
Innige Liebe zur Natur hat den Künstler zum Landschafter gemacht. Die Dresdner
Heide war ihm schon in seiner Jugendzeit ein anziehendes Studienfeld, dem er auch
treu geblieben ist. Solche
Bodenständigkeit ist vielen
unserer Landschafter drin-
gend zu wünschen. Das
tiefste Empfinden löst sich
dem Menschen nur in der
Natur aus, in der er
emporgewachsen, und mit
der er vertraut ist. „Hei-
mat" lautet das Zauber-
wort, das die Seele rührt
und aufjauchzen läßt. Das
Schweifen durch alle Erd-
teile bereitet der echten
Kunst Abbruch. Wenn
Steinigers Radierungen tief
und eindrucksvoll sind,
so kommt es wesentlich
daher, daß die Heimats-
glocken in ihnen läuten.
Und da sie auch vermöge
ihrer lapidarischen Ein-
fachheit und großen Klar-
heit anerkennenswerte Vor-
züge besitzen, so ist es
begreiflich, daß sich ihnen
bereits die Sammlungen
angesehener Museen und
Kabinette erschlossen ha-
ben. Wachsende Erfolge
versprechen dem talent-
vollen Künstler eine la-
chende Zukunft.
Georg Bu.ß.


Ferdinand Steiniger: Der Bach im Fichtendunkcl. (Radierung.)

(Unsere
die Zeit Napoleons I. versetzt Jules Girardets Gemälde „Ausschiffung
Ng7 Georges Cadoudals an den Klippen von Biville 1803. Denn zu
keinem andern Zwecke hat dieser kühne Royalistenführer England, wohin er
hatte fliehen müssen, wieder verlassen und besteigt soeben den heimatlichen
Boden, als um Bonaparte zu töten. Zu diesem Zwecke traf Cadoudal im August
1803 in Paris ein, Pichegru und andere Gesinnungsgenossen folgten ihm. Aber
ein unglücklicher Zufall trug dazu bei, daß die Verschwörung den Spähern
Napoleons offenbar, und Cadoudal am 9. März 1803 verhaftet wurde. Mit elf
Mitverschworenen machte man ihm den Prozeß, und der Stern Napoleons stieg.
In einen „stillen Garten“, der uns wie die Biedermeierzeit selbst anmutet,
führt Wilhelm Claudius. Wie friedlich berührt das runde Beet mit dem tiefen
Blau seiner Blumen und dem Weiß der Narzissen, wie erwartungsvoll und still
steht die stille Bank zwischen den beiden Bäumen und die niedrige Flecke mit der
kleinen Pforte. Auf den schweigenden Kronen ruht der schimmernde Goldglanz des
Abends, wie ihn gleichfalls eine verschwundene Zeit verklärt zu uns herübersendet.
Starke Belebung besitzt Alvarez Salas Gemälde „ Krabbenfischerinnen“
durch die gute Gruppierung der Frauen und Mädchen, die an dem steinigen
Strande ihrem Erwerbe nachgehen. Draußen liegt das unendliche Meer, sie aber
bleiben immer an diesem Strande, den sie stets neu auf Beute hin absuchen,
die ihnen die Wellen zutragen. Nur die Brandung tönt ihnen wie ein Gruß
herüber, den ihnen das unendliche Meer in ihr enges Dasein sendet, und leise

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fließt der mit Luftblasen gesäumte Schaum, sich in Kreise zerteilend, bis zu
ihren Füßen, um hier, vom Boden aufgesogen, traumgleich zu zerrinnen.
*
Das Gefühl wohligen Aufatmens hat Colombo-Max mit seinem Gemälde
„Im Sonnenschein“ festgehalten. Hier fließt eine linde Frühlingsluft, die Vögel
kehren in die LIeimat zurück und den Menschen ist es, als müßten sie die Kleider
von sich tun, um nach der Mühsal des Winters sich wieder einmal in Luft und
Licht zu baden. Das deutet die Bewegung der schlanken weiblichen Gestalt an,
um deren Arme und Schultern Glanzlichter fließen. Vor ihr steht ein nackter Knabe
wie eine Puttengestalt der Renaissance und hält ein blühendes Reis in der Hand.
*
Eine der volkstümlichsten Gestalten aus dem 18. Jahrhundert hat Gustav
Eberlein in seinem humorvollen Bronzebrunnen behandelt, der für Münden in
Hannover bestimmt ist, wo Dr. Eisenbart begraben liegt. Soeben führt der gra-
vitätische Quacksalber wieder eine seiner berühmten Heilkuren aus, die seinen
Namen bis heute bekannt gemacht haben. Mit einer riesigen Zange zieht er
einem jungen Menschen einen Zahn heraus — natürlich den falschen. Der zahn-
ärztliche Sessel wird durch einen Koben gebildet, aus dem Schweinchen quieken.
In dem jungen schlanken Mädchen seines Gemäldes „Das Rätsel“ hat
Gabriel Nicolet jene rassige, schlanke Eleganz romanischer Frauen festgehalten.
Ihnen ist auch die lässig-schöne Art zu eigen, mit der das Mädchen seinen
Schleier um sich schlägt, ihre eigene Büste damit wirkungsvoll abschließend.
 
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